Nr. 4/2018
Wissenschaft per Smartphone
Im Rahmen eines der Projekte des Graduiertenkollegs „Eingeschränkte Mobilität im Alter“, unter der Leitung von Univ.-Prof. Dr. Otmar Bock, ist es Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern vom Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie der Deutschen Sporthochschule gelungen, ein Verfahren zu entwickeln, mit dem sich Bewegungen älterer Menschen sehr genau messen lassen. Nicht unter Laborbedingungen, sondern in einem „Real-Live“-Kontext über einen längeren Zeitraum hinweg.
Eleftheria Giannouli hat für ihr Dissertationsprojekt, betreut durch Univ.-Prof. Dr. Wiebren Zijlstra, ein Verfahren zur Messung der realen Aktivität älterer Menschen in und außerhalb ihrer häuslichen Umgebung verwendet. „Dieses Thema ist wirklich sehr, sehr trendy“, sagt Giannouli. Denn wenn ältere Probandinnen und Probanden in ein steriles Labor kommen, um mit verschiedenen Verfahren ihre körperliche Leistungsfähigkeit testen zu lassen, bleibt ein ganz zentraler Faktor unberücksichtigt: Sie agieren unter sehr kontrollierten Bedingungen, sind in der Regel keinen Gefahren ausgesetzt, agieren unter Aufsicht in einer unnatürlichen Motivationslage und befinden sich in einer übersichtlichen Situation.
Deshalb wollten Giannouli und ihre MitstreiterInnen am Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie ein Verfahren entwickeln, das die Mobilität älterer Menschen in ihrer Alltagsumgebung misst. Und sie waren mutiger als viele ihrer Kolleginnen und Kollegen, als sie beschlossen, einen Versuch zu starten, der auch kläglich hätte scheitern können. Statt bewährte, aber ungenaue Messverfahren – etwa mit Sensoren bestückte Armbänder – anzuwenden, entwickelten sie eine Methode, die es möglich macht, sehr genaue Daten über die tatsächliche Aktivität der ProbandInnen in ihrem Alltag zu erhalten.
Mit Hilfe von einem am Rücken befestigten Smartphone und zwei speziell programmierten Apps sollten eine Woche lang alle Aktivitäten und Bewegungen der Versuchsteilnehmerinnen und -teilnehmer aufgezeichnet werden. „Es hätte sein können, dass die älteren Leute da gar nicht mitmachen“, sagt Giannouli „oder dass sie von der Bedienung der Technik überfordert sein würden“. Eine Gruppe Studierender wurde darauf vorbereitet, den Probandinnen und Probanden intensiv dabei zu helfen, die Geräte richtig anzulegen, einzustellen und aufzuladen. Doch fast alle der über 150 VersuchsteilnehmerInnen haben die Smartphones ohne viel Unterstützung eine komplette Woche lang korrekt benutzt.
Ein GPS-Tracker ermittelte die täglich zurückgelegte Distanz, den Lebens- bzw. Bewegungsraum (den sogenannten Life-Space) rund um die Wohnung und den durchschnittlichen sowie maximalen Aktivitätsradius. Die an der Universität Bologna entwickelte Spezial-App, die gleichzeitig auf dem Smartphone lief, erhob die Zeiten, in denen die VersuchsteilnehmerInnen sich aktiv bewegten und die Anzahl der Schritte, die die jeweiligen Personen pro Tag bewältigten. So ließ sich mit großer Genauigkeit ermitteln, wie viel und in welcher Intensität die Menschen sich in ihrem normalen Alltagsumfeld bewegt haben. Das Hauptziel war, jene Faktoren zu bestimmen, die einen Einfluss auf die Mobilität von älteren Personen haben, die gesund sind, deren Bewegungsradius aber ab dem 65. Lebensjahr oft immer kleiner wird.
Dazu wurde über verschiedene Tests zusätzlich die körperliche, kognitive sowie psychosoziale Leistungsfähigkeit der ProbandInnen gemessen – mit einem sehr eindeutigen zentralen Ergebnis. „Um eigenständig und mobil zu bleiben, kommt es nicht nur darauf an, über wie viel Kraft, Ausdauer oder Beweglichkeit ältere Menschen verfügen“, erzählt Giannouli, „viel wichtiger ist die Kognition und Selbstwirksamkeit, also was die Personen selber darüber denken, was sie machen können und was sie sich nicht zutrauen“. Daraus ergeben sich wichtige Erkenntnisse zu der Frage, wie sich die Mobilität von Seniorinnen und Senioren erhalten und verbessern lässt. An der Kraft und der Beweglichkeit zu arbeiten, ist zwar sinnvoll, aber es gibt ganz anderer Faktoren, die noch bedeutsamer sind.
Oft nimmt die visuelle Aufmerksamkeit im Alter ab, was in schwer kontrollierbaren Umgebungen – wie etwa dem Straßenverkehr – zu Ängsten führen kann. „Auf der Basis dieses Wissens kann man ganz gezielt die visuelle Wahrnehmungsfähigkeit trainieren“, sagt Giannouli, die im Institut für Bewegungs- und Sportgerontologie künftig im EU-geförderten Forschungsprojekt „My Active and Healthy Ageing“ (My AHA) mitwirkt. Im My-AHA-Projekt werden über einen ganzheitlichen Ansatz Methoden zur Verbesserung der körperlichen und der kognitiven Fähigkeiten entwickelt. Die Wichtigkeit dieses Themas zeigt sich nicht zuletzt in dem großen Interesse an ersten Ergebnissen der Mobilitätsstudie auf Symposien und Kongressen.
Text: Daniel Theweleit