Nr. 4/2021
Echt heiß: die Körperschutzausstattung der Polizei
Mehr als 20 Kilogramm wiegt die komplette Körperschutzausstattung (KSA) für Polizist*innen im Einsatz. Vor allem bei der Bereitschaftspolizei, die etwa bei Fußballspielen, Castor-Transporten oder Demonstrationen aktiv wird, ist die dunkle Montur häufig zu sehen. Die Ausrüstung bietet Schutz vor Schlägen, Schüssen, Feuer, Säure und vielem mehr. Polizist*innen tragen die KSA häufig mehrmals die Woche über viele Stunden hinweg. Das zusätzliche Gewicht und die motorischen Einschränkungen, die damit verbunden sind, wirken sich massiv auf die Leistungsfähigkeit der Einsatzkräfte aus. Zu diesen Effekten haben Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln eine Studie durchgeführt; die Ergebnisse wurden nun in zwei Artikeln in Fachzeitschriften veröffentlicht.
In einer groß angelegten, disziplinübergreifenden Studie haben Wissenschaftler des Deutschen Forschungszentrums für Leistungssport Köln (momentum) die Körperschutzausstattung der Polizei NRW in den Fokus genommen. Die Forschungsfrage lautete: Wie wirkt sich die ca. 20 Kilogramm schwere KSA auf die sportmotorische Leistungsfähigkeit der Beamten aus? Aufgrund ihrer sehr hohen Schutzfunktion ist die KSA extrem hitzebeständig und gleichzeitig wenig atmungsaktiv. „Das heißt“, erklärt Projektleiter Dr. Jan-Peter Goldmann, „der Schweißverlust bei Belastung ist extrem hoch. Bei einem Selbsttest auf dem Laufband hatte ich das Wasser regelrecht in den Schuhen stehen. Das Kühlungssystem unserer Haut funktioniert mit der KSA nicht, weil die gesamte Körperoberfläche bedeckt ist.“
Einmal mit, einmal ohne: Retten und Bergen sowie ein Ausbelastungstest
Was bedeutet es für die körperliche Leistungsfähigkeit, wenn Einsatzkräfte in Belastungssituationen die KSA mit einem Zusatzgewicht von über 20 kg tragen? Um diese Frage zu beantworten, rekrutierten die Forscher 45 zivile Probanden (Frauen werden in Folgestudien untersucht) und teilten diese mittels Vortests in vier Probandengruppen mit unterschiedlichem Trainingszustand ein: Ausdauertrainierte, Kraftsportler, Kraft-Ausdauer-Sportler und eher wenig Trainierte. Als Vergleichswerte zur Einteilung in die Kategorien dienten Daten des Spezialeinsatzkommandos (SEK). Die 45 Männer durchliefen eine definierte Testbatterie zweimal innerhalb eines recht kurzen Zeitraums – einmal in voller Montur und einmal in normaler Sportbekleidung. Beim Test mit der KSA trugen die Probanden: Helm, Sturmhaube, ballistische Weste, Schlag- und Stichschutzweste, Protektoren für Schultern, Unterarme, Knie und Schienbeine, flammhemmende Jacke und Hose, Einsatzstiefel, Systemgürtel inkl. Ausrüstung wie Reizgassprühgerät, Taschenlampe und Handfesseln. Die Masse der Bewaffnung wurde mit acht Sandsäcken zu je 500 g simuliert. Die Gesamtmasse der KSA betrug 20,9 kg.
Per Body- und Fuß-Scan erhoben die Forscher zunächst verschiedene Parameter zu äußerer Gestalt und Form des Körpers der Probanden. Die Studienteilnehmer absolvierten dann eine Rettungssimulation mit einem 70 kg schweren Dummy und einen Ausbelastungstest mit Atemgasanalyse (Stufentest) auf einem Laufband mit integrierten Kraftsensoren. Die Teilnehmer wurden vorher und nachher gewogen, um den Schweißverlust und die Schweißrate zu untersuchen. Die Körpertemperatur wurde kontinuierlich über das Trommelfell gemessen. Der Energieaufwand wurde aus der Atemgasanalyse abgeleitet. Im Anschluss wurden die Daten der beiden Durchläufe für jeden Probanden verglichen und es wurde auch nach Unterschieden zwischen den vier Probandengruppen mit unterschiedlichem Trainingszustand gesucht. Bei der Interpretation der Ergebnisse nahmen die Forscher vor allem zwei Dinge in den Blick: die Thermoregulation und die körperliche Leistungsfähigkeit.
Handicap für die Thermoregulation
Das hohe Gewicht, das große Volumen und die geringe Durchlässigkeit der Körperschutzausstattung stellen ein erhebliches Handicap für diejenigen dar, die bei beruflichen Tätigkeiten stark auf ausreichenden Schutz vor äußeren Reizen oder Gefahren angewiesen sind. Denn die KSA provoziert sowohl einen erhöhten Energieverbrauch als auch eine erhöhte Wärmeproduktion. Frühere Studien konnten zeigen, dass der metabolische Energieverbrauch linear mit der Masse der KSA zunimmt. Dies kann einen starken Einfluss auf die menschliche Thermoregulation haben, die dafür sorgt, dass der Körper eine konstante Körperkerntemperatur von etwa 37°C behält.
