Nr. 4/2022

Selbstbild und Kreativität im Tanz

Christian Büning ist Tänzer, könnte von der Statur her aber auch Kraftsportler sein. Er interessiert sich für die Selbstbilder seiner Studierenden. Er ist fasziniert von Asien und stets auf der Suche nach kulinarischen Abenteuern. Der Mitarbeiter des Instituts für Tanz und Bewegungskultur promoviert zur motorischen Kreativitätsförderung, studiert nebenbei im Master Psychologie und macht eine Ausbildung zum Feldenkraistherapeuten. Ziemlich viele Baustellen sagen die einen, viele Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten nennt es Christian Büning: „Was ich nicht gut aushalten kann, ist Langeweile. Wenn mir etwas zu stupide wird, muss ich etwas anderes machen.“

Der 37-Jährige aus Rhede am Niederrhein hat an der Sporthochschule von 2007 bis 2012 studiert. Seitdem war er in den verschiedensten Funktionen an der Hochschule tätig: als studentische Hilfskraft in der Abteilung Neurologie, Psychosomatik und Psychiatrie, als Tutor und Lehrbeauftragter für Tanz und Gymnastik, in der Studiengangskoordination des Weiterbildungsmasters Tanz. Aktuell ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Tanz und Bewegungskultur, Promotionsstudent im Bereich Bewegungsanalytik und erster „digiFellow“ der Sporthochschule.

Während seines Zivildienstes und der Ausbildung zum Krankenpflegehelfer hat er Kontakt zu Patient*innen mit psychischen Erkrankungen, bekommt Einblicke in den Klinikalltag, spricht mit Pflegepersonal, Ärzt*innen und Psycholog*innen. „Ich hatte immer das Gefühl, dass den Patient*innen ein körperliches Training sehr gut tut, weil sie so spüren, dass ihr Körper sie auch in Zeiten hoher Belastung tragen kann. Daher haben wir tänzerische Bewegungsangebote für die psychiatrische Einrichtung entwickelt, in der ich parallel zum Studium an der Spoho als Tanzpädagoge gearbeitet habe“, sagt Büning. Sein ursprünglicher Plan, sowohl Sportwissenschaften als auch Psychologie zu studieren, lässt sich parallel nicht umsetzen. Also wendet er sich erstmal dem Sport zu; über seinen damaligen Tanztrainer kommt er auf die Spoho. Aus seiner Klinikerfahrung heraus entsteht später das Thema seiner Diplomarbeit, in der er sich mit dem Bewegungsverhalten von Borderline-Patienten beschäftigt. Das Borderline-Syndrom ist eine psychische Erkrankung und wird auch als emotional instabile Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Da trifft es sich gut, dass 2009 die Professorin, Medizinerin und Expertin auf diesem Fachgebiet, Hedda Lausberg, an die Sporthochschule kommt und die Leitung der Abteilung Neurologie, Psychosomatik und Psychiatrie übernimmt; Büning fängt dort als studentische Hilfskraft an. „Und so hat es sich ergeben, dass ich meine Tanzerfahrung in die Bewegungsanalytik einbringen konnte“, erklärt er seine ersten Schritte in der Wissenschaft. Bewegungsverhalten und Bewegungsanalytik – das wird die Klammer seines wissenschaftlichen Werdegangs.

Beeinflusst das Bewegungsrepertoire das Selbstbild und die motorische...

Beeinflusst das Bewegungsrepertoire das Selbstbild und die motorische Kreativität von Studierenden?

Aktuell verfasst Christian Büning den letzten von drei Artikeln zu seinem Promotionsprojekt. Auch hier hat er einen persönlichen Bezug zum Thema. Er selbst war 2007 einer der letzten Studierenden, die den Diplom-Studiengang Sportwissenschaft an der Spoho studiert haben, bevor dieser durch das Bachelor-/Master-System abgelöst wurde. In seiner Forschungsfrage nimmt er unter die Lupe, inwiefern die neuen Bachelor-Studiengänge die motorische Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung der Studierenden fördern können: „Die Frage, die mich angetrieben hat, war, ob dieser Wechsel von Diplom zu Bachelor, der mitunter ja auch kritisch gesehen wird, die positive Prägung bei den Studierenden hinterlässt, die wir uns als Pädagogen wünschen.“

