Nr. 1/2016
„Bean and Amy need to surf again!“
Die amerikanische Wissenschaftlerin Amy Hubbard arbeitet seit einigen Monaten an der Deutschen Sporthochschule Köln in der Abteilung Neurologie, Psychosomatik und Psychiatrie. Hier ist sie an zwei spannenden Projekten zum Thema Multiple Sklerose (MS) beteiligt. Das Ungewöhnliche: Die 41-Jährige leidet selbst seit 2011 an dieser Erkrankung des zentralen Nervensystems.
In Köln beschäftigt sich Hubbard zum einen mit der Hippotherapie oder Reittherapie. Sie möchte die Wirkung erforschen, die die Reittherapie bei MS-Patienten haben kann. In einem anderen Projekt widmet sich Hubbard dem so genannten Fatigue-Syndrom, an dem die allermeisten MS-Patienten leiden, auch sie selbst. Für diesen chronischen Erschöpfungszustand möchte Hubbard ein objektives Messverfahren entwickeln bzw. überprüfen, welches dazu geeignet ist, den Grad der Fatigue zu messen. „Forschung aktuell“ sprach mit Amy Hubbard über ihre Forschungsaktivitäten und -ziele, ihre Krankheit und ihr Leben an der Sporthochschule.
Seit fünf Jahren leiden Sie an Multipler Sklerose, seit einige Monaten forschen Sie dazu an der Sporthochschule. Wie kam es dazu?
Multiple Sklerose habe ich erst als Forschungsgegenstand für mich entdeckt als ich selbst daran erkrankt bin, genauer gesagt seitdem ich mich wieder einigermaßen bewegen kann. 2011 hatte ich meine erste MS-Attacke, da war ich 36. Ich hatte damals erste Anzeichen lange Zeit ignoriert und weiter gearbeitet, bis ich mich fast nicht mehr bewegen konnte. Meine Muskeln haben komplett versagt, ich hatte Seh- und Sprachschwierigkeiten, Orientierungsprobleme. Sechs Monate hat es gedauert, bis die Diagnose feststand; ich musste zurück zu meinen Eltern ziehen, weil ich alleine völlig hilflos war. Dann hat die Hippotherapie bei mir riesige Erfolge erzielt, zum Beispiel für meine Balance, aber auch für meine kognitiven Fähigkeiten und das Sehvermögen. Nach einer Weile habe ich mich wieder fit genug gefühlt, mich nach einem Job umzuschauen.
Für Ihre Forschung in der Abteilung Neurologie, Psychosomatik und Psychatrie erhalten Sie finanzielle Unterstützung durch ein Marie-Curie-Stipendium. Was bedeutet Ihnen das?
Nach meiner langen Krankheitspause war es ein großes Problem für mich zurückzukommen. Ich war zirka vier Jahre lang komplett raus aus der Wissenschaft. Da fehlen natürlich die Publikationen von vier Jahren, zum Beispiel wenn man sich um eine Förderung bewirbt. Ich habe es trotzdem versucht, und für die Stipendienvergabe waren sicherlich meine persönliche Betroffenheit und Motivation mitentscheidend, natürlich in Kombination mit meinem wissenschaftlichen Background in der Sprachwissenschaft und dem Functional Neuroimaging fMRI.
Sie betreuen an der Sporthochschule zwei Projekte, eines beschäftigt sich mit der Hippotherapie. Wie sieht das Projekt aus?
Ich habe selbst unglaublich positive Erfahrungen mit der Hippotherapie in den USA gemacht; es gibt aber wenig wissenschaftliche Beweise für die Wirkung der Therapie bei MS-Patienten. Wir arbeiten momentan mit einer Gruppe von zwölf MS-Patienten, die eine Reittherapie im Pferdesport- und Reittherapie-Zentrum in Frechen machen. Zu Beginn der Therapie haben wir ihr Bewegungsrepertoire getestet und dies auf Video festgehalten. Es folgen weitere Untersuchungszeitpunkte, durch die wir dann feststellen wollen, ob es Veränderungen im Bewegungsverhalten gibt.
Ein großer Teil aller MS-Patienten leidet an der MS-Fatigue, dem Erschöpfungssyndrom. Wie erforschen Sie dieses?
Ein Problem bei der Erforschung und Behandlung von MS ist, dass es keinen objektiven Test gibt. Die Fatigue Severity Scale FSS wurde zwar für MS-Patienten entwickelt, ich halte sie aus eigener Erfahrung aber für nicht aussagekräftig. Dementsprechend ist die Medikation für MS-Fatigue sehr schwierig. Es gibt aber einen von Dr. Hedda Lausberg entwickelten Test, den BewegungsAnalyse Skalen & Test BAST. Ich möchte herausfinden, ob dieser Test als objektives Messinstrument für MS-Fatigue dienen kann.
