Abseits erkennen ist fast unmöglich
Am Freitag beginnt die Rückrunde der Fußballbundesliga und Fußballdeutschland kann wieder diskutieren, lamentieren, fachsimpeln. Zum Beispiel über die Abseitsregel oder manch ausgebliebenen Pfiff des Schiedsrichters.
Die Fähigkeit, Abseitssituationen zu erkennen, hat nun das Institut für Kognitions- und Sportspielforschung der Deutschen Sporthochschule Köln genauer unter die Lupe genommen und in einer Studie veröffentlicht.
Grundlage der Untersuchung ist ein Aufmerksamkeitstest, den Stefanie Hüttermann und Univ.-Prof. Dr. Daniel Memmert vom Institut für Kognitions- und Sportspielforschung entwickelt haben. „Der Attention Window Test misst die maximale Aufmerksamkeitsbreite von Personen auf horizontaler, vertikaler und diagonaler Ebene. Das bedeutet, wir können untersuchen, bis zu welcher Entfernung Personen noch zwei unterschiedliche Reize wahrnehmen können, die an verschiedenen Rändern ihres Blickfeldes liegen“, beschreibt Hüttermann das Testdesign.
Im Fußball besteht etwa eine Herausforderung darin, mehrere Reize simultan wahrzunehmen. Zum Beispiel muss der Stürmer gleichzeitig den gegnerischen Abwehrspieler, den Torwart, den Mitspieler und den Ball im Blick behalten. Oder der Assistenzschiedsrichter an der Seitenlinie muss sowohl den Abstoß des Torwarts als auch die Offensivspieler in seiner Spielhälfte beobachten. Die Wissenschaftler stellten sich also die Frage, ob es Personen gibt, die in einer Spielsituation mehr Signale wahrnehmen können und damit eine insgesamt bessere Aufmerksamkeitsleistung besitzen als andere. „Wir haben herausgefunden, dass die Aufmerksamkeitsleistung von Experten aus verschiedenen Mannschaftssportarten um 25% höher ist als die von Nichtsportlern“, schildert Hüttermann die Ergebnisse, die jetzt in der renommierten Zeitschrift Journal of Experimental Psychology: Applied veröffentlicht wurden.
Linienrichter müssen auf dem Fußballplatz Winkel bis zu 100° betrachten, um etwa eine Abseitssituation erkennen zu können. Hüttermann: „Zum Vergleich: Die Experten unter unseren Probanden haben nur bis zu einem Blickwinkel von 35° noch zwei Reize wahrnehmen können.“ Demnach erfordern Abseitssituationen im Fußball ein viel größeres visuelles Aufmerksamkeitsfenster als die meisten Menschen leisten können.
Unklar bleibt bei den Ergebnissen, ob die Sportler aufgrund ihrer langjährigen Erfahrung grundsätzlich besser waren als die Nichtsportler oder ob die höhere visuelle Aufmerksamkeitsfähigkeit angeboren ist. Weitere Untersuchungen des Instituts für Kognitions- und Sportspielforschung sollen das feststellen.
Somit könnte der „Attention Window Test“ zukünftig als Auswahlkriterium für Nachwuchssportler herangezogen werden. Dazu sind die Wissenschaftler gerade dabei zu klären, mit welchen Methoden sich die visuelle Aufmerksamkeitsfähigkeit am besten trainieren lässt. Damit könnten ganz neue Trainingsinhalte in den Spitzensport oder die Schiedsrichterausbildung einfließen.
Die Ergebnisse der Studie wurden kürzlich im Journal of Experimental Psychology: Applied veröffentlicht:
Hüttermann, S., Memmert, D., & Simons, D. J. (2014, in press). The size and shape of the attentional "spotlight" varies with differences in sports expertise. Journal of Experimental Psychology: Applied.
Kontakt und weitere Informationen:
Stefanie Hüttermann
Deutsche Sporthochschule Köln
Institut für Kognitions- und Sportspielforschung
E-Mail: s.huettermann@dshs-koeln.de
Tel.: +49 221 4982-4312
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