Nr. 1/2019
Neuroenhancement in Schwerelosigkeit
Parabelflüge sind Flugmanöver, bei denen verschiedene Gravitationskräfte (G) erzeugt werden. Das Flugzeug fliegt eine Form, die einer Wurf-Parabel entspricht. Aus dem horizontalen Flug (1G) steigt das Flugzeug steil nach oben (1,8G). Am Scheitelpunkt, bevor es wieder im Steilflug nach unten fliegt (1,8G), herrscht für 22 Sekunden Schwerelosigkeit (0G). In der Wissenschaft werden Parabelflugkampagnen für verschiedenste Experimente genutzt, da sie unterschiedliche Bedingungen in einem sehr kontrollierten Raum ermöglichen.
Während man lange Zeit davon ausging – und auch viele Studien, unter anderem an Bord der ISS, darauf hinwiesen – dass es in Schwerelosigkeit zu Einbußen der kognitiven Leistungsfähigkeit kommt, zeigen aktuelle Studien aus dem Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, dass diese Einbußen vermutlich eher aufgrund von Isolation und gegebenenfalls Stress zu erklären sind. Eine aktuelle Studie belegt, dass die kognitive Leistung in Schwerelosigkeit verbessert ist und weniger neuronale Ressourcen braucht (Wollseiffen et al. 2016).
Eine der möglichen Erklärungen ist ein Anstieg der Gehirndurchblutung während Schwerelosigkeit (Schneider et al. 2013). Ob eine verbesserte Neurokognition während Schwerelosigkeit direkt mit der Durchblutung des Gehirns in Verbindung gebracht werden kann, hat Timo Klein, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft, untersucht.
„Es ist sehr erstaunlich, dass die kognitive Leistungsfähigkeit in Schwerelosigkeit erhöht und gleichzeitig die Gehirnaktivität reduziert ist. Dies lässt vermuten, dass das Gehirn in Schwerelosigkeit ökonomischer arbeitet, da weniger Ressourcen im Vergleich zu 1G benötigt werden, um die kognitive Aufgabe durchzuführen – das konnten wir konstant bei mehreren Parabelflugkampagnen feststellen“, erklärt Timo Klein. Um das herauszufinden, mussten die ProbandInnen einen kognitiven Test über mehrere Parabeln durchführen. Die Gehirnaktivität wurde mittels EEG-Kappen gemessen. Der kognitive Test bestand zum einen aus Rechenaufgaben am Computer-Bildschirm: Auf dem Monitor erschien jeweils rechts und links eine Rechenaufgabe und die ProbandInnen mussten möglichst schnell entscheiden, welche Aufgabe das höhere Ergebnis ergab. Gleichzeitig bekamen die ProbandInnen über Kopfhörer tiefe und hohe Töne vorgespielt und mussten reagieren, wenn ein hoher Ton ertönte. „Den Task haben wir in 0G und 1G durchgeführt. In Schwerelosigkeit war die Reaktionszeit signifikant kürzer bei gleichzeitiger geringerer Aktivität im Gehirn“, erklärt der Wissenschaftler. „Es scheint so zu sein, dass das Gehirn in Schwerelosigkeit besser arbeitet. Uns interessieren dabei die zugrundeliegenden Mechanismen, mit denen wir erklären können, warum das Gehirn in Schwerelosigkeit besser zu arbeiten scheint.“
Eine Annahme ist eine verbesserte Gehirndurchblutung während Schwerelosigkeit: Mehr sauerstoffreiches Blut fließt in das Gehirn, wodurch mehr Energie zur Verfügung steht, um den Task schneller durchzuführen. Um dies zu prüfen, wurde während der kognitiven Tests im Parabelflieger die größte Arterie im Gehirn (Arteria cerebri media), die ca. 70% des kompletten Gehirns durchblutet, mittels transkraniellen Ultraschalls untersucht. „In Schwerelosigkeit sahen wir eine globale Abnahme der Gehirnaktivität im Vergleich zur 1G-Kondition. Die gemittelte Gehirndurchblutung in der 0G- im Vergleich zur 1G-Phase zeigte jedoch keine Veränderung.“ Also haben sich die Wissenschaftler diese Phase der Schwerelosigkeit noch einmal genauer, Sekunde für Sekunde, angesehen. „Während 0G gleicht die Gehirndurchblutung einer Sinuskurve. Das ist entgegen der Annahme, die wir hatten. Die Gehirndurchblutung bleibt nicht konstant oder nimmt zu – es finden sehr komplexe Regulationsmechanismen der Gehirndurchblutung statt.“ Diese gilt es nun weiter zu erforschen.
Mit dieser Studie konnte nicht gezeigt werden, dass die Abnahme der Gehirnaktivität in 0G auf eine Erhöhung der Durchblutung der Arteria cerebri media zurückzuführen ist. Jedoch wahrscheinlich auf einen Anstieg des Blutvolumens im Gehirn, der die Bedingungen schafft für eine verbesserte energetische Versorgung des Gehirns . Die Erkenntnisse sind nicht nur für die Raumfahrt von Bedeutung, sondern auch für die Menschen auf der Erde. Im Alter steigt das Risiko der Entwicklung einer Demenz. Wir wissen heute, dass ein aktiver Lebensstil die Entwicklung einer dementiellen Erkrankung verhindert oder zumindest verlangsamt. Als ein möglicher Faktor gilt der Erhalt der arteriellen Flexibilität, wofür wiederum eine kontinuierliche und vor allem gute Versorgung des Gehirns mit Blut und Sauerstoff nötig ist. „Die genauen Ursachen sind vielfältig und bei weitem nicht hinreichend untersucht. Der Parabelflug bietet aber sehr gute Möglichkeiten, sich modellhaft an die zugrundeliegenden Mechanismen heranzutasten“, erklärt Timo Klein. „Wenn wir die Anpassungsmechanismen des Gehirns besser verstehen, verstehen wir vermutlich auch, wie sich zum Beispiel eine voranschreitende Demenz positiv beeinflussen lässt“, so Klein.
Text: Lena Overbeck
Kontakt
Timo Klein ist seit Mai 2021 nicht mehr an der Sporthochschule tätig.