Mit Studierenden aus den Bachelor-Studiengängen B.Sc. Sport und Leistung (SUL) bzw. B.A. Sport, Erlebnis und Bewegung (SEB; heute: B.A. Sport- und Bewegungsvermittlung in Freizeit- und Breitensport (SBV)) machte er umfangreiche Testungen, die videoanalytisch ausgewertet wurden. „Gibt es nach den drei Jahren Bachelor-Studium Unterschiede der motorischen Kreativität? Bewegen sich die Studierenden am Ende des Studiums anders? Welche Rolle spielt die Ausblendung von Störreizen – wir nennen das Inhibition – für den kreativen Prozess? Diese Fragen wollte ich beantworten“, erklärt Büning. Das Projekt startete bei der Ersterfassung mit 117 Studierenden, 70 nahmen dann drei Jahre später auch an der zweiten Messung teil. Um das individuelle Bewegungsrepertoire der Studierenden zu erfassen, nutzte Büning den sog. BAST® (BewegungsAnalyse Skalen & Test), einen ca. zehnminütigen Bewegungstest, der sich aus standardisierten Bewegungsaufgaben und Improvisationsaufgaben zusammensetzt. „Der Test zeigt, wie die Studierenden ihren Körper nutzen, welche Bewegungsvariationen sie im Repertoire haben und durch eine Modifikation nun auch, wie kreativ sie sich bewegen“, erläutert Büning die Methodik.

Selbstbild: ‚Ich bin total unbeweglich, das war ich schon immer‘

„Es zeigt sich, dass die Studierenden des SEB, einem thematisch eher breit aufgestellten Studiengang, hinsichtlich ihrer motorischen Kreativität am Ende ihres Studiums wesentlich besser abgeschnitten haben. Die SUL-Studierenden, die in ihrem Studiengang in vielen Disziplinen eindeutigen Regelwerken folgen und zudem stärker mit direkten Leistungsvergleichen konfrontiert sind, haben sich im Kreativitätsvergleich Studienanfang/Studienende eher verschlechtert“, nennt Büning die wesentlichen Ergebnisse. Er schlussfolgert daraus, dass Lernumgebungen, die starren Vorgaben unterliegen, bewirken können, dass Kreativität schwindet. „Ich bin ein Verfechter davon, dass Studierende breite Bewegungserfahrungen sammeln, sich ausprobieren und mit ihren Potenzialen auseinandersetzen sollten“, fordert der Dozent. Gerade in seinem Lehrgebiet Tanz und Gymnastik arbeitet er häufig mit Studierenden, für die dieser Bereich neu und mit viel Unsicherheit verbunden ist. „Wir arbeiten ganz viel an den Selbstbildern der Studierenden“, betont Büning. Zu Semesterbeginn höre er ständig Sätze wie: ‚Ich bin total unbeweglich, das war ich schon immer, weil ich seit 15 Jahren Fußball spiele.‘ Oder: ‚Ich bin die unkreativste Person, die es gibt.‘ Diese Selbstbilder aufzubrechen und den Studierenden zu zeigen, dass sie ihr Körperbild und ihr Bewegungsrepertoire positiv beeinflussen und beeindruckende Fortschritte erzielen können, ist Christian Büning ein wichtiges Anliegen.

