Nr. 2/2018
Blickverhalten von KampfrichterInnen
In technischen Sportarten wie Turnen, Eiskunstlaufen oder Turmspringen müssen die KampfrichterInnen – manchmal in Millisekunden – Fehler erkennen und Abzüge markieren, um die Qualität der Leistung und somit ein wettbewerbsfähiges Urteil bestimmen zu können. WissenschaftlerInnen der Deutschen Sporthochschule Köln haben jetzt untersucht, inwieweit das Lizenzlevel der KampfrichterInnen und das Niveau als ehemalige Turnerin bzw. ehemaliger Turner einen Einfluss auf die Beurteilung hat und ob es sich im Blickverhalten der KampfrichterInnen widerspiegelt.
In der Studie wurden 35 KampfrichterInnen (ein Mann) gebeten, einen Handstütz-Sprungüberschlag mit halber Drehung am Sprungtisch zu beurteilen. Die KamprichterInnen wurden nach zwei verschiedenen Kriterien eingestuft: Beurteilung von Fachwissen und spezifische motorische Erfahrung (SME). Die Gruppe mit SME (n=18) umfasste KampfrichterInnen, die in der Lage waren, das Element selbst zu turnen. Die Gruppe ohne SME (n=17) schloss KampfrichterInnen ein, die die Übung nicht ausführen konnten. Die Beurteilungsexpertise war in beiden Gruppen ähnlich. Alle KampfrichterInnen hatten eine offizielle Lizenz für die Beurteilung im Gerätturnen (Level A bis Level D).
Um die Beurteilungssituation für alle KampfrichterInnen gleich zu gestalten, wurden Videoclips mit einer Hochgeschwindigkeitskamera erstellt. Sieben Turnerinnen führten jeweils sechs Handstütz-Sprungüberschläge durch. Aus diesen Übungen wurden drei herausgesucht, die unterschiedliche Fähigkeiten und Bewertungskriterien aufwiesen, die die KampfrichterInnen normalerweise auch im Wettkampf sehen. Die Dauer der Clips betrug ca. 4,27 s. Für alle Videoclips wurden Referenzwerte durch detaillierte Videoanalysen in Zeitlupe ermittelt. Basierend auf den Bewertungen von drei ExpertInnen (zweithöchste nationale Ebene), die die Clips so oft ansehen konnten, wie sie wollten, wurde eine durchschnittliche Punktzahl abgeleitet, die den endgültigen Referenzwert ergab.
Um das Blickverhalten der KampfrichterInnen zu messen, wurden Eye-Tracking-Brillen verwendet, die die Augenbewegungen aufzeichnen. Zusätzlich kam ein Fragebogen zum Einsatz, zur Beurteilung der Erfahrung der KampfrichterInnen und der sportmotorischen Fähigkeit. Abgefragt wurden beispielsweise die Anzahl der Jahre als aktiver Kampfrichter bzw. aktive Kampfrichterin, die Anzahl der Einsätze pro Jahr oder ob sie das im Video gezeigte Element beherrschen.
Nachdem die TeilnehmerInnen den Fragebogen ausgefüllt hatten, wurden sie gebeten, nach den Kriterien des Internationalen Turnerbundes (Fédération Internationale de Gymnastique) die Überschläge zu bewerten. Nach der Instruktion startete die Eye-Tracking-Aufzeichnung. Nach drei Eingewöhnungsvideos mussten die 35 KampfrichterInnen 21 Videoclips in zufälliger Reihenfolge bewerten.
Alle KampfrichterInnen zeigten eine gute Beurteilungsqualität, mit einer mittleren Abweichung von 0,66 vom Referenzwert. Während der gesamten Turnübung lag die durchschnittliche Anzahl der Fixationen der KampfrichterInnen an der Turnerin bei 5,48 (SD = 0,77), mit der höchsten Anzahl von Fixationen während der Stützphase. Die KampfrichterInnen verweilten durchschnittlich 1,18 s (SD = 0,16) auf der Turnerin, wobei der Mittelwert der Videoclips 1,98 s betrug. Insgesamt richteten die KampfrichterInnen daher 60% ihrer Beobachtungszeit auf die Turnerin.
Bezogen auf die Ausgangsfragestellung, inwieweit das Lizenzlevel der KampfrichterInnen einen Einfluss auf die Beurteilung hat und ob es sich im Blickverhalten der RichterInnen widerspiegelt, ergaben sich folgende Ergebnisse: Die Auswertungen zeigen eine bessere Leistung bei KampfrichterInnen mit einem höherem Lizenzniveau im Vergleich zu KampfrichterInnen mit einem niedrigeren Lizenzlevel und mehr Fixationen während der Landephase, speziell auf den Kopf und die Arme der Turnenden. SME hat keinen Einfluss auf die Beurteilungsleistung; KampfrichterInnen mit SME zeigen jedoch ähnliche Blickmuster wie KampfrichterInnen mit einem hohen Lizenzniveau, allerdings mit einem verstärkten Fokus auf die Füße der Turnerinnen.
Das Fazit der StudienleiterInnen: Überlegene Beurteilungsperformance scheint sich in einem spezifischen Blickverhalten niederzuschlagen. Dieses Blickverhalten scheint teilweise auf die eigenen sensomotorischen Erfahrungen der KampfrichterInnen für diese Fähigkeit zurückgeführt werden zu können. Aus praktischer Sicht deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Beurteilung der Leistung durch die Anwendung spezifischer Blickstrategien verbessert werden könnte. SupervisorInnen könnten KampfrichterInnen trainieren, um sich auf bestimmte Teile des Körpers zu konzentrieren, um eine höhere Beurteilungsgenauigkeit zu erreichen. Durch die visuelle Steuerung der Blickmuster von KampfrichterInnen könnte die Beurteilung der Leistung verbessert werden.
AutorInnen: Dr. Alexandra Pizzera (Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik), Dr. Carsten Möller (Deutsche Sporthochschule Köln, Institut für Kommunikations- und Medienforschung), Prof. Henning Plessner (Universität Heidelberg, Institut für Sport und Sportwissenschaft)
Die AutorInnen bedanken sich bei Franziska Baehr und Sylvia Kling für ihre Unterstützung bei der Datenerhebung und -analyse sowie allen RichterInnen und Turnerinnen für ihre Teilnahme.
Text: Lena Overbeck
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