Nr. 2/2021
Fußball-Sponsoring: Corona als Chance
Die Corona-Pandemie beeinflusst, wie wir Fußballspiele erleben. Ohne Zuschauer*innen fehlt die klassische Stadion-Atmosphäre. Für Wissenschaftler*innen aus der Sportökonomie bieten die Einschränkungen einen Mehrwert: Erstmals konnten sie den Effekt von Zuschauer*innen auf das emotionale Spielerlebnis genau abbilden. Das ermöglicht auch Aussagen darüber, wie erfolgreich Werbemaßnahmen noch sind, wenn die Zuschauer*innen im Stadion fehlen.
Können Sie sich noch an das letzte Fußballspiel erinnern, das Sie im Fernsehen gesehen haben? Was stand auf der LED-Werbebande, die um den Spielfeldrand platziert ist? Wenn Sie das noch wissen, haben die Sponsoren, die auf den Banden werben, eines ihrer Ziele erreicht. Sie wollen gesehen und wahrgenommen werden – bei Fußball-Werbung im Idealfall im hochemotionalen Kontext. Die Emotionen des Spiels sollen sich möglichst direkt auf die Marke übertragen.
Die Frage: Lohnt sich Bandenwerbung auch während Corona?
Doch wie funktioniert das? Lohnen sich die zigtausende an Euro, die Werbetreibende jährlich für Bandenwerbung ausgeben? Und wie ist das in Zeiten von Corona, in denen die Stimmung der Zuschauer*innen fehlt? Wissenschaftler*innen des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement haben dazu im vergangenen Jahr ein Quasi-Experiment durchgeführt, also ein Experiment, bei dem die Versuchspersonen nicht zufällig, sondern bewusst nach einer konkreten Eigenschaft – in dem Fall ihre Affinität zum Fußball – ausgewählt werden.
Die Ergebnisse der Studie wurden jetzt in dem Paper „Professional Clubs as Platforms in Multi-Sided Markets in Times of COVID-19: The Role of Spectators and Atmosphere in Live Football“ beim MDPI (Multidisciplinary Digital Publishing Institute) veröffentlicht. Für Erstautorin Elisa Herold und ihre Kolleg*innen hat die Corona-Situation einige zunächst unerwartete Vorzüge gebracht. „Ursprünglich war geplant, dass wir unsere Datenerhebung ausschließlich bei Spielen mit Zuschauer*innen durchführen. Die Corona-Pandemie eröffnete jetzt für uns jedoch die einmalige Chance, den Faktor Zuschauer*innen bewusst zu isolieren. Dadurch konnten wir den Effekt der Zuschauer*innen untersuchen, während alle anderen Faktoren gleichblieben“, sagt Elisa Herold.
26 Proband*innen wurden bei Live-Spielen umfassend untersucht
Im Experiment untersucht wurden 26 Proband*innen während sie ein Live-Spiel ihrer Lieblingsmannschaft aus der Saison 2019/2020 schauten. Ein Teil der Teilnehmer*innen verfolgte das Spiel noch vor den Corona-Einschränkungen mit Zuschauer*innen, der andere Teil ohne. Ein recht neuer Ansatz aus der Sportökonomie, wie Elisa Herold beschreibt, ist, dass die Teilnehmer*innen die vollen 90 Minuten anschauen: „Häufig werden in solchen Untersuchungen sequenzierte Videoaufzeichnungen genutzt, die das Live-Spielerlebnis nicht vollständig imitieren können.“ Ein Live-Spiel komplett zu schauen, sei realistischer.
Um während des Spiels auf die Sekunde genau abbilden zu können, wie die Versuchsteilnehmer*innen auf das Spielgeschehen reagieren, ob sie Emotionen zeigen, abgelenkt sind oder wohin sich ihr Blick richtet, ist ein umfangreicher Versuchsaufbau nötig. Für die Untersuchung wurden die Proband*innen in einem vorher definierten Abstand zu einem Fernseher platziert und mit einem Herzfrequenz-Messgerät ausgestattet. Im Versuchsaufbau steht ein sogenannter „Eye-Tracker“ vor ihnen, der die Augenbewegung sekundengenau erfasst. So kann das Blickverhalten später bei der Auswertung auf definierte Areale (AOIs – Areas of Interest) im Fernsehbild übertragen werden. Pro Spiel ergeben sich rund 5.400 Blick-Sekunden, die anschließend analysiert werden. Jede Blick-Sekunde wird dazu während des Experiments über ein Computer-Programm mit dem Spielgeschehen und der Herzfrequenz synchronisiert. Daten zu den Live-Wettquoten des jeweiligen Spiels helfen, die Spannung auch unabhängig von der Herzfrequenz der Teilnehmenden objektiv einzuschätzen. Liegen die Quoten weit auseinander, ist das ein Anhaltspunkt dafür, dass das Ergebnis absehbar und das Spiel weniger spannend ist.
