Nr. 3/2017
Intensives Intervalltraining für MS-Patienten
Schon längere Zeit weiß man in der Medizin, dass Sport positive Effekte für das Gehirn hat. Daher sind Sportprogramme auch für Patienten, die an Multipler Sklerose (MS) leiden, bereits fest etabliert. Im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Abteilung molekulare und zelluläre Sportmedizin, erforschen Univ.-Prof. Dr. Wilhelm Bloch und Dr. Dr. Philipp Zimmer den Einfluss, den Sport und Bewegung auf diese chronische Erkrankung des zentralen Nervensystems ausüben. In einer neuen Studie haben sie überraschende Ergebnisse zu Tage gefördert, wie MS-Patienten von einem hochintensiven Intervalltraining profitieren können.
Ein einzigartiges Studiendesign, ein hervorragendes Untersuchungssetting und neue Erkenntnisse dazu, wie die Entzündungsreaktion ins Gehirn gelangt, machen die aktuelle Studie zu einem Aushängeschild. Seit rund sechs Jahren beschäftigen sich die beiden Wissenschaftler schon mit der MS-Forschung. Sehr erfolgreich arbeiten sie dabei mit den Kliniken Valens in der Schweiz zusammen, einer auf neurologische Erkrankungen spezialisierten Privatklinik, die stets an neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert ist. Schon vor einigen Jahren führte Bloch dort mit MS-Patienten eine Studie durch, mit der sie die Effekte eines Wasserimmersionstrainings, d.h. eines Ausdauertrainings im Wasser auf dem Aquabike, untersuchten und zeigen konnten, dass sich diese Trainingsform positiv auf die neuroregenerativen Prozesse der Patienten auswirkt.
In der neuen Studie gingen Bloch und Zimmer noch einen Schritt weiter: Sie untersuchten die Effekte eines hochintensiven Intervalltrainings (HIT) im Vergleich zu einem moderateren Ausdauertraining (CT). Ihre Hypothese: Die MS-Patienten, die drei Wochen lang das intensive Programm absolvieren, würden signifikant bessere klinische und biologische Effekte zeigen als die Kontrollgruppe, die das konstante Ausdauertraining durchführte. „Unsere HIT-Gruppe absolvierte dreimal pro Woche ein Intervalltraining auf dem Fahrradergometer, kurz und intensiv, das heißt, fünf Belastungsintervalle von jeweils drei Minuten mit je 90 Sekunden Pause dazwischen“, skizziert Philipp Zimmer das Workout. Im Gegensatz dazu trainierte die CT-Gruppe fünfmal pro Woche eine halbe Stunde auf dem Fahrradergometer mit moderater, konstanter Belastung. „Das Training der Interventionsgruppe war zwar deutlich belastungsintensiver, andererseits hatten die Probanden mehr Zeit zur Regeneration, das heißt mehr Zeit für die physiologische Umsetzung des Trainingsreizes“, erklärt Wilhelm Bloch die Trainingsphilosophie.
Bloch und Zimmer nahmen an, dass sich die kognitive Leistungsfähigkeit der MS-Patienten, die im Laufe der Erkrankung abnimmt, in beiden Gruppen verbessern würde, in der HIT-Gruppe allerdings stärker als in der CT-Gruppe. „In der Interaktion zeigte sich, dass das HIT mit Blick auf das verbale Gedächtnis deutlich überlegen war. Die HIT-Gruppe zeigte bessere Ergebnisse beim Erinnerungsvermögen und der Konzentrationsfähigkeit als die CT-Gruppe“, beschreibt Zimmer die Ergebnisse, die die Wissenschaftler auch erwartet hatten. Bloch: „Wir haben hier eine relativ neue Theorie verfolgt, die besagt, dass das Gehirn kein reiner Glucoseverbrenner ist, sondern sich auch ganz ordentlich von Laktat ernähren kann. Mit dem Intervalltraining laden die MS-Patienten ihr Gehirn also wie an einer Energie-Tankstelle mit Laktat auf. Wenn die Patienten intensiver trainieren, tanken sie besser auf.“ Dies wirke sich bei dem angegriffenen Nervensystem der Patienten positiv auf die Gehirnstrukturen aus – Futter fürs Gehirn also.
