Nr. 2/2022

„Wir sollten den Mut haben, Dinge laut und einfach zu erklären“

Seit rund 44 Jahren ist Univ.-Prof. Dr. Ingo Froböse an der Sporthochschule, er wollte nie weg. Vielen ist Froböse durch das Morgenmagazin und die Rubrik „Sportschlau“ bekannt, dort beantwortet er Fragen rund um Sport, Bewegung und Gesundheit. Durch seine Medienarbeit ist er zu einem der Gesichter der Sporthochschule geworden. Mit Leib und Seele hat er sich dem Thema Gesundheit verschrieben, sowohl persönlich als auch wissenschaftlich. Er bezeichnet sich selbst als einen etwas anderen Wissenschaftler mit einem etwas anderen Blick auf sein Forschungsfeld. Was für ihn Gesundheit bedeutet, woher sein Talent zum Erklären kommt und wie er gleichzeitig belastbar, produktiv und ausgeglichen sein kann, das erzählt er im Interview.

Herr Froböse, vor vielen Jahren haben Sie begonnen, im Fernsehen die ersten Expertenrollen zu übernehmen. Wann haben Sie erkannt, dass Sie ein Talent fürs Erklären haben?

(lacht) Das rührt tatsächlich aus meiner eigenen Studienzeit. Damals habe ich die alte Schule genossen: verdiente Professoren in großen Vorlesungen ohne viel Interaktion, also eher distanziert und wenig nahbar. Während meiner Promotion habe ich häufig das, was mir Kommilitonen fremder Disziplinen erzählt haben, nicht richtig verstanden. Da habe ich gemerkt: Du musst das anders machen, Du musst das Erklären lernen. So habe ich für mich den Anspruch entwickelt, anders zu unterrichten, also schon lange bevor ich in die Medien kam.

Man kann Sie mittlerweile durchaus als Medienprofi bezeichnen. Wie kam es dazu?

In meiner aktiven Zeit als Sprinter hatte ich zwar schon mit den Medien zu tun, habe Interviews gegeben, aber das habe ich damals gar nicht so gerne gemacht. Dann kam 2009 das ARD-Morgenmagazin auf mich zu; ich hatte damals den deutschlandweit ersten Lehrstuhl für Prävention an der Sporthochschule. So durfte ich die Rolle als Experte zum Thema Gesundheit übernehmen, weil ich sozusagen als Erstgeborener dieses Thema besetzt habe.

Die Themen, mit denen Sie in den Medien auftauchen, sind sehr breit gefächert. Es wurde schon kritisiert, Sie hätten zu allem etwas zu sagen. Ärgert Sie solche Kritik?

Ich reagiere da eher gelassen. Ich weiß ja, was die Kolleg*innen meinen und ich kann die Kritik nachvollziehen. Aber: In den Formaten – und da bin ich wieder beim Erklären – geht es gar nicht darum, hochwissenschaftliches Know-how zu präsentieren. Es geht darum, dass Omma Kasuppke aus Recklinghausen versteht, was ich in drei Minuten erzähle. Und: Medien, vor allem das Fernsehen, brauchen Gesichter, und die dürfen möglichst nicht so oft wechseln. Das ist eine der wichtigen Regeln, wie Medien funktionieren.

Nervt es Sie nicht, dass sich die Gesundheitsfragen ständig...

Was hält mich fit und schlank? Wie nehme ich am besten ab? Welcher Sport passt zu mir? Nervt es Sie nicht, dass sich die Gesundheitsfragen ständig wiederholen?

Nerven weniger, aber es wundert mich und ernüchtert mich auch, vor allem ist es tragisch. Gesundheit ist zwar in der Bevölkerung ein ganz wichtiges Thema, aber Vieles scheint bei den Menschen noch nicht angekommen zu sein. Daher denke ich, dass wir den Mut haben sollten, Dinge laut und einfach zu erklären. Denn das ist das, was da draußen ankommen muss: einfache und verständliche Botschaften.

Ihnen scheint das zu gelingen. Die Menschen kennen Sie, sie glauben Ihnen. Was ist Ihr Geheimnis?

Viele Menschen empfinden mich scheinbar als sehr nahbaren, unkomplizierten Typen. Ich gehe mit offenen Augen durch die Welt, komme authentisch rüber, das führt offensichtlich dazu, dass ich Menschen erreiche. Und dann stellen sie mir Fragen zu ihren ganz persönlichen Gesundheitsgeschichten. Wenn ich den Menschen helfen kann, macht mir das einfach Freude, es ist eine Erfüllung und genau das, warum ich diese Arbeit so gerne mache. Das ist meine Rolle in den letzten Jahren geworden. Viele meiner Kolleg*innen sind viel bessere Wissenschaftler*innen als ich; ich bin eher der anwendungsorientierte Wissenschaftler.

