Nr. 2/2023

Beachvolleyball und Führungskompetenz: von der Profisportlerin zur Professorin

Welche Fähigkeiten sind entscheidend, um erfolgreich Beachvolleyball zu spielen? Körperliche Fitness, taktisches Verständnis, Technik – klar. Aber auch die kognitiven Fähigkeiten sind nicht zu unterschätzen. Stefanie Klatt muss es wissen. Sie ist nicht nur eine national und international erfolgreiche Volley- und Beachvolleyballspielerin, sondern auch Sportwissenschaftlerin und Hochschullehrerin. In welchen Situationen können Spieler*innen mehrere Dinge gleichzeitig wahrnehmen? Wie treffen Sportler*innen schnell richtige Entscheidungen? Anhand welcher Informationen können sie antizipieren, wohin der nächste Ball kommt? Mit solchen Fragen befasst sich Stefanie Klatt in ihrer Forschung und auch, wenn sie mit ihrer Beachpartnerin im Sand steht.

Prof. Dr. Stefanie Klatt leitet die Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Sporthochschule und besetzt hier ab dem 1. April 2023 die W2-Professur „Trainings- und Bewegungslehre in den Sportspielen“. Ihr Forschungsgegenstand sind die Sportspiele; in diesem Feld interessiert sie vor allem, welche Rolle die kognitiven Fähigkeiten spielen, die Spieler*innen, Trainer*innen und Schiedsrichter*innen in diesen Sportarten mitbringen. „Die Besonderheit der Sportspiele liegt aus meiner Sicht in ihrer Situationskomplexität, das heißt in dem Zusammenspiel von Mit- und Gegenspieler*innen und den Umweltbedingungen. Wahrnehmung, Antizipation, Aufmerksamkeit – all das und noch deutlich mehr sind kognitive Prozesse, die in unserem Gehirn in sportlichen Situationen ablaufen und unsere Leistung beeinflussen“, erklärt die 37-jährige Wissenschaftlerin.

Besonders intensiv hat sich Stefanie Klatt in ihrer bisherigen wissenschaftlichen Laufbahn mit der Aufmerksamkeitsforschung beschäftigt. „Im Rahmen meiner Promotion zum Attention-Window-Modell bin ich der Frage nachgegangen, bis wohin Menschen ihren visuellen Aufmerksamkeitsfokus maximal ausrichten können. Dazu haben wir einen Labortest entwickelt, der den Einfluss verschiedener Faktoren, wie Motivation, Emotionen und körperliche Belastung, auf die Aufmerksamkeitsleistung erfasst. Ein Ergebnis ist zum Beispiel, dass der Aufmerksamkeitsfokus um ein Vielfaches kleiner ist als das visuelle Feld, und denjenigen Bereich umfasst, in dem wir etwas bewusst wahrnehmen können“, erklärt Klatt.

Wie weit kannst du sehen?

In den Sportspielen müssen Athlet*innen oder Schiedsrichter*innen oft mehrere Aktionen gleichzeitig wahrnehmen und dann die bestmögliche Entscheidung treffen. Ein Schiedsrichter-Assistent im Fußball etwa muss den ballführenden Spieler während der Ballabgabe im Blick haben und gleichzeitig den Spieler vor dem Tor, für den der Ball gedacht ist, um dann – möglichst zuverlässig und richtig – auf Abseits oder Nicht-Abseits zu entscheiden. Je nachdem, wie weit diese beiden Aktionen auseinanderliegen, kann der Assistenz-Schiedsrichter dies aber gar nicht beurteilen, weil diese außerhalb seines Aufmerksamkeitsfensters liegen. Klatt konnte mit dem Modell zeigen, dass der Prozentsatz korrekter Abseitsentscheidungen signifikant abnimmt, wenn der Winkel zwischen den beiden Punkten größer als 35 Grad ist. Aufbauend auf diesem Modell und mit Hilfe von Eye-Tracking-Systemen erforschen sie und ihr Team in verschiedenen Sportspielen Antizipations-, Blick- und Positionierungsstrategien und führen Interventionsstudien durch. Eye-Tracking-Systeme werden in der Forschung eingesetzt (mittlerweile auch als mobile Geräte in Form von Brillen), um Blickbewegungen aufzuzeichnen und das Blickverhalten zu analysieren. Das Attention-Window-Modell und weitere von Klatt mitentwickelte Modelle (beispielsweise das POST-Modell, ein Modell zur Periodisierung von Fertigkeitstraining in Mannschaftssportspielen, oder zum koordinierten Blickverhalten) kommen in den höchsten Ligen und größten Verbänden verschiedener Sportspiele zur Anwendung.