Warum glauben Sie könnte der BAST funktionieren?
Der Test fragt sowohl körperliche als auch kognitive Funktionen ab, weil er aus zwei Teilen besteht: strukturierten Bewegungsaufgaben, die bestimmte Bewegungsfähigkeiten gezielt überprüfen, und Improvisationsaufgaben, bei denen das spontane, individuelle Bewegungsverhalten einer Person erfassbar wird. Die Analyse erfolgt mit operationalisierten Skalen. BAST wurde ursprünglich entwickelt, um etwas völlig anderes zu messen als ich tun werde. Aber ich habe es selbst ausprobiert und denke, das es funktionieren könnte.
Wie sieht das Studiendesign genau aus?
40 MS-Patienten und 40 gesunde Probanden sollen den Test durchlaufen. Die Untersuchungen werden mit einer 360°-Videoaufnahme festgehalten. Zudem soll eine automatisierte Bewegungserkennung zum Einsatz kommen. Letztendlich soll die Studie zeigen, ob und wie MS-Patienten die MS-Fatigue während dieses physischen und kognitiven Tests offenbaren.
Kommen wir nochmal zu Ihren persönlichen Erfahrungen. Sie haben einen „Service Dog“, der Ihnen nicht von der Seite weicht. Welche Rolle spielt er in Ihrem Leben?
Bean ist mein treuester Begleiter und spielt – neben meinem Laptop – die absolut wichtigste Rolle für meine Arbeit und mein Leben. Er ist unersetzbar, denn es ist sein Job, mir zu signalisieren, wann ich mich ausruhen muss. Er spürt die chemische Veränderung in meinem Körper ungefähr 30 Minuten bevor die MS-Fatigue einsetzt. Auf diese Weise kann er mich vorwarnen. Außerdem gibt er Bescheid, wenn sich Leute nähern oder schaut vor dem Überqueren einer Straße nach allen Seiten. Ich hatte ihn bereits zwei Jahre vor meiner ersten MS-Attacke und scheinbar hatte er bereits damals diesen Spürsinn. Denn: Kurz bevor die MS 2011 ausbrach, veränderte er sein Verhalten komplett. Er wich mir nicht mehr von der Seite. Er hat also schon damals gespürt, dass irgendetwas nicht stimmt.
Sie beschreiben MS als „segregating disease“, das heißt als eine Krankheit, die die Betroffenen enorm ausgrenzt. Wie sehen Ihre Lebensumstände in Köln aus?
Ich meine damit, dass MS den Betroffenen viel Lebensqualität nimmt, denn man kann sich nicht mehr frei bewegen. Das Umfeld der Sporthochschule ist für mich daher perfekt, speziell der Campus ist großartig. Alle Wege sind kurz, so dass ich überall zu Fuß hingehen kann. Auch meine Wohnung ist nicht weit entfernt. In einem Umkreis von wenigen Minuten kann ich leben und arbeiten. Ansonsten fahre ich viel Taxi und ich habe viele tolle Freunde, die mich im Alltag unterstützen, zum Beispiel für mich einkaufen.
Und wie sieht es mit dem Arbeitsalltag aus?
Mein Arbeitspensum ist natürlich absolut nicht vergleichbar mit dem Pensum vor der MS, wo ich manchmal zwölf bis 14 Stunden gearbeitet habe. Meine Verfassung ist von Tag zu Tag unterschiedlich. Manchmal schaffe ich es, fünf Stunden ohne größere Pausen durchzuarbeiten, und manchmal schaffe ich sehr wenig.
Was möchten Sie noch erreichen?
Mit meiner Forschung möchte ich – ganz altruistisch – anderen Betroffenen helfen. Aber natürlich habe ich auch ein großes eigenes Interesse daran. In den USA gibt es eine Reihe von Medikamenten, die meiner Meinung nach zur Behandlung von MS-Fatigue helfen könnten; sie sind aber nicht zugelassen, weil es eben kein zuverlässiges Messverfahren gibt. MS heilen zu können, ist noch sehr weit entfernt. Aber es wäre ein großer Schritt, wenn man in der Zwischenzeit die Lebensqualität der Betroffenen verbessern könnte. Mein persönliches Ziel ist klar: Bean and Amy need to surf again! Ich bin sicher, dass es möglich wäre, wieder zu surfen, wenn es eine Medizin gibt, die hilft, die MS-Fatigue abzuschwächen.