Von der Ausbildung her sind Sie Sportwissenschaftler. Welche Berufsbezeichnung würden Sie sich heute geben?

Ich persönlich finde die Bezeichnung Gesundheitswissenschaftler passender. Denn die Facette Sport habe ich deutlich überschritten, auch wenn ich originär aus dem Spitzensport komme, in dem ich aber nie meine berufliche Heimat gesehen habe. Neben Sportwissenschaften habe ich Wirtschaftswissenschaften bis zum Vordiplom und auch ein paar Semester Medizin studiert. Als ich dann dauerhaft an der Sporthochschule bleiben und habilitieren konnte, habe ich diese Dinge fallengelassen.

Wie sind Sie letztlich zu Ihrem großen Schwerpunkt, der Gesundheit, gekommen?

Ich war im ersten Studienjahrgang mit dem Schwerpunkt Rehabilitation. Promoviert habe ich bei Professor Kurt-Alphons Jochheim, dem deutschen Rehabilitationsmediziner schlechthin. Von ihm habe ich von der Pieke auf ganz viel über Rehabilitation gelernt. Dennoch habe ich meine wissenschaftliche Ausbildung mehr als ‚Studium generale‘ verstanden, denn gerade Gesundheit hat ja so viele Facetten: ökonomische, ökologische, individuelle. Diese Vielschichtigkeit hat mich schon immer fasziniert, den Menschen und seine Gesundheit als Ganzes zu betrachten.

Am 7. April ist Weltgesundheitstag. Wie definieren Sie Gesundheit für sich persönlich?

Gesundheit ist deutlich mehr, als wir sie heute in der Gesellschaft verstehen. Gesundheit ist nicht nur die Abwesenheit von Krankheit, sondern es ist für mich der Zustand einer optimalen individuellen Lebensqualität und des Wohlbefindens. Ich sehe Gesundheit als interdisziplinäres Konstrukt, in welches ganz viele Teilaspekte hineinwirken. Angelehnt an Nietzsche: Gesundheit ist, wenn ich mit meinen vielen kleinen Problemchen im Leben wunderbar klarkomme. Damit hat er recht und so lebe ich Gesundheit.

Was heißt das in Ihrem Leben konkret?

Lebensqualität ist mein allerhöchstes Ziel, das ich auf allen Ebenen erreichen möchte. Dieses Prinzip verfolge ich sehr restriktiv und diszipliniert, manchmal fast schon extrem. Ich treibe sechsmal pro Woche Sport, achte sehr auf meine Ernährung, schlafe idealerweise neun Stunden. Das heißt: Ich habe mein Leben schon sehr klar ausgerichtet, aber nicht mit dem Ziel Gesundheit, sondern mit dem Ziel, persönlich optimal leben zu können.

Was geben Sie als Professor jungen Wissenschaftler*innen mit auf den...

Was geben Sie als Professor jungen Wissenschaftler*innen mit auf den Weg?

Ein Hochschullehrer ist dann erfolgreich, wenn seine Studierenden besser werden als er selbst. Mir geht es hierbei nicht um Spezialistentum, denn das ist Gesundheit nicht. Gesundheit beim Menschen bezieht sich auf drei Ebenen: die Verhältnisse, in denen wir leben, das Verhalten, das wir individuell an den Tag legen, und das Verständnis. Diese drei Dimensionen gebe ich meinen Studierenden und Mitarbeiter*innen als Leitlinien für ihre wissenschaftliche Arbeit mit. Am Ende sollte immer ein Ergebnis stehen, das nicht nur der Sportwissenschaft hilft, sondern das den Menschen hilft.

An welchen Forschungsprojekten arbeiten Sie und Ihr Team derzeit?

Ein Forschungsfeld, in dem wir schon sehr lange unterwegs sind, ist die Ergonomie. Wir helfen dabei, Produkte zu entwickeln, die Menschen bei ihrer Tätigkeit unterstützen, ihren Arbeitsprozess und ihre Leistungsfähigkeit verbessern. Aktuell machen wir das für einen Zahnarztstuhl. Auch schon viele Fahrradsättel haben wir mitkonzipiert. Seit vielen Jahren beraten wir Kommunen und Städte, wie sie Räume, Plätze, Wege, Verkehr gesünder gestalten können. Unter dem Titel ‚Return to Competition‘ entwickeln wir einfache Testverfahren, die geeignet sind, Sportler*innen nach einer Verletzung wieder sicher ins Training zurückzubringen. Die AG Bewegungsbezogene Präventionsforschung befasst sich mit der betrieblichen Gesundheitsförderung, weil Gesundheit ganz stark am Arbeitsplatz stattfindet.

