Nr. 1/2018
„Der Rechtemarkt bestimmt die Berichterstattung viel stärker als die redaktionelle Auswahl.“
Dr. Christoph Bertling, wissenschafticher Mitarbeiter am Institut für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, untersucht seit mehreren Jahren in verschiedenen Projekten die Mechanismen hinter der medialen Aufbereitung des Spitzensports. Er beschreibt, welche unterschiedlichen Kräfte und Interessen das Endprodukt, das die Zuschauer zu sehen bekommen, beeinflussen. Auch bei den Olympischen Winterspielen in Pyeonchang.
Herr Bertling, weil neben ARD und ZDF auch Eurosport aus Pyeonchang eine vollwertige Berichterstattung zu den Olympischen Wettbewerben anbietet, gibt es in Deutschland erstmals zwei miteinander konkurrierende TV-Angebote zu den Spielen. Wird das die Berichterstattung verändern?
Das ist schwer zu sagen. Eurosport hat ja eine aufwendige Studioproduktion mit vielen prominenten Experten angekündigt, unter anderem mit Fabian Hambüchen, der hier an unserer Universität studiert. Es ist spannend, was diese Redaktion auf die Beine stellen wird. Ganz grundsätzlich berichten die Öffentlich-Rechtlichen ganz ähnlich über den Sport wie die Privatsender. Sie versuchen, ein möglichst unterhaltendes Hochglanzprodukt zu produzieren. Vorliegende Studien zu diesem Thema zeigen, dass im Live-Segment im Kern keine wesentlichen Unterschiede bei der Live-Berichterstattung über sportliche Großereignisse existieren. Privatsender fokussieren lediglich etwas stärker auf Top-Unterhaltungsmomente und lassen schneller weniger populäre Inhalte weg.
Gibt es dafür eine Erklärung?
Die öffentlich-rechtlichen Sender müssen zwar nicht ökonomisch profitieren, aber sie müssen die Masse erreichen, um ihre großen Investitionen in Sportrechte gegenüber dem Gebührenzahler zu rechtfertigen. Das heißt: Beide sind auf die Masse ausgerichtet, beide müssen also ein Unterhaltungsprogramm herstellen, das möglichst viele Leute anspricht. Starke Unterhaltung also. Und entsprechend ähnlich sind sie sich. Die kritische Berichterstattung erfolgt meist nicht in den Live-Übertragungen, sondern wird im Wesentlichen durch andere Redaktionen – beispielsweise Wirtschafts- und Politikredakteure – aufgefangen. Im Live-Segment wird es somit wohl keine wegweisenden Unterschiede geben, jedoch in der gesamten journalistischen Rahmung.
Wobei Kritiker schon einen festen Platz in der Sportberichterstattung haben. Wenn zum Beispiel eine Biathlonexpertin den Einbruch von Laura Dahlmeier auf den letzten zwei Kilometern bewertet, ist das ja durchaus eine analytische, eine kritische Herangehensweise.
Wir müssen hier zwei Formen von Informationen unterscheiden: Es gibt das Hintergründige, das Aufklärerische, die Dopingberichterstattung der ARD zum Beispiel. Und die kritischen Analysen von Experten, die eine völlig andere Qualität haben. Hier geht es vorwiegend darum, noch mehr Unterhaltungswert zu produzieren.
Dazu passt, dass das Bildmaterial nicht mehr mit dem Vorsatz entsteht, die ganze Realität abzubilden. Die TV-Bilder sind als aufpoliertes Hochglanzprodukt konzipiert, das fast komplett von einer Tochterfirma des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) bereitgestellt wird. Wie wirkt sich das auf die Qualität der Übertragungen aus?
Zweigleisig. Problematisch ist, dass der Journalist in letzter Konsequenz die Kommunikationshoheit verliert. Wenn wir uns als Journalisten ernstnehmen, müssten wir eigentlich sagen: Wir brauchen die Kontrolle über den Berichterstattungsgegenstand. Andererseits ist es aber so, dass Journalisten gerade in der Bildproduktion oftmals das schlechtere Produkt herstellen. Das IOC hat einfach ganz andere technische Möglichkeiten, weil es die Bilder für über 200 Länder produziert. Aus Sicht des IOC geht es in gewisser Weise um Unternehmenskommunikation. Der journalistische Aspekt muss dann durch den Kommentar und die Vor- oder Nachberichterstattung ergänzt werden.
Trauen die Sender sich überhaupt noch, kritisch zu sein? Sollte es dem IOC zu unangenehm werden, können die ja einfach sagen: Wenn Sender X ständig unser Produkt in Frage stellt, geben wir denen die Rechte nicht mehr...
