Nr. 4/2022
Homofeindliche Ultras: ein Mythos?
Ultras sorgen in den Stadien der Bundeliga für Stimmung. Mit ihren Fangesängen und spektakulären Choreografien heizen sie den Fußballfans ein. Aber nicht nur für eine positive Stimmung sind Ultras bekannt. Immer wieder machen sie auch mit rassistischen Beleidigungen Schlagzeilen. Linke Ultras engagieren sich mittlerweile explizit gegen Rassismus und Antisemitismus. Aber wie denken sie über Homosexualität? Und was bedeutet das für die Atmosphäre in deutschen Stadien? Mit Hilfe qualitativer Leitfadeninterviews mit Vertretern aus drei deutschen Ultra-Gruppierungen nähern sich Dr. Birgit Braumüller und Sam Howe der Frage, wie die Ultra-Szene mit Männlichkeitsentwürfen und Homosexualität umgeht.
Es ist gut achteinhalb Jahre her, dass Fußballnationalspieler Thomas Hitzlsperger sich in der Öffentlichkeit zu seiner Homosexualität bekannte. Er wählte damals bewusst einen Zeitpunkt nach seiner Karriere als aktiver Spieler – zu ungewiss war zu dieser Zeit, wie Funktionäre, Medien und vor allem Fans die Nachricht aufnehmen würden. Seitdem scheint sich viel getan zu haben im deutschen und im internationalen Fußball: Spieler tragen Kapitänsbinden in Regenbogenfarben, Stadien werden bunt beleuchtet; man könnte meinen, Homo- und Transfeindlichkeit in deutschen Stadien gehöre der Vergangenheit an. Doch Spieler erleben nach wie vor homofeindliche Schmähgesänge.
Am Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln haben sich Dr. Birgit Braumüller und Sam Howe mit den Ursachen dieser Diffamierungen beschäftigt. Sie wollten Gründe dafür herausarbeiten, wieso der Fußball auf Verbandsebene Offenheit propagiert, Homosexuelle in den Stadien aber weiterhin verschmäht werden. Dafür haben die beiden Wissenschaftler*innen mit Vertretern aus der fanatischen Fanszene – den sogenannten Ultras – gesprochen. „Wir haben versucht, aus den Aussagen der Ultras zu Männlichkeitsnormen, Männlichkeitsvorstellungen und Inszenierungen abzuleiten, wie sie mit Homosexualität und Homonegativität umgehen“, erklärt Braumüller.
Ausgangspunkt für diese Fragestellungen waren die Ergebnisse der ersten flächendeckenden europäischen Studie zur Homo- und Transfeindlichkeit im Sport, der OUTSPORT-Studie mit über 5.500 Befragten, an der auch Braumüller beteiligt war. Ergebnis der Auswertung von 2018 war, dass 95 Prozent der befragten Menschen aus der deutschen LGBTIQ*-Community den Sport als homofeindlich wahrnehmen – an erster Stelle den Fußball. Über 60 Prozent nahmen im Fußball eine homo- und transfeindliche Sprache wahr; besonders im Wettkampf- und Profifußball. Ausgangspunkt der homofeindlichen Sprache seien vorrangig Zuschauer*innen, unter diesen vor allem Ultra-Gruppierungen mit ihren Sprechchören.
Um Einblick zu bekommen, führten Braumüller und Howe eine sogenannte Sekundäranalyse durch. Sie untersuchten qualitative Interviews, die Sam Howe 2019 mit drei Vertretern aus der Ultra-Szene geführt hatte. Eine strukturierenden Inhaltsanalyse sollte explizit Aspekte der Männlichkeit sowie Homo- und Transfeindlichkeit herausgreifen. Die Ergebnisse sind in dem Paper „„Uns war es lieber, wenn jemand sagt ‚du scheiß Schwuchtel‘ als ‚du scheiß Jude‘“ – Männlichkeit, Homosexualität und Homonegativität in der Fußball-Ultraszene“ veröffentlicht. Die Befragten gehörten ihren großen und bedeutsamen Ultra-Gruppierungen lange an und waren in ihrer Struktur fest verankert.
„Es hat sich gezeigt, dass in diesen Ultra-Szenen noch ein relativ traditionelles Männlichkeitsbild vorherrscht und auch ein Paradoxon: Die Vertreter haben gesagt, dass sie eigentlich nichts gegen Schwule haben und auch gerne für mehr Gleichheit sorgen würden, aber auf gar keinen Fall die ersten sein wollen, die das tun. Denn dann würden gleich Verdachtsmomente aufkommen“, berichtet Dr. Birgit Braumüller. Aus den Interviews wird deutlich, wie wichtig es für die Angehörigen der Ultra-Szene ist, dass ihre Mitglieder stark, aggressiv und körperlich auftreten können. Ihr Ziel sei, Stärke gegenüber anderen Fan-Gruppierungen zu demonstrieren sowie Anerkennung und Status innerhalb der eigenen Gruppe zu erfahren. Männlichkeitsentwürfe, die diesem Bild nicht entsprechen, werden von Ultras mit Sensibilität, Schwäche und Unmännlichkeit assoziiert.