„Eines der wichtigsten Studienergebnisse ist, dass das Tragen der KSA zu einem massiven Wasserverlust führt, weil sich die Schweißrate nahezu verdoppelt. Auch die Körpertemperatur ist bis zu zwei Grad Celsius höher als ohne KSA. Es zeigt sich zudem, dass die höheren Temperaturen am besten von Sportlern mit guter Ausdauerleistungsfähigkeit toleriert werden“, fasst Projektmitarbeiter Lukas Zwingmann die Ergebnisse zusammen. Das ist vor allem auch deshalb relevant, weil eine fortschreitende Dehydrierung die Entscheidungsfindung und die körperliche Leistung massiv beeinflussen kann. „Da die Einsatzzeiten von Polizeibeamten oft mehrere Stunden dauern und körperlich intensive Aufgaben beinhalten, unterstreichen unsere Ergebnisse, wie wichtig eine ausreichende Rehydrierung während des aktiven Dienstes ist“, bilanziert Zwingmann.
Die Ergebnisse legen nahe, dass der Gesamtschweißverlust weniger mit dem Fitnesszustand der Personen, sondern mehr mit der zurückgelegten Laufdistanz korreliert. Die Schweißrate, also der Schweißverlust pro Zeit, unterschied sich zwischen den Gruppen nämlich nicht signifikant. Der Energieverbrauch und somit auch die Wärmeproduktion waren allerdings bei Testpersonen mit größerer Körpermasse signifikant höher. Da die Wärmeproduktion aufgrund der KSA nur schwer kompensiert werden kann, ist gerade bei diesen Personen bei intensiven Aktivitäten mit einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit zu rechnen. Konkret reduzierte sich die sportliche Leistung in den Testungen wie folgt: Beim Retten und Bergen stieg die für den Dummy-Test benötigte Zeit mit KSA um bis zu 15 Proznt, die Gesamtlaufstrecke auf dem Laufband verringerte sich mit KSA um durchschnittlich 58 Prozent.
Kraft-Ausdauer-Sportler performen konstant gut
„Der Modellpolizist für den Bereich SEK aus unserer Studie ist 1,85 m groß, 80 kg schwer, kann am Beispiel der Beinstreckerkette 2.500 Newton aufbringen und hat im Idealfall eine maximale Sauerstoffaufnahme von über 50 ml/min/kg“, skizziert Goldmann das „wissenschaftliche Ideal“, ein theoretisches Konstrukt. „Tatsache ist, dass sich das Personal der Polizei generell aus einer eher unfitter werdenden Grundgesamtheit rekrutiert. Gleichzeitig ist eine gewisse Robustheit und körperliche Präsenz im Einsatz von Vorteil. Unsere Tests ergaben, dass Personen, die sowohl ein gewisses Maß an Ausdauer als auch an Muskelkraft aufwiesen, in den Testserien konstant gut performten. Daher lautet hier unsere Empfehlung, keine dieser Beanspruchungsformen isoliert, sondern stets in Kombination zu trainieren, das heißt: Herzfrequenz hochfahren und Muskelkräfte insbesondere an Rumpf und Armen erzeugen wie es zum Beispiel beim Parcourslaufen oder Crossfit der Fall ist“, sagt Jan-Peter Goldmann.
Das Interessante: Während es bei den Tests ohne KSA große Unterschiede zwischen den unterschiedlich trainierten Probanden gab, glichen sich die Werte mit KSA etwas an, das heißt die Unterschiede fallen geringer aus. Dies könnte allerdings zu einem gewissen Teil daran liegen – und hier liegt auch eine Limitation der Studie – dass die Stichprobe dieser Studie nicht aus Mitarbeitern der Strafverfolgungsbehörden gezogen wurde. Es kann daher prinzipiell nicht ausgeschlossen werden, dass Messungen mit Zivilisten dadurch beeinflusst sind, dass diese Testpersonen nicht gewöhnt sind, eine KSA zu tragen, so die Wissenschaftler.
Empfehlungen für Material und Training
Schon seit über zehn Jahren arbeitet das Transferzentrum momentum mit der Polizei NRW zusammen und realisiert Projekte mit dem SEK, der Bereitschaftspolizei, dem Wach- und Wechseldienst, der Fliegerstaffel oder den Beweissicherungs- und Festnahmeeinheiten. „Ein entscheidender Teil unserer Studien und Projekte ist, dass wir am Ende Empfehlungen für Material und Training abgeben“, erklärt Goldmann den Praxistransfer. „Aus der vorliegenden Studie können wir etwa ableiten, dass zusätzliche Belüftungsmöglichkeiten in der Ausrüstung für die Kühlung des Körpers notwendig sind, zum Beispiel durch Reißverschlusssysteme oder Innen- beziehungsweise Rückentaschen für Kühlsysteme und Trinkblasen. Hierzu planen wir aktuell eine neue Studie mit Frauen. Durch die Verwendung von leichterem Material ließe sich das Gesamtgewicht der Ausrüstung reduzieren. Bei langen Einsätzen könnte es von Vorteil sein, eine reduzierte KSA zu tragen, um die Masse und damit die Belastung zu verringern. Zügiges Gehen könnte im Einsatz sinnvoller und ökonomischer sein als das Laufen in der schweren Montur.“ Zudem betonen die Forscher, dass die Flüssigkeitszufuhr gerade bei langen Einsätzen und unter erhöhten Außentemperaturen elementar sei. Goldmann: „Da haben wir teils ganz praktische Probleme: Zum Beispiel trinken häufig Frauen extra wenig, weil sie mit der Montur nicht vernünftig auf die Toilette gehen können. Wir haben somit auch Überlegungen dazu angestellt, wie praktikable Lösungen zur schnellen Flüssigkeitsabgabe, speziell für Frauen, aussehen könnten, zum Beispiel durch spezielle Reißverschlusskonstruktionen an der Hosenrückseite und/oder mobile Toiletten.“
Text: Julia Neuburg
Testbatterie
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