„Mit dem Deutschen Basketball Bund und der Deutschen Basketball Liga haben wir erst kürzlich ein vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft gefördertes Projekt abgeschlossen“, nennt Klatt ein Beispiel. „Ziel war es, unter Einbezug kognitiver und physischer Leistungsfaktoren ein Anforderungsprofil für Basketball-Schiedsrichter zu erstellen. Mittels Eye-Tracking haben wir unter anderem das Blickverhalten der drei Schiedsrichter*innen auf dem Feld über die gesamte Spieldauer erfasst. Außerdem haben wir eine Analyse der Laufdistanzen und -belastungen während der Viertel durchgeführt.“ Die Erkenntnisse aus dem Projekt sollen zukünftig auf andere Sportspiele übertragen werden. Vor allem gehe es aber im nächsten Schritt um die Entwicklung entsprechender Trainingsprogramme.

Interaktion von Kognition und Motorik

Kognitive Fähigkeiten analysiert die Wissenschaftlerin immer in der Bewegung, also im Zusammenspiel von Kognition und Motorik, wozu sie auch gerade ein Buch herausgebracht hat. „Wir fragen uns zum Beispiel, wie man sich idealerweise positionieren sollte, um die bestmögliche Sicht auf die Mitspieler*innen zu haben. Oder, ob wir aus der Körperhaltung eines Gegenspielers ableiten können, was er als nächstes macht. So haben wir etwa mittels Eye-Tracking am Beispiel Basketball feststellen können, dass sich die kognitiven Fähigkeiten je nach Erfahrungsstand in einer Sportart unterscheiden“, schildert Klatt. Personen, die noch nicht so lange Basketball spielen (die Forschung nennt sie Novizen) nehmen eher den Kopf der Gegenspieler*innen oder den Ball in den Blick – Informationsquellen, die wenig über das weitere Spielgeschehen aussagen. Expert*innen hingegen achten eher auf andere Körperteile, etwa die Hüftstellung des Gegenspielers. Klatt veranschaulicht: „In welche Richtung ist seine Hüfte geöffnet? Wohin macht er den nächsten Schritt? Diese Infos sind viel wichtiger, um die Bewegung und damit das Spielgeschehen antizipieren können.“

Ihre eigenen Erfahrungen im Leistungssport motivierten Stefanie Klatt dazu, Sportwissenschaft zu studieren: „Ich habe damals gemerkt, dass nicht nur das körperliche Training wichtig für den Erfolg im Volley- und Beachvolleyball ist, sondern dass man noch viel mehr erreichen kann, wenn man an seinen kognitiven Fähigkeiten arbeitet und mental gut aufgestellt ist. Damit wollte ich mich näher beschäftigen“. So kam die gebürtige Oberhausenerin 2004 zum Studium nach Köln und ist seitdem ein „Kind der Sporthochschule“. Während des Studiums begann sie, als Hilfskraft am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an Forschungsprojekten mitzuarbeiten und erhielt so Einblicke in die praktische wissenschaftliche Arbeit. Es folgte die Promotion (mehrfach preisgekrönt), dann die Juniorprofessur, und 2017 übernahm sie die Leitung der Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung. Dies war besonders prägend, erinnert sie sich: „Unabhängig eine eigene Abteilung zu leiten, den wissenschaftlichen Nachwuchs aktiv zu fördern, selbst entscheiden zu können, welche Forschungsschwerpunkte wir setzen, mit welchen Partnern wir zusammenarbeiten, welche Anträge wir stellen, das war ein extremer Autonomieschritt.“

Weitere 30 Jahre an der Spoho …

Ab dem 1. April 2023 ist sie Universitätsprofessorin für Trainings- und Bewegungslehre in den Sportspielen. Die Aussicht, weitere 30 Jahre an der Sporthochschule zu arbeiten, findet Klatt großartig: „Seit dem allerersten Tag meiner Studienzeit fühle ich mich an der Spoho super wohl. Der Sport war und ist einfach mein Leben und das kann ich hier perfekt ausleben.“ Zwar weiß sie auch ihre Aufenthalte an der Universität Rostock (Vertretungsprofessur und Leitung des Lehrstuhls für Bewegungswissenschaft 2020 2021) und der University of Brighton (Heinrich-Hertz- und DFG-Forschungsstipendium 2018 2019) zu schätzen; besonders an der Sporthochschule ist für Klatt aber das breite Spektrum sportwissenschaftlicher Expertise: Zu jeder noch so feinen Facette der Sportwissenschaft gebe es eine Expertin bzw. einen Experten, man könne besonders detailliert an einzelnen Forschungsfragen arbeiten und hätte ideale Bedingungen und Infrastruktur. „Außerdem genieße ich den Campus und die Atmosphäre total. Ich freue mich riesig über diese Stelle auf Lebenszeit. Die Professur gibt unserem Team zum einen mehr Sicherheit, weil wir langfristiger planen können. Zum anderen gibt sie mir auch Freiräume, weitläufiger zu denken.“