Der Spielverlauf ist entscheidend für die Wahrnehmung der Werbung
Interessant für die Untersuchung waren vor allem die Einstellungen, in denen Bandenwerbung zu sehen ist. Schaut ein/e Proband*in im Laufe des Spiels auf diesen Bereich (Area of Interest), so wird ein sogenannter „Gaze Hit“ registriert. „Die Gaze Hits auf die Areas of Interest waren nicht in jedem Spiel gleich verteilt. Es waren Spiele dabei, die vermehrt Gaze Hits aufwiesen und welche, bei denen die Werbung weniger beachtet wurde. Unsere Ergebnisse zeigen, dass dies deutlich abhängig vom Spielverlauf und vor allem vom Spannungsgrad des Spiels ist“, erklärt Elisa Herold. Dass ihre Untersuchung dieses Ergebnis zeigt – ganz unabhängig davon, ob Zuschauer*innen im Stadion sind oder nicht – hat die junge Wissenschaftlerin überrascht: „Die Studie hat gezeigt, dass das Hauptaugenmerk der Zuschauer sehr wahrscheinlich zu großen Teilen auf dem Spielgeschehen selbst liegt. Natürlich erreichen Sponsoren und Medienvertreter*innen in gewisser Weise eine erhöhte Sichtbarkeit durch den Fußball, haben jedoch auf das Kerngeschehen – das Spiel – gar keinen so großen Einfluss.“
Eine Unsicherheit, die charakteristisch ist für Werbung im Sport, wie Elisa Herold beschreibt. Die drei großen Märkte – Medien, Sponsoren und Zuschauer*innen – müssen hier die Balance zwischen Spannung, Reichweite und Sichtbarkeit finden, um so das Spielerlebnis gemeinsam positiv zu beeinflussen. Nur dadurch funktioniert das System – von dem alle Beteiligten profitieren – erfolgreich weiter. Wie stark dieses Netzwerk durch die Zuschauer*innen im Stadion beeinflusst wird, hätte ohne die Einschränkungen der Corona-Pandemie nicht gleich gut untersucht werden können.
Sponsoren werden momentan im Zweifel sogar mehr gesehen
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Gerade bei ruhigen Spielen haben die Zuschauer*innen im Stadion einen positiven Einfluss auf das Spielerlebnis. Sie fördern Emotionen. Die LED-Bandenwerbung hingegen wird bei Spielen ohne Zuschauer*innen stärker wahrgenommen; am besten bei Gleichstand und gegen Ende des Spiels, also dann, wenn nicht mehr viel auf dem Platz passiert. Ist also ein langweiliges Spiel am besten für Sponsoren? „Es ist immer eine Frage der Balance. Sponsoren wollen gesehen werden, brauchen dafür aber erstmal mediale Reichweite. Diese wird besser durch spannende Spiele generiert. Die Frage ist deshalb eher“, sagt Herold: „Wie viel Spannung wird benötigt, um noch genügend Aufmerksamkeit zu bekommen?“
Für die Praxis des Sponsorings im Fußball leitet die junge Wissenschaftlerin aus ihren Daten einige Handlungsempfehlungen für die Herausforderungen durch Corona ab: „Sponsoren verlieren durch die Corona-Pandemie im Zweifel gar nicht so viel Aufmerksamkeit, wie man vielleicht erwarten würde, weil weniger Zuschauer*innen im Stadion sind. Vor allem, wenn man die erste und zweite Bundesliga betrachtet, geht es in erster Linie um die Sichtbarkeit der Sponsoren bei TV-Zuschauer*innen. Im Zweifel werden diese Sponsoren momentan sogar mehr gesehen, weil der Ablenkungsfaktor ‚Zuschauer*innen‘ wegfällt. Wenn es nur darum geht, gesehen zu werden, ist jetzt der ideale Zeitpunkt zum Werben. Wenn man aber mit der Werbung ein anderes Ziel verfolgt, zum Beispiel eine Emotionalisierung der Marke, dann wird es aktuell schwieriger.“
Weitere Untersuchungen sollen den Fokus auf das Spielgeschehen legen
In den weiteren Untersuchungen, als Teil ihres Promotionsprojekts, will Elisa Herold den Fokus noch mehr auf das Spielgeschehen legen: Wie wird Werbung bei einem Foul oder während eines Eckstoßes wahrgenommen? Gibt es Situationen, in denen sie besser wahrgenommen wird? Ziel ihrer kumulativen Dissertation ist es, Faktoren zu identifizieren, die das Sponsoring im Fußball beeinflussen und mehr darüber zu erfahren, wie und wann Marken visuell wahrgenommen werden. Dass es vielversprechend sein könnte, das konkrete Spielgeschehen näher zu beleuchten, zeigt die aktuelle Veröffentlichung und der berühmte Ausspruch von BVB-Legende Adi Preißler: „Grau is' alle Theorie – entscheidend is' auf'm Platz.“
Text: Marilena Werth