Homosexualität gilt unter den Befragten als weich und unmännlich und ist deshalb nicht mit dem vorherrschenden Bild von Männlichkeit in Einklang zu bringen. Als Erklärung für ihre veralteten Männlichkeitsentwürfe ziehen die Ultra-Vertreter gesellschaftliche Normen, Werte, Rollen- und Geschlechtsstereotype heran, die durch Medien und soziale Medien verstärkt würden. Ein Befragter gibt in den Interviews an, Ultras seien mit ihren Einstellungen ein Abbild der Gesellschaft. Dazu Braumüller: „Fußballfans sind kein Abbild der Gesellschaft. Frauen sind unterrepräsentiert, Kinder, ältere Menschen und auf jeden Fall auch Personen aus der LGBTIQ-Community. Die Aussage, der Fußball sei ein Abbild der Gesellschaft, ist ein Schein-Argument, um sich nicht mit bestimmten Themen auseinandersetzen zu müssen.“
Zwar nehmen auch die Befragten wahr, dass heute eine inklusivere Stimmung im Stadion herrscht – es gibt homosexuelle Fanclubs und Homosexuelle innerhalb der Ultra-Szene – Homosexualität hat aber in der Fan- und Ultraszene keine Lobby. Auch deshalb wird darüber nur im kleinen Kreis gesprochen. Viele wissen deshalb nicht von „Betroffenen“ in den eigenen Reihen und machen sich keine Gedanken, wie ihre homofeindlichen Äußerungen aufgenommen werden. Auch deshalb sind homonegative Ausuferungen in der Fankurve üblich. Die Befragten betonen aber, dass die homonegative Sprache nicht ernst, nicht beleidigend und nicht diskriminierend gemeint ist, sondern in den eigenen Reihen eher als unterhaltsam wahrgenommen wird. Ziel der homonegativen Sprache sei es nicht, homosexuelle Menschen auszugrenzen, sondern den gegnerischen Fanblock zu „entmännlichen“ und zu degradieren. Dies diene als Provokation und dazu, sich der eigenen Männlichkeit innerhalb der Fan-Szene zu vergewissern.
„Das Verhalten und die Einstellungen von Ultras sind wie entkoppelt. Sie haben Angst, sich als erste Szene zu Offenheit zu bekennen. Die Angst ist, dass ihnen dann die Männlichkeit abgesprochen wird, wenn sie sich gegen Homofeindlichkeit einsetzen“, so Braumüller. Das Dilemma: Bei anderen Diskriminierungsformen wie dem Rassismus oder Antisemitismus hat sich die Einstellung der Ultras verändert. Hier gibt es mittlerweile Bestrebungen, sich proaktiv gegen Diskriminierung einzusetzen. Weil Homosexualität aber innerhalb der Szene als schwach und als nicht mit dem vorherrschenden Männlichkeitsbild kompatibel gilt, ist es fast unmöglich, das Thema unvoreingenommen zu diskutieren. „In den linksorientierten Gruppen gibt es eine Hierarchie von Diskriminierungsformen. Linke Ultras setzen sich ganz stark ein gegen Rassismus und Antisemitismus. Homofeindlichkeit ist ein Schattenkandidat, weil die Ultras Angst haben, selbst für homosexuell gehalten zu werden, wenn sie sich dafür einsetzen.“
Die Aussagen der Befragten machen deutlich: Auf persönlicher Ebene ist der Wille vorhanden, Homosexualität innerhalb der Fanszene zu enttabuisieren, im Kollektiv ist es den Vertreter*innen aber wichtiger, die eigene Männlichkeit durch traditionelle Männlichkeitsentwürfe deutlich zu machen. Unter diesen Rahmenbedingungen inklusive Entwicklungen voranzutreiben, ist eine Herausforderung, schreiben die Autor*innen in ihrem Paper. Nur vereinzelt lasse sich in den Männlichkeitsbildern und dem Umgang mit Homosexualität unter den befragten Ultra-Vertretern gelebte Toleranz erkennen. Die Annahme und Hoffnung, der Fußball sei ein gesellschaftlicher Ort mit zunehmend inklusiven Männlichkeitsentwürfen und sinkender Homohysterie sei daher nicht haltbar. Denn für die Praxis in deutschen Stadien bedeutet das Verhalten der Ultras: Es gibt weiterhin homo- und transfeindliche Sprechchöre. Dass sich Ultras nicht offen mit dem Thema Homosexualität auseinandersetzen, führe zu einem Stillstand und verhindere, dass sich der Fußball für Homosexualität öffne. Braumüller und Howe scheiben dazu in ihrem Paper: „Ehe bei Ultras der Appell an veralte Männlichkeitsbilder nicht verklingt und an Relevanz verliert, wird es schwierig, sich mit Homonegativität auseinanderzusetzen – schwierig, aber nicht unmöglich! Welches Potenzial Fanszenen haben können, auch gesellschaftliche Probleme zu bearbeiten, haben sie beim entschiedenen Auftreten gegen Rassismus und Antisemitismus bewiesen.“
Text: Marilena Werth
#18 Eine Runde mit... Andrea Löwe & Dr. Birgit Braumüller
Anlässlich des #PrideMonth im Juni wollten wir bei "Eine Runde mit..." aus wissenschaftlicher Perspektive wissen: Hat der Sport ein Problem mit Homo- und Transphobie? In Folge 18 unseres Wissenschaftspodcasts geht es um sexuelle und geschlechtliche Vielfalt im Sport. Dr. Birgit Braumüller (Institut für Soziologie und Genderforschung) berichtet über Daten aus dem europaweiten Projekt „Outsport“ und Andrea Löwe, Vorstandsvorsitzende des SC Janus, gibt Einblick in die Praxis.
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