Nr. 3/2023
Der Gipfel des Glücks
Wann wird Sport zu einem Erlebnis? Und welche Rolle spielt dabei der Raum, der genutzt wird? Eine Interview-Studie mit ambitionierten Freizeit-Kletter*innen und Läufer*innen hat die Wechselbeziehungen zwischen Sporterfahrungen und den in den Destinationen, also Reisezielen, angebotenen Räumen und Orten untersucht. „Die Ergebnisse können unter anderem für einen nachhaltigen Tourismusgewinn genutzt werden, aber auch für Anbieter von entsprechenden Sportevents hilfreich sein, wenn Kenntnisse darüber vorliegen, wann Sportler*innen ihre optimalen Erlebnisse haben“, erläutert Studienleiterin PD Dr. Kirstin Hallmann.
„Einzigartige Momente sind, wenn ich in Grönland laufe und ein Rentier die Strecke kreuzt oder wenn ich durch Dörfer in China laufe und chinesische Kinder mir die Hand entgegenstrecken.“ So schildert Studienteilnehmer Benjamin seine Glücksmomente beim Laufen. Für Kletterer Michael gibt es verschiedene Gefühle des „endgültigen Glücks“. Sie beziehen sich auf unmittelbare Gefühle während oder nach der Aktivität, wie z. B. das Gefühl, etwas erreicht zu haben (den Gipfel erreicht zu haben) und Erleichterung (alle sind in Sicherheit). Außerdem beziehen sie sich auf die Bewertung nach der Reise, wenn er die Erfahrung aus seinem Gedächtnis abruft.
Insgesamt 24 halbstrukturierte Interviews wurden im Rahmen der Studie geführt, die im Scandinavian Journal of Hospitality and Tourism erschienen ist. Der Original-Titel der Publikation von PD Dr. Kirstin Hallmann lautet: Interrelationships of landscapes, sportscapes and sport experiences in destinations. Unter den interviewten Sportler*innen waren 9 Läufer und 5 Läuferinnen, das Durchschnittsalter der Läufer*innen betrug 41 Jahre (zwischen 21 und 78). Unter den 10 Kletter*innen waren 5 Frauen und das Durchschnittsalter lag bei 29 Jahren (zwischen 19 und 52). Bei den Befragten handelte es sich nicht um Spitzensportler*innen. Alle trieben Sport als Freizeitbeschäftigung, wobei einige von ihnen gelegentlich auch an Wettkämpfen (z.B. Marathon) teilnahmen. „Wir haben uns für die Sportarten Klettern und Laufen entschieden, weil es Individualsportarten sind und weil man hier die Unterschiede zwischen künstlich geschaffenen Sportmöglichkeiten, zum Beispiel der Kletterhalle, und Sportmöglichkeiten in natürlicher Umgebung, zum Beispiel dem Fels, gut ausarbeiten konnte“, erläutert Hallmann. Die Wissenschaftlerin des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement ergänzt: „Sport ist eine sehr beliebte Freizeitaktivität - nicht nur bei Touristen, auch bei Einwohnern. Die Bedeutung von Orten für das Sporterleben muss besser verstanden werden, um beurteilen zu können, inwieweit sie für einen nachhaltigen Tourismus und eine regionale Entwicklung genutzt werden kann.“
Die Ergebnisse der Interviews zeigen, dass Ort und Raum für das Sporterlebnis wesentlich sind. „Dass man draußen sein kann, dass man an dem schönsten Ort der Welt sein kann und tolle Aussichten genießen kann, das ist toll.“ So beschreibt es Kletterer James. Kletterin Elizabeth bestätigt das und schildert, wie schön es ist, auf dem Gipfel eines Berges zu stehen und die Aussicht und die Natur zu genießen. Läufer Gregory: „Ich verbinde meinen Sport immer mit Reisen. Mit meinem Sport komme ich in sehr wilde Ecken der Welt.“ Alle Befragten schufen eine affektive Bindung an die Landschaft, in der sie ihren Sport ausüben. Hallmann erklärt: „Mit affektiver Bindung ist das subjektiv emotionale Erleben von Zusammengehörigkeit gemeint. Die Ergebnisse zeigen, dass Läufer und Kletterer eine starke Verbindung zu den Orten haben, an denen sie ihren Sport ausüben und diese entscheidend für ein positives Sporterleben sind.“ Dabei werden gebaute Umgebungen in Landschaften, wie zum Beispiel Routen für Kletter*innen, mehr geschätzt als Sporthallen oder Stadien. Läufer Matthew: „Ich erlebe Flow nur auf Wegen im Wald oder in den Bergen. Auf der Rennbahn, beim Intervalltraining, tritt er nicht auf."
