Nr. 1/2019
Deutschland macht es seinen SpitzensportlerInnen schwer
Einkommen, berufliche Perspektiven oder Altersvorsorge: TopathletInnen im deutschen Sportsystem müssen zahlreiche Einschränkungen in Kauf nehmen.
Es war ein seltsamer Zufall, dass gerade eine Debatte über die Neigung einiger großer Sportstars zur Dekadenz tobte, als eine Studie von Professor Dr. Christoph Breuer, PD Dr. Pamela Wicker und Sören Dallmeyer vom Institut für Sportökonomie und Sportmanagement an der Deutschen Sporthochschule Köln veröffentlicht wurde. Der Fußballprofi Franck Ribéry hatte ein Bild von sich selbst mit einem vergoldeten Steak auf dem Teller gepostet, das Entsetzen war groß, Kommentatoren äußerten sich zur vermeintlichen Entrücktheit der Sportmillionäre mit ihren teuren Autos und ihren Urlauben auf Privatyachten, und in den Büros oder an den Stammtischen wurde leidenschaftlich mitdiskutiert.
Die Ergebnisse der Studie mit dem Titel „Die Lebenssituation von Spitzensportlern und -sportlerinnen in Deutschland“, die die Kölner WissenschaftlerInnen gemeinsam mit Dr. Michael Ilgner, dem Vorsitzenden der Deutschen Sporthilfe, durchgeführt hatten, erschien vor diesem Hintergrund noch einmal beeindruckender. Denn im Durchschnitt verdienen die deutschen Spitzensportlerinnen und -sportler laut der repräsentativen Umfrage gerade einmal 7,41 Euro in der Stunde. Ihre Arbeitszeiten wären für die meisten ArbeitnehmerInnen völlig inakzeptabel. Zählt man den Aufwand für Schule, Studium, Ausbildung oder Berufsausübung zu Trainings- und Wettkampfzeiten hinzu, kommen die AthletInnen auf eine 56-Stunden-Woche. „Wenn man diese Zahlen mit anderen Sektoren vergleicht und die Bedeutung des Spitzensports berücksichtigt, dann ist dieses Einkommen für so viel Aufwand natürlich sehr gering. An dieser Stelle wäre es möglicherweise sinnvoll, über zusätzliche staatliche und privatwirtschaftliche Fördermaßnahmen nachzudenken“, folgert PD Dr. Pamela Wicker aus den Ergebnissen.
Das Fundament dieser Erkenntnisse ist eine Befragung unter 4.253 KaderathletInnen, von denen 1.368 die Fragen beantworteten. In die Auswertung floss am Ende eine bereinigte Stichprobe von 1.079 Fragebögen ein, was der Studie eine sehr große Aussagekraft verleiht. Zielgruppe der Befragung waren alle AthletenInnen, die von der Stiftung Deutsche Sporthilfe entweder finanziell gefördert werden oder immaterielle Förderung erhalten (z.B. Versicherungsschutz, Services, kostenfreie Seminare zur Berufsorientierung, Umgang mit Medien, Zugang zum Sporthilfe-Karriereportal „Sprungbrett Zukunft“). Dass das durchschnittliche Einkommen dieser besten deutschen SportlerInnen deutlich unter dem gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland von aktuell 8,84 Euro liegt, erscheint auf den ersten Blick regelrecht empörend. Aber natürlich gibt es einige relativierende Aspekte.
So wurden auch Kadermitglieder aus der Gruppe der Zwölf- bis 18-Jährigen befragt. Menschen dieser Altersgruppe haben außerhalb des Sports gar kein oder nur ein sehr geringes Einkommen. Und auch der auf den ersten Blick enorme Arbeitsaufwand lässt sich erst durch Vergleiche mit Lebensentwürfen jenseits des Spitzensports einschätzen. Viele FreizeitsportlerInnen bewältigen ebenfalls eine 50-Stundenwoche, wenn sie beispielsweise eine Ganztagsschule besuchen, zweimal die Woche im Breitensportverein trainieren und an den Wochenenden an Wettkämpfen teilnehmen. Die Frage, ob die Gesellschaft, ihre Olympia- und WM-Stars angemessen würdigt, stellt sich dennoch. Denn „der Spitzensport in Deutschland produziert öffentliche Güter: nationale Repräsentation, Stolz, Glücksempfinden und Vorbilder", heißt es im Fazit der Studie, die das Bundesinstitut für Sportwissenschaft publiziert hat. Der Unterschied zu „den meisten anderen öffentlichen Gütern“ liege darin, dass „nicht der Staat und die Bevölkerung das Produktionsrisiko“ tragen, „sondern primär die AthletenInnen alleine“.
Diese Bedingungen können abschreckend wirken, wenn SportlerInnen vor der Entscheidung stehen, ob sie viel Energie in eine ungewisse Karriere und die vage Hoffnung investieren sollen, vielleicht irgendwann an Olympischen Spielen teilzunehmen. Viel zu oft erscheint es für die eigene Lebensplanung sinnvoller, alle Kräfte in Ausbildung, Studium und eine berufliche Karriere zu investieren. Und nicht zuletzt brechen etliche AthletInnen ihre Karrieren vorzeitig ab, um eine stabile berufliche Existenz aufzubauen, denn im Alter von 30 Jahren haben sie oft schon viel verloren. „Berücksichtigt man die sportbezogenen Ausgaben, so lässt sich für die Altersspanne von 18 bis 30 Jahren ein kumulierter Verzicht der AthletenInnen alleine beim Bruttoarbeitsverdienst (d.h. ohne beispielsweise weiteren Verzicht auf Altersvorsorge) von durchschnittlich 57.990 Euro berechnen“, schreiben die AutorInnen. Das macht deutlich, dass der verspätete Berufseinstieg oft auch zu deutlichen Abstrichen beim Aufbau einer stabilen Altersvorsorge führt.
Trotz solcher Einbußen sind die Sportlerinnen und Sportler allerdings ähnlich zufrieden mit ihrer Lebenssituation insgesamt wie der Rest der Bevölkerung. Nur mit einzelnen Aspekten wie dem Einkommen, der Freizeit und dem Familienleben sind sie weniger glücklich als Durchschnittsmenschen, die den Spitzensport vor allem für seinen großen Unterhaltungswert schätzen.
Text: Daniel Theweleit