Nr. 1/2020
Die unsichtbaren Sportlerinnen
Seit mehr als 20 Jahren forschen die Wissenschaftler*innen des Instituts für Soziologie und Genderforschung zur visuellen Kommunikation im Sport. Über Längsschnittstudien wollen sie herausfinden, ob sich die Sportberichterstattung über Männer und Frauen unterscheidet und wie sie sich verändert. Im Mittelpunkt ihrer Forschungsarbeit steht ein typisches Ungleichgewicht – der sogenannte „Gender Bias“.
Schlägt man den Sportteil von Tageszeitungen auf, sieht man vor allem Bilder von Männern. Athleten dominieren im Sport. Sollte man sich dann darüber wundern, dass sie vermehrt auch in der Zeitung abgebildet werden? Professorin Ilse Hartmann-Tews, Leiterin des Instituts für Soziologie und Genderforschung, sagt ja. Die Berichterstattung spiegele nämlich nicht die Sportentwicklung wider. Seit mehr als 20 Jahren forscht Hartmann-Tews zu soziologischen Phänomenen in der Sportberichterstattung. Gemeinsam mit ihrem Team untersucht sie mit Hilfe von Längsschnittanalysen, wie sich die Berichterstattung über Männer und Frauen im Sport unterscheidet. Ihr Ergebnis: Trotz sich annähernder Mitgliederanzahl im Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB), ähnlich vielen nationalen und internationalen Wettkämpfen und trotz gleich großen Erfolgs bei Sportgroßevents wie den Olympischen Spielen wird weniger über Frauen berichtet.
„In den Siebziger Jahren gab es die erste Untersuchung in Deutschland dazu, ob Sportlerinnen und Sportler in der Tagespresse gleichermaßen gewürdigt werden. Damals kam heraus, dass Sportlerinnen völlig unterrepräsentiert sind. Für uns war das der Anlass, diese Frage nochmal aufzunehmen; auch weil wir gesehen haben, dass Längsschnittstudien selten sind“, erklärt Hartmann-Tews den Forschungsansatz.
Seit den Olympischen Spielen in Sydney im Jahr 2000 untersuchen die Wissenschaftler*innen des Instituts für Soziologie und Genderforschung die visuelle Kommunikation im Sport deshalb in zwei Langzeituntersuchungen. Die eine betrachtet die Sportberichterstattung in der tagesaktuellen Presse über jeweils ein gesamtes Jahr hinweg (2000, 2010, 2017 und aktuell 2020). Die andere legt den Fokus auf die Berichterstattung, die punktuell im Rahmen der Olympischen Spiele erscheint.
„Aus internationaler Forschung zu dem Thema wurde deutlich, dass in der Olympia-Berichterstattung, beziehungsweise in der Berichterstattung über große Events, annähernd gleich viel über Männer und Frauen berichtet wird. Das kann man sich eigentlich auch ganz gut erklären. Sportlerinnen und Sportler nehmen gemeinsam an einem Event teil, die Veranstaltungen laufen parallel ab und Pressevertreter*innen sind sowieso da. Uns interessiert aber auch die Art der Berichterstattung, deshalb haben wir ein methodisches Instrumentarium entwickelt, das sowohl für die Analyse der Tagespresse als auch der Olympia-Berichterstattung passt“, erklärt Hartmann-Tews.
Beide Studien legen den Fokus auf die visuelle Inszenierung von Sportler*innen. Um die Art der Inszenierung zu erforschen, wurden die formalen, situativen und inhaltlichen Aspekte der abgedruckten Bilder und Bildunterschriften analysiert. Insgesamt haben die Forscher*innen während der letzten 20 Jahre in beiden Studien zusammen fast 4.000 Bilder und deren Bildunterschriften aus den überregionalen deutschen Tageszeitungen FAZ, BILD, Welt und Frankfurter Rundschau ausgewertet.
Sie wollten so herausfinden, wie oft über Frauen und Männer im Vergleich berichtet wird, inwiefern sich die Visualisierung unterscheidet und ob sich in den letzten 20 Jahren etwas verändert hat. Ein Schlüsselbegriff in Zusammenhang mit der Studie ist der sogenannte „Gender Bias“.
„Der Begriff Bias bezeichnet eine Verzerrung oder auch Befangenheit. Diese besteht in der Sportberichterstattung darin, dass über Sportlerinnen deutlich weniger berichtet wird als über Sportler, das heißt Sportlerinnen in der Presse marginalisiert werden. Das ist der quantitative Aspekt. Hinzu kommt eine qualitativ-inhaltlich andere Art der Visualisierung“, konkretisiert Hartmann-Tews.
Den „Gender Bias“ in der Sportberichterstattung zu analysieren, ist interessant, weil er eine Erklärung für die gesellschaftliche Wahrnehmung von Sport und seinen Akteur*innen liefern könnte. Je nachdem, in welchem Bedeutungsrahmen ein Thema nämlich platziert wird und wie der visuelle Aufhänger gestaltet ist, kann sich die Wahrnehmung der Leser*innen verändern. In der Kommunikationsforschung wird das als „Framing“ bezeichnet.
Framing – englisch für einrahmen – bedeutet, ein identisches Thema, beispielsweise mit Hilfe der Bildsprache, unterschiedlich einzubetten und damit das Deutungsraster der Leserinnen und Leser zu beeinflussen. Bezogen auf den Sport kann sich Framing so äußern, dass Sportler*innen zum selben Thema mit Hilfe zweier ganz unterschiedlicher Bilder portraitiert werden. Um beispielsweise einen sportlichen Erfolg oder Sieg zu vermelden, könnte man entweder ein spektakuläres Aktionsbild der entscheidenden Situation zeigen oder nur ein Portraitfoto der Person. Der erste visuelle Eindruck prägt die weitere Wahrnehmung.