Ein weiterer wichtiger Punkt beim Sporterleben ist die soziale Interaktion. Sowohl die Kletterer*innen als auch die Läufer*innen gaben an, es als besonders „emotional“ und „wertvoll“ zu empfinden, die Leidenschaft und den Erfolg teilen zu können. „Einen Marathon mit Tausenden von Menschen zu laufen, kann ein Gefühl der Zusammengehörigkeit schaffen. Das sind extreme und intensive Gefühle, die ich noch nie erlebt habe“, schildert Anne. Elizabeth: „Was das Klettern zu einem Erlebnis macht, sind die Leute, die mit mir klettern.“ Es ist das gemeinsam Erreichte – das Laufen über die Ziellinie oder das Erklimmen des gleichen Gipfels. Hallmann erläutert: „Erlebnisse sind dadurch gekennzeichnet, dass sie in einem bestimmten Moment der Zeit passieren. Auf der anderen Seite hat Erlebnis aber auch viel mit Erfahrung zu tun. Man kann das Erlebte durch Gespräche mit denjenigen, die dabei waren, immer wieder aus dem Gedächtnis hervorziehen und sich daran erfreuen.“ Läuferin Anne schildert es so: „Die Glücksgefühle können eine Weile anhalten. Ich lebe noch immer von einigen dieser Erlebnisse.“ Bezogen auf die Raumdimension bedeutet das, dass Orte mit bedeutungsvollen Erfahrungen verbunden und für die Regionalentwicklung wichtig sind, da sie von Sportler*innen und Sporttourist*innen als Attraktion wahrgenommen werden. Hallmann nennt ein Beispiel: „Der Köln-Marathon ist bekannt für seine gute Stimmung und zahlreichen Zuschauer, die an der Strecke stehen und den Läufern zujubeln. Andere Laufevents führen durch Stadien, über Brücken und vorbei an städtebaulichen Attraktionen und bieten den Läufern zugleich noch die Möglichkeit, die Stadt zu erkunden. Das Laufevent bietet den Raum, in dem soziale Interaktion stattfinden kann.“ Gleichzeitig ist Laufen auch ein Mittel der Erkundung. Laufen kann das Wissen über einen Ort erweitern. Laufveranstaltungen bieten beispielsweise neue Einblicke, da die Läufer*innen Brücken und Straßen erobern, die normalerweise befahren werden. Gleiches gilt für Kletter*innen: Ihr Radius ist größer und die Perspektive auf den Ort eine andere. Dadurch werden einzigartige (soziale) Räume erlebt.
Zusammenfassend zeigen die Ergebnisse, dass Ort und Raum für das Sporterlebnis wesentlich sind und in einer Wechselbeziehung zueinanderstehen. Aus ökonomischer Sicht lassen sich mit diesem Wissen Zusammenhänge ableiten, die für Kommunen von entscheidender Bedeutung sind, wenn es um die Gestaltung von touristischen Räumen und Sportlandschaften geht. „Der Gedanke, dass Landschaften aus Sicht der Sportler Attraktionen sind, muss von den Destinationsmanagern besser für die Entwicklung genutzt werden“, sagt Hallmann. Die Regionalentwicklung sollte unberührte Gebiete in ihre Planung einbeziehen. Maßnahmen zur Besucherlenkung seien in dieser Hinsicht entscheidend. „Vor dem Hintergrund, dass die nicht bebaute Umwelt von Sportlern bevorzugt wird, sollte Zugang zu unberührter Landschaft ermöglicht werden, damit Erlebnisse stattfinden können.“ Reiseziele, die besondere Sporträume und -plätze anbieten, könnten in Betracht ziehen, kleinere Veranstaltungen anzubieten bei gleichzeitiger Wahrung einer angemessenen Nachhaltigkeit für die Landschaften, so die Wissenschaftlerin. Künftige Untersuchungen sollten laut Hallmann auch andere Sportarten einbeziehen. Zusätzlich könnten die Auswirkungen dieser räumlichen Erfahrungen auf die physische und psychische Gesundheit der Sportler*innen interessant sein.
Text: Lena Overbeck
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Kirstin Hallmann
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