Hier ist ein anderer Mechanismus viel stärker: Je teurer die Rechte eingekauft werden, desto wahrscheinlicher ist, dass ein Hochglanzprodukt daraus gemacht wird, weil man ja ein kostbares Produkt medial vermarktet.
Wie passt die Tatsache, dass China oder Russland Sportübertragungen für ihre politischen Interessen nutzen, zu der These, dass Sport Unterhaltung sein soll?
Der Unterhaltungsaspekt ist auch in diesen Ländern essenziell, er ist der Nährboden, in den man politische Botschaften reinspielen kann. Durch die Unterhaltung erreicht man die Masse, und dann lässt sich darstellen, wie erfolgreich bestimmte Nationen oder Systeme sind, während andere Länder mit viel Skepsis beschrieben werden. Hier setzt übrigens auch die westliche Berichterstattung Deutungsmuster, die eigentlich nicht in Ordnung sind. Beispielsweise wurden Hooligans in einer BBC-Reportage als nahezu originäres russisches Problem beschrieben, wobei in der über einstündigen Dokumentation für diese doch sehr steile These keine Belege aufgeführt wurden. Wobei der entscheidende Unterschied zwischen der russischen und englischen Berichterstattung darin liegt, dass die Richtung im Westen von den Kräften des freien Marktes vorgegeben wird, nicht durch staatliche Indoktrinierungen.
Olympische Spiele sind auch immer ein Fest für Randsportarten, die danach wieder vier Jahre in der medialen Versenkung verschwinden, ganz besonders in Deutschland. Warum fällt es vielen nationalen Verbänden so schwer, ihren Sport besser zu vermarkten?
Grundsätzlich ist der deutsche Sport viel zu wenig produktpolitisch aufgestellt. Es wird nicht genau verstanden, wie die medialen Mechanismen funktionieren. Die Funktionäre sagen dann: Das Interesse bei Olympia an unseren Athleten war doch extrem groß, dabei zeigen Studien, dass sich die Aufmerksamkeit nicht primär auf die einzelnen Sportarten richtet, sondern in viel stärkerem Maße auf Olympia. Die höchsten Einschaltquoten bei Olympia sind normalerweise bei der Eröffnungs- und Schlussfeier zu konstatieren. In Amerika und in vielen asiatischen Ländern wissen die Sportarten viel genauer, wo sie lang gehen müssen und wie die Medien in ihren Mustern funktionieren.
Was empfehlen Sie den Funktionären aus den olympischen Nischen?
Sie müssten viel stärker auf die Produktion eigener Geschichten und auf neue Kanäle setzen. Die sozialen Medien haben sich weiter entwickelt, sinnvoll wäre es, hier eigene Kommunikationswelten aufzubauen und mit massenmedialen Welten zu verknüpfen. Doch da sind viele ziemlich zaghaft beziehungsweise halbherzig. Ein gutes Beispiel: Die Kommunikationsabteilungen der Verbände arbeiten oftmals auf Olympia hin, das ist für sie ein besonders wichtiger Termin. Dann sind beispielsweise die Winterspiele vorbei und alle atmen erst mal durch, viele machen Urlaub. Das mag menschlich nachvollziehbar sein, aber eigentlich müsste die Devise lauten: Genau jetzt muss es eine Druckphase geben, um die Geschichten am Leben zu halten und weiter zu erzählen. Außerdem müssten Content-Abteilungen aufgebaut werden, also Abteilungen, die selbst medial produzieren. Ansonsten ist es schwer, neue mediale Plattformen zu bedienen. Viele Plattformen sind ja nur Content-Distributoren, sie produzieren nicht selbst.
Genau so einen Plan verfolgt das IOC mit seinem Olympic Channel.
Sicherlich soll den kleinen Sportarten zu einer größeren Aufmerksamkeit verholfen werden. Und zwar auch jenseits der Olympischen Wettbewerbe. Olympia bekommt ja zunehmend Konkurrenz durch E-Sport oder die wachsende Dominanz des Fußballs. Natürlich versucht das IOC gegenzusteuern, indem es weitere populäre Sportarten aufnimmt und seine vorhandenen Sportprodukte – auch medial – stärkt. Das ist eine durchaus nachvollziehbare Maßnahme. Meines Erachtens steht längst die Frage im Raum, ob die olympische Vision auch 2050 noch trägt. Es muss also dem IOC auch um die Stärkung der Olympischen Spiele und ihrer Kernbotschaften über die kommenden Jahrzehnte gehen.
Interview: Daniel Theweleit
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