Aus- und Bewertung von Bewegungsvideos automatisieren

Dazu möchte er in der Lehre auch ein neues Tool einsetzen, das erst kürzlich am Institut in Betrieb genommen wurde: ein neues Bewegungsanalyselabor. Mit der Idee für „VisuFeed“ (Abkürzung für „visuelles Feedback“) warb der Wissenschaftler eine Förderung in Höhe von 50.000 Euro für Innovationen in der digitalen Hochschullehre ein. Kern von „VisuFeed“ ist ein Kamerasystem, das eine 360°-Echtzeit-Bewegungsanalyse erlaubt. Auf einer Fläche von ca. 70 Quadratmetern kann ein sog. Motion Capture System mit zwölf Kameras Bewegungen nachvollziehen, Gelenkwinkel, Geschwindigkeiten und weitere Parameter messen. Das System kann Bewegungen in Echtzeit visualisieren und aufzeichnen und es kann als Feedbackinstrument in der Sportlehrer*innenbildung genutzt werden. In seiner Lehre stelle er häufig fest, dass sich viele Studierende schwer damit tun, Vorlesungsinhalte zu den anatomischen Grundlagen in die Gymnastik zu übertragen. Bei dieser Praxis-Theorie-Verknüpfung könne das System unterstützen. Büning betont: „Das System eröffnet Studierenden neue Möglichkeiten, Schwächen der Dehn- und Kraftfähigkeit aufzudecken und diese im Rahmen der Gymnastikkurse aufzuarbeiten.“

Ein weiterer großer Vorteil des Videolabors: Es kann zu Archivzwecken und auch zur systematischen Aus- und Bewertung von Bewegungsgestaltungen dienen. Bei seinem eigenen Promotionsprojekt, bei dem an die 200 Videos zusammenkamen, hat Christian Büning es selbst gemerkt: Der Prozess der Auswertung ist aufwändig und sehr zeitintensiv. Das Bewegungslabor könnte dies vereinfachen, indem Analysen teilweise automatisiert werden können. Zum Beispiel kann das System eine Live-Bewegung mit einer Vorlage abgleichen oder mittels Künstlicher Intelligenz Bewegungen automatisch erkennen und einordnen (Weitere Infos zum V-Lab).

Lateinamerikanische Rhythmen und Feldenkrais

Einmal pro Woche tauscht Christian Büning moderne Technologie gegen klassische Klänge. Dann tanzt er im Videolabor mit einer ehemaligen Spoho-Kollegin lateinamerikanische Tänze. Er tanzt seitdem er 14 ist und durch Zufall auf einer Tanzparty landete. Über Tanzkurse und eine engagierte Tanzpartnerin kam er zum professionellen Training und in ein Turniervorbereitungsprogramm. Er startete bei nationalen und internationalen Wettbewerben, war im NRW-Kader. Vor allem Cha-Cha-Cha und Jive liegen ihm, weil sie – wie er sagt – sehr rhythmisch, dynamisch und klar seien. Aber auch Samba tanzen die beiden gerne, „weil sie einfach die komplexeste ist“ und Rumba, „weil sie wunderschön ist und wir mit kleinen Gesten und in der Interaktion spielen können“.

Was Christian Büning auch noch macht, ist Feldenkrais. Das körperorientierte Verfahren soll die Selbstwahrnehmung schulen und damit Bewegung erleichtern und Schmerzen reduzieren. Zum ersten Mal kam Büning als Student mit Feldenkrais in Berührung. Jetzt macht er eine Ausbildung zum Feldenkraistherapeuten: „Mein Gefühl ist, dass auch hier die Bewegung eher das Medium darstellt, um die Selbstwahrnehmung zu optimieren. Welches Bild habe ich gerade von mir? Warum bewege ich mich so, wie ich mich bewege? Hier schließt sich also der Kreis zu meinem Promotionsthema und meiner Arbeit mit den Studierenden.“ Was er beim Feldenkrais und in seinem Psychologie-Studium an der Fernuni Hagen erkannt hat, möchte Büning an die Studierende weitergeben: „Nur, weil sich die Studierenden im Studium viel mit ihrem Körper auseinandersetzen, haben sie nicht automatisch ein gutes Bild von ihrem Körper. Daher finde ich es wichtig, auch mal Tempo rauszunehmen, sich im wahrsten Sinne des Wortes auf die Matte zu legen und mit der Selbstwahrnehmung zu beschäftigen. Das fände ich schön, wenn das etwas mehr Einzug halten würde in den Studienalltag.“ Und derweil arbeitet auch er an seinem Selbstbild, das wie er sagt, schwer in eine Schublade passe: „Bei vielen Kolleg*innen ist das Tätigkeitsfeld ganz klar definiert. Das ist bei mir oft anders. Aber genau diