Nr. 10/2017
Multitasking in alltagsnahen Situationen
Im Alltag müssen wir häufig mehrere Aufgaben gleichzeitig erledigen (Multitasking), zum Beispiel beim Autofahren oder Bedienen einer komplizierten Maschine. Diese Fähigkeit kann mit zunehmendem Alter abnehmen. Entsprechende Trainingsprogramme sind gefordert, um Multitasking-Situationen im Alltag sicherer zu gestalten. Das Projekt betrachtet dabei u. a. die sogenannten exekutiven Funktionen: kognitive Prozesse, die der Selbstregulierung und zielgerichteten Handlungssteuerung des Individuums in seiner Umwelt dienen. Ein Interview mit Projektmitarbeiter Dr. Uwe Drescher vom Institut für Physiologie und Anatomie.
Welche Mehrfachtätigkeiten müssen Ihre Probanden während der Messungen ausüben?
Wir simulieren zwei Situationen: Autofahren und Straßenüberquerung. Grundsätzlich schauen wir, was passiert, wenn man sich zum Beispiel nicht nur auf das Fahren konzentriert, sondern nebenbei noch eine andere Tätigkeit ausübt. Bei der Straßenüberquerung stellen wir die Probanden auf ein passives Laufband, so dass sie ihre Gehgeschwindigkeit selbst steuern können. Es gibt eine Tippaufgabe, die zum Beispiel die Handynutzung simuliert und eine weitere Aufgabe, die wir Shoppingliste nennen. Es werden verschiedene Einkaufsgegenstände in gleichmäßigen Abständen wiederholt angesagt und wenn es eine Wiederholung gibt, sollen die Probanden „ja“ sagen. Hier fragen wir die Arbeitsgedächtnisleistung ab, bei der Tippaufgabe die motorische Leistung. Beim Autofahren gibt es neben der Tippaufgabe, noch das Merken von Benzinpreisen und Staumeldungen, die auf das Arbeitsgedächtnis abzielen und sogenannte Argumentationsaufgaben, die ein Gespräch mit einem Beifahrer oder ein Gespräch über die Freisprechanlage simulieren. Bei dieser Aufgabe sollen die Probanden zu einem bestimmten Thema ein Argument für oder wider bringen. Beispiel: Nennen Sie einen Vorteil für den Kauf eines Hybridautos.
Wo werden die Tests durchgeführt?
Die Tests werden hier bei uns im Labor des Instituts durchgeführt und eins zu eins bei unserem Kooperationspartner, der Technischen Universität Chemnitz.
Wie viele Probanden haben teilgenommen?
Wir haben mehr als 200 Probanden rekrutiert und davon gehen 124 in die Auswertung: 63 Jüngere (23±3 Jahre) und 61 Ältere (70±3 Jahre). In sehr seltenen Fällen mussten die Probanden das Experiment frühzeitig beenden, da ihnen im Simulator schlecht wurde. Die Mehrzahl der Rekrutierten, die nicht teilnehmen konnten, erfüllten jedoch nicht die Kriterien zum Einschluss in die Studie, zum Beispiel über ausreichende Fahrpraxis.
Welche Ziele verfolgt das Forschungsprojekt?
Es gibt eigentlich zwei Ziele. Einmal möchten wir überprüfen, inwieweit es einen Unterschied in der Multitasking-Fähigkeit zwischen Jüngeren und Älteren gibt. Dann interessiert uns, inwieweit die unterschiedlichen Aufgaben auch unterschiedliche Auswirkungen haben. Also: was stört mehr und was stört weniger. Das übergeordnete Ziel, das wir jetzt im Anschluss weiter verfolgen, ist die Entwicklung von Trainingsprogrammen. Wir möchten gerne diejenigen, die Defizite haben, schulen. Aber nicht beim Autofahren oder Straßeüberqueren selbst, sondern über exekutive Funktionen, die wir am Computer isoliert durchführen können und somit für Jedermann zugänglich sind. Die Idee, die dahinter steckt, ist, dass Autofahren und Straßeüberqueren sicherer zu gestalten. Das ist die praktische Anwendung, die hinter unserem Forschungsprojekt steckt.
Welche Ergebnisse liegen bereits vor?
Man kann ganz allgemein sagen, dass bei den einzelnen Aufgaben deutliche Unterschiede vorliegen. Dort, wo wir eine motorische Variante haben, also das Tippen, sind die Multitasking-Kosten, so nennen wir das, am größten. Da wird die Leistung deutlich schlechter im Vergleich zu anderen Aufgaben. Das hat vermutlich auch damit zu tun, dass der Blick zur Tastatur geht und eine strukturelle Interferenz vorliegt. Es gibt also offensichtlich Unterschiede in den Typen der Aufgaben. Was uns noch aufgefallen ist, sind Unterschiede in den Modalitäten. Die Aufgaben werden einmal visuell und einmal akustisch präsentiert. Und natürlich liegen auch Unterschiede in den Altersgruppen vor. Die älteren Probanden haben in manchen Bereichen höhere Defizite, als die Jüngeren.
Woran liegt das?
Wir messen beim Tippen unter anderem Reaktionszeiten und Genauigkeiten. Aus der Forschung ist bekannt, dass die Reaktionszeiten im Alter abnehmen und dadurch Leistungen negativ beeinflusst werden. Und auch die Gedächtnisleistung kann im Alter abnehmen.
Was ist für Sie persönlich das Spannende an dem Forschungsprojekt?
Das ist die Umsetzung – wir schaffen es sehr nah an die Realität heranzukommen. Das ist auch die Rückmeldung, die wir von unseren Probanden bekommen. Und das ist auch das ganz Entscheidende. Wir möchten Forschung in alltagsnahen Situationen betreiben, mit Bezug zur Realität. Und nicht in einem Labortest, bei dem man vor einem Bildschirm sitzt und auf einen Stimulus reagiert.
Wie geht es weiter?
Das Projekt läuft noch bis Oktober nächsten Jahres. Grob kann man sagen, dass wir ein Jahr vorbereitet haben, ein Jahr Messungen durchgeführt haben und jetzt ein Jahr auswerten und veröffentlichen. Geplant ist noch eine zweite Phase für drei Jahre, in der dann das Training ausgearbeitet werden soll.
Das Forschungsprojekt ist Teil des DFG-Schwerpunktprogramms „Human performances under multiple cognitive task requierements: From basic mechnaisms to optimized task scheduling“ unter der Leitung von Professor Otmar Leo Bock (DSHS Köln) und Professorin Claudia Voelcker-Rehage (TU Chemnitz).
Interview: Lena Overbeck