„Wir haben in drei Kategorien untersucht, ob es qualitative Unterschiede zwischen der Berichterstattung über Frauen und Männer gibt. Das Spannendste an Sportfotografien ist ja, eine Person in Aktion zu sehen, also zum Beispiel beim Zweikampf im Fußball oder beim Korbleger im Basketball. Die erste unserer Bildanalyse-Kategorien war die Abbildung in einer sportartspezifischen Aktion. Die zweite Kategorie war, dass man eine Person auf dem Bild zwar im Sportkontext erkennt, sie aber nichts tut. Die Personen sitzen zum Beispiel am Spielfeldrand oder sind bei der Siegerehrung. Die dritte Kategorie war eine Abbildung der Person im außersportlichen Kontext, ohne dass man sie als Sportler*in erkennt, beispielsweise eine Darstellung im privaten Umfeld“, beschreibt Hartmann-Tews unterschiedliche Inszenierungsmöglichkeiten.
Die analysierten Bilder zeigen ein klares Ungleichgewicht in der Sportberichterstattung: Männer werden vorzugsweise in ihrer sportartspezifischen Aktion dargestellt, Frauen meist nur im sportlichen Umfeld oder in Situationen außerhalb des Sports, zum Beispiel Partnerschaft, Familie, Haushalt oder Schule – man denke an die strickende und Harfe-spielende zwölffache Biathlon-Weltmeisterin Magdalena Neuner. Die Untersuchungen zeigen auch, dass Frauen im Verhältnis deutlich seltener in der Sportberichterstattung dargestellt werden, vor allem in der Tagespresse. Überrascht hat die Forscher*innen, dass trotz steigender Zahl von Sportlerinnen seit den 1970er Jahren nicht entsprechend mehr über sie berichtet wird, sondern vielmehr seit 2010 wieder weniger Sportlerinnen abgebildet werden (1979 = 6% Bilder mit Sportlerinnen, 2000 = 12%, 2010 = 15%, 2017 = 9%). Der quantitative „Gender Bias“ ist bei der Berichterstattung zu den Olympischen Spielen deutlich geringer, aber auch hier wird über Sportlerinnen weniger und anders berichtet.
„Heute sind viel mehr Frauen sportlich aktiv und bei großen internationalen Sportevents holen Athletinnen aus Deutschland genauso viele, manchmal sogar mehr Medaillen als ihre Teamkollegen. Dementsprechend müssten die Leistungen auch in der Berichterstattung wertgeschätzt werden. Aber offenbar sind Sportjournalist*innen in gewisser Weise voreingenommen und reproduzieren das klassische Bild des Sport als ‚Männerdomäne‘“, erklärt Hartmann-Tews.
Wie sich eine verzerrte Sportberichterstattung auf die Leser*innen auswirkt, wurde bisher zwar noch nicht umfassend untersucht, aber einige Effekte lassen sich vermuten und sind in Studien des Instituts für Soziologie und Genderforschung auch bestätigt worden: Mädchen benennen weitaus weniger Vorbilder aus dem Bereich Sport als Jungen – vermutlich auch wegen der geringen medialen Präsenz von Sportlerinnen. Auch ein Zusammenhang zur sportlichen Aktivität ist denkbar, da nach wie vor mehr Jungen sportlich aktiv sind als Mädchen. Eine ausgewogenere und gendersensible Berichterstattung könnte allen Jugendlichen die Möglichkeit eröffnen, sich mit dem Sport und mit Sportler*innen zu identifizieren.
Ein Schritt in diese Richtung wäre, so Hartmann-Tews, die Thematisierung dieses offensichtlichen „Gender Bias" in den Redaktionen. „Die Selektionskriterien wie Aktualität, Spannung, Nationalität oder Erfolg, die den Sportjournalismus ausmachen, sollten im Mittelpunkt stehen und die Sportjournalist*innen müssten sich ihrer Voreingenommenheit zugunsten des Sports der Männer bewusst werden. Wir hoffen, dass dies in der Ausbildung der Sportjournalist*innen reflektiert wird“, sagt Hartmann-Tews.
Aber nicht nur hier gebe es Nachholbedarf. Oftmals beginne der „Gender Bias“ schon in Vereinen und Verbänden. Während auf Verbands-Websites detailliert und ansprechend über Sportler informiert wird, finde sich zu ähnlich erfolgreichen Frauen oft viel weniger Informationsmaterial. „Wenn der Bias bereits von Seiten der Fachverbände beginnt, dann setzt sich das im Sportjournalismus fort. Deshalb muss man nicht nur die Sportjournalist*innen mitnehmen, sondern auch die Akteure des Sportsystems“, verdeutlicht Hartmann-Tews.
Damit das in Zukunft gelingt, führt Professorin Hartmann-Tews ihre Längsschnittstudien weiter. Als nächstes legt sie den Fokus ihrer Untersuchung auf Unterschiede in der Berichterstattung verschiedener Zeitungen. Währenddessen steht sie immer wieder im Austausch mit Sportjournalist*innen und Sportverbänden. Dass der DOSB im vergangenen Jahr eine Tagung zur geschlechtergerechten Darstellung von Frauen in den Sportmedien durchgeführt und dabei auch herausragende Sportjournalistinnen gewürdigt hat, lässt sich als wertvoller Effekt dieses Netzwerkes einordnen.
Text: Marilena Werth
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