Sie und Ihr Team waren vor etwa acht Jahren die Ersten, die sich mit der Gesundheit von eSportler*innen beschäftigt haben. Was ist für Sie das Spannende daran?

Dem Thema haben wir uns angenommen, weil wir mit offenen Augen durchs Leben gehen. Und die Jugend von heute sitzt nun mal an der Konsole und vorm PC – das ist eine Jugendkultur. Für unser Fach ist es eine wichtige Aufgabe, sich wissenschaftlich damit zu befassen. Wir haben zunächst geschaut, was beim Gaming überhaupt körperlich passiert. Und dann haben wir Befragungen zu verschiedene Schwerpunkten gemacht, zum Beispiel zur Ernährung oder ganz aktuell zu den Beschwerden der Zielgruppe. Das Projekt hat also auch eine starke pädagogische Komponente.

Welche Fragestellung würden Sie gerne noch bearbeiten?

Zum einen möchte ich gerne das Thema Stressresilienz bearbeiten. Warum sind Menschen resilient, also widerstandsfähig, und wie werden sie es? Sport und Bewegung scheinen dabei eine große Rolle zu spielen. Auch der Regeneration möchte ich mich stärker widmen. Im Sport wissen wir, wie wichtig sie ist, aber im Alltag vernachlässigen wir sie oft.

Sind Sie selbst stressresilient?

Sind Sie selbst stressresilient?

Ja, ich bin ein sehr ausgeglichener Mensch, aber auch hochbelastbar und diszipliniert. Das schaffe ich nur, weil ich mir Auszeiten nehme und extreme Ruhephasen erlaube. Ich habe einen wahnsinnig straffen und strukturierten Terminkalender, immer ein Jahr im Voraus geplant, im Prinzip wie ein Trainingsplan. Hier wechseln sich Phasen von hoher Belastung und Phasen der Ruhe systematisch ab. Da kommt auch kein Blatt dazwischen. Dieses Prinzip macht mich stressresilient.

Sie sind Autor vieler Bücher, wie viele sind es mittlerweile?

Gut 40 sind es jetzt, jedes Jahr schreibe ich zwei. Von klassischen Trainingsratgebern über Gesundheitsratgeber bis zu populärwissenschaftlichen Sachbüchern. Mein Ansatz auch dabei: Menschen müssen nicht behandelt werden, sondern sie müssen selber handeln lernen.

Verraten Sie uns ein paar Tipps aus Ihrem neuesten Buch, dem ‚Stoffwechsel-Kompass‘?

Der Hintergrund des Buches ist, dass viele Menschen über 50 über Probleme klagen, die sie auf ihren Stoffwechsel zurückführen. Das Buch rückt diesen ins richtige Licht. Es widmet sich der Muskelmasse, unserem Stoffwechselmotor. Gerade ab 50 schwindet die Muskelmasse aus den unterschiedlichsten Gründen schneller und stärker. Das Buch gibt Tipps, wie sich Muskelmasse erhalten lässt: Inaktivität reduziert Muskelmasse, Aktivität fördert Masse – damit hat es jede*r selbst in der Hand.

Sie sind seit Kurzem 65 Jahre alt. Wie alt fühlen Sie sich?

Also kleiden tue ich mich ja wie ein Vierzigjähriger. (lacht) Die meisten Menschen fühlen sich etwa 13 Jahre jünger als sie sind. Das kommt auch bei mir ganz gut hin, vielleicht sind es sogar 15 Jahre.

Sie sind früher die 100m in 10,4 Sekunden gesprintet. Sie waren zwei Jahre im Bobsport aktiv. Und Sie lassen auch mal ganz gerne auf dem Mountainbike ‚die Sau raus‘. Welche sportliche Herausforderung würde Sie noch reizen?

Eine Alpenüberquerung würde mich interessieren, entweder mit dem Rennrad oder Mountainbike, vielleicht auch zu Fuß. Meine Frau und ich lieben die Alpen total, fahren seit 40 Jahren an den Gardasee. Aus dem Leben in den Bergen ziehen wir ganz viel Lebensenergie.

Welches Projekt möchten Sie noch angehen, wenn Sie mehr Freizeit haben?

Das Bücherschreiben setze ich auf jeden Fall fort, für die nächsten drei Jahre sind die Themen schon gesetzt: die Heilkraft der Muskeln, Körperwahrnehmung und die schönen Seiten des Alters. Und dann möchte ich irgendwann mal einen Krimi schreiben, einen Sportkrimi. Der Sport bietet schließlich Abgründe ohne Ende.

Interview & Text: Julia Neuburg

Fotos: Sebastian Bahr

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