Mit der Universitätsprofessur wird sie sich in der Lehre mehr engagieren, mehr Verantwortung übernehmen, Lehrangebote weiterentwickeln und sich noch stärker hochschulpolitisch einbringen. Gerade wurde sie für eine weitere Amtszeit in den Senat gewählt. Die Arbeit mit Doktorand*innen und die Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses ist ein weiterer Schwerpunkt. In der Forschung möchte sie sich vor allem für Themen und Projekte einsetzen, die sehr nah an der Praxis sind. „Wir arbeiten schon jetzt sehr eng mit Vereinen und Verbänden zusammen. Wir nehmen deren Anliegen auf, hören, welche Fragen sie stellen und versuchen, Antworten zu liefern. Am Schönsten ist es, wenn wir am Ende sehen, dass das, was wir erforscht haben, in der Praxis ankommt, umgesetzt wird und weiterhilft“, erklärt sie. Dabei möchte sie auch die Herausforderung annehmen, Forschung im Feld und mit realitätsnahen Settings zu betreiben, das heißt, Projekte möglichst anwendungsnah durchzuführen. „Ich komme ja selbst aus dem Leistungssport und weiß, dass es große Unterschiede gibt, ob ich etwas im Labor oder in der realen sportlichen Situation teste. Das macht die Sportspielforschung extrem herausfordernd, aber auch extrem spannend“, so Klatt.

Immer 100 Prozent, immer ehrgeizig und zielstrebig

Volleyball- und Beachvolleyballspielerin, Sportwissenschaftlerin, Hochschullehrerin – in dieser Reihenfolge wird Stefanie Klatt in ihrem Wikipedia-Eintrag beschrieben. Mittlerweile haben sich ihre Prioritäten geändert. Jahrelang habe der Sport an erster Stelle gestanden. Sie spielte erfolgreich bei nationalen und internationalen Turnieren, wurde 2007 Studenteneuropameisterin und 2010 Neunte bei der EM, auch letztes Jahr spielte sie mit ihrer Partnerin Anna Hoja bei der Deutschen Meisterschaft und belohnte sich am Ende mit einem guten fünften Platz. Aktuell trainiert sie regelmäßig und hält sich fit, auch wenn die sportlichen Ziele für die anstehende Sommersaison noch nicht definiert sind. „Mittlerweile haben sich die Prioritäten verschoben, die Familie steht definitiv an erster Stelle und natürlich die Arbeit an der Hochschule. Für mein Team bin ich rund um die Uhr erreichbar.“ Generell ist Stefanie Klatt keine, die halbe Sachen macht. Immer 100 Prozent, immer ehrgeizig und zielstrebig. Mal Fünfe gerade sein lassen, das fällt ihr schwer. Sie kontrolliert und organisiert gerne. Als „Managerin vieler Prozesse“ bekommt sie so alles gut unter einen Hut; gute Kommunikation, viele Absprachen und ein funktionierendes privates Netzwerk helfen dabei. Ihre Führungsposition an der Hochschule ist somit gar nicht so weit entfernt von ihrer Rolle auf dem Beachfeld. „Beim Beachvolleyball stehst du nur mit einer Partnerin auf dem Feld, bist somit immer in der Verantwortung, musst immer aufmerksam sein und in Bruchteilen von Sekunden Entscheidungen treffen.“ Aber genau das ist ja auch ihr Ding: die Interaktion von motorischen und kognitiven Fähigkeiten.

Text: Julia Neuburg

Kurzvita

Stefanie Klatt (geb. Hüttermann, 10. Juni 1985 in Oberhausen) ist Professorin für Trainings- und Bewegungslehre in den Sportspielen. Seit 2017 leitet sie die Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik. Ihre Themenschwerpunkte liegen in der leistungsorientierten Analyse und Optimierung von Trainings- und Bewegungsabläufen unter Berücksichtigung kognitiver Faktoren in den Sportspielen. Für besondere Forschungsleistungen erhielt sie 2015 den Reinhard-Daugs-Förderpreis der DVS-Sektion Sportmotorik, den DVS-Publikationspreis sowie den Karl-Hofmann-Forschungspreis und im Jahr 2016 den DOSB-Wissenschaftspreis. Im Jahr 2020 wurde sie zudem aufgrund herausragender wissenschaftlicher Leistungen an der University of Brighton als Honorary Research Fellow ernannt. Zusätzlich zu ihrer akademischen Laufbahn hat Stefanie Klatt viele Jahre auf der höchsten nationalen und internationalen Beachvolleyball-Tour gespielt und hat die höchste Trainerlizenz in diesem Sport.

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