Neben den Kognitionstests hatten die Wissenschaftler in der Untersuchung auch verschiedene Biomarker erfasst, um einige biologische Prozesse genauer zu betrachten. Insbesondere untersuchten sie, welche Rolle die so genannten Matrix-Metalloproteasen (MMPs) für die Pathologie der MS spielen. „Hier liegt der spannendste, weil überraschendste Befund der Studie“, deutet Zimmer an. MMPs sind Botenstoffe, die dafür sorgen, dass bestimmte Barrieren aufgeschlossen werden. Bei MS-Patienten haben die MMPs eine negative Wirkung auf die Blut-Hirn-Schranke. Generell sorgt diese Blut-Hirn-Schranke dafür, dass nur sehr wenige im Blut befindliche Nähr- und Botenstoffe sowie Immunzellen ins Gehirn gelangen – sie bildet also eine Barriere. Bei MS-Patienten funktioniert diese Barrierefunktion nicht einwandfrei, die MMPs sind höher konzentriert, schließen die Barriere besser auf, sodass Immunzellen die Blut-Hirn-Schranke passieren können und endzündliche Prozesse im Gehirn, genannt Neuroinflammation, auslösen. „Dass regelmäßiger Sport antientzündlich wirkt, ist nicht neu. Allerdings wurden Veränderungen von Barrierefunktionen bislang kaum berücksichtigt. Unsere Hypothese mit Blick auf die MMPs war, dass eine Trainingsintervention das MMP-Niveau verringern kann, dadurch die Blut-Hirn-Schranke dichter wird, weniger Inflammationen im Gehirn ankommen und somit der Patient weniger zentrale Entzündung erfährt“, erklärt Zimmer. „Die Studie konnte diese Annahme nun bestätigen“, ergänzt Bloch. Innerhalb des Untersuchungszeitraums von drei Wochen habe sich zeigen lassen, dass sich die MMPs auf einem niedrigeren Grundwert stabilisieren. „Das ist ein toller Befund, weil wir damit objektiv begründen können, warum MS-Patienten ein intensives Trainingsprogramm machen sollten“, so Bloch. „Bei MS gibt es eine einfache Formel: Je weniger Neuroinflammation, desto weniger Schäden am Gehirn. Umso weniger Anfälle, umso besser für den Patienten“, erklärt er. Das Ergebnis zu den MMPs zeige nun deutlicher, wie die Inflammation ins Gehirn gelangt, was bislang noch sehr unklar war. Allerdings sei diese Erkenntnis nicht nur für die Multiple Sklerose relevant, sondern für eine ganze Reihe neurodegenerativer Erkrankungen, bei denen entzündliche Prozesse eine Rolle spielen, z.B. Alzheimer.
Die Wissenschaftler haben die Ergebnisse in einem Paper verarbeitet, das sich derzeit im Review-Prozess eines renommierten Fachmagazins befindet. Sie erwarten, dass die Publikation einen hohen Stellenwert erreichen und auf großes Interesse stoßen wird. Von vielen Fachkollegen erhielten sie bereits sehr positive Rückmeldungen. Insbesondere das einzigartige Studiendesign, welches die Standards für klinische Studien sehr genau beachtet, wurde gelobt. „Manche Kollegen haben sogar gesagt, das sei die weltweit beste Studie in diesem Bereich“, sagt Bloch stolz. Auch das Feedback aus der Praxis freut die Forscher. Die Kliniken Valens würden das Untersuchungsdesign konsequent umsetzen. „Die Klinik ist ein echter Schrittmacher auf dem Gebiet und wenn die ihr Sportprogramm umstellt, werden bestimmt einige Einrichtungen nachziehen“, vermutet Bloch. Eine Win-Win-Situation für die Klinik und die Forscher, denn mit dem wissenschaftlich affinen Partner in der Schweiz haben Bloch und Zimmer immer gute Chancen, neue Ideen einzubringen. Folgeprojekte in der Schweiz stehen bereits in den Startlöchern.
Text: Julia Neuburg
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