Nr. 3/2017
Im Interesse der Macht
Der Internationale Leichtathletik-Verband (IAAF) war in den vergangenen Monaten Gegenstand vieler Diskussionen. Präsident Sebastian Coe wird vorgeworfen, allzu zaghaft auf die Berichte über Dopingpraktiken in der russischen Leichtathletik reagiert zu haben, und sein bis 2015 amtierender Vorgänger Lamine Diack sah sich mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Dr. Jörg Krieger vom Institut für Sportgeschichte/Zentrum für Olympische Studien hat nun Ergebnisse einer Archivrecherche veröffentlicht, die illustrieren, wie Funktionäre der IAAF bereits in den 1970er Jahren begannen, mit der Hilfe von Förderprogrammen für Drittweltländer eigene Interessen zu untermauern und durchzusetzen.
Hintergrund der Fördermaßnahmen waren, neben der Unterstützung von weniger gut entwickelten Sportnationen, von Anfang an auch übergeordnete Interessen von Einzelpersonen oder von Seilschaften innerhalb der Organisation. In seiner Arbeit “’The Sole Anti-Democratic Federation in the Entire Olympic Movement’: Early International Association of Athletics Federations Development Initiatives Between Commercialization and Democratization, 1974–1987,” über die IAAF zeigt Dr. Jörg Krieger, wie in den 70er und 80er Jahren Strukturen geschaffen wurden, die einen demokratischen Anschein hatten und eigentlich für mehr Gerechtigkeit sorgen sollten. Dabei geht er insbesondere auf IAAF-Förderprogramme ein, die die sportliche Infrastruktur in benachteiligten Regionen verbessern sollten.
Allerdings waren die Initiativen häufig so zugeschnitten, dass sie vorwiegend bestimmten Personen und Interessen nutzten. So wird erkennbar, dass wirtschaftliche Dynamiken die Entstehung solcher Konstrukte forcierten und Entwicklungsprogramme für Drittweltländer als Instrument zur Machtsicherung Einzelner dienten. „Die Betrachtung der frühen Geschichte von IAAF-Hilfsprogrammen verdeutlicht, dass die Verbandspräsidenten, Ratsmitglieder und Nationalverbände die Entwicklungsaktivitäten als Spielfeld der Macht benutzten“, heißt es im Resümee des Papers, das im „International Journal of the History of Sport“ erschienen ist. Die eigentliche Sportförderung hatte dagegen bis Mitte der 80er Jahre keine klare Konzeption.
Als Quelle für diese Erkenntnisse dienen bisher unbekannte Protokolle und Korrespondenzen aus den Archiven der IAAF und der Deutschen Sporthochschule Köln. Auf der Grundlage dieser Dokumente diskutiert Krieger den Wandel des Weltverbandes im Kontext der zunehmenden Kommerzialisierung und definiert drei Perioden zwischen 1974 und 1987. In einer ersten Phase von 1974 bis 1977 entstand die Idee, mit einem Teil der wachsenden Einnahmen die Sportentwicklung in ärmeren Ländern zu fördern. Doch schon in dieser frühen Phase „entpuppte sich die Initiative als Mittel zum Zweck der führenden Personen der IAAF“, heißt es in dem Paper. Die eigentliche Funktion der Fördermaßnahmen habe auch in der Befriedigung der wachsenden Ansprüche von Funktionären aus Afrika, Asien und Ozeanien gelegen. In der zweiten Phase zwischen 1977 und 1983 wurden die Entwicklungsprogramme vor allem benutzt, um den wachsenden Geldbedarf der IAAF zu rechtfertigen. Und in der dritten Phase ab 1984 erkannte der neu gewählte IAAF-Präsident Primo Nebiolo in den Fördermaßnahmen das Potenzial, seinen eigenen Status zu sichern.
Denn Anfang der 80er Jahre begann die Vorherrschaft großer Leichtathletiknationen wie Westdeutschland, Großbritannien, Sowjetunion oder USA zu bröckeln. Kleinere Länder drängten auf eine Reform des Wahlsystems der IAAF: Jede Nation sollte eine Stimme und damit genauso viel Einfluss bekommen wie die großen Sportnationen, die zuvor alle wichtigen Prozesse durch ein komplexes Stimmenvergabeverfahren lenken konnten. Die IAAF sei „der einzige anti-demokratische Verband innerhalb der olympischen Bewegung“, hatte zum Beispiel der äthiopische Sportpolitiker Fekrou Kidane in einem offenen Brief geklagt. Nebiolo verdoppelte seinerzeit das Budget für Entwicklungsprogramme von 150.000 auf 300.000 Dollar, „es scheint, als habe er diese Maßnahme ergriffen, um sich die Unterstützung der kleinen Nationen zu sichern“, schreibt Krieger. Unter dem wachsenden Druck vor allem afrikanischer Mitglieder empfahl der Präsident dann tatsächlich das „Eine Stimme pro Land“-Prinzip, das ihm später dabei half, „seine Macht zu sichern und langfristig im Amt zu bleiben“, heißt es in der Veröffentlichung.
Text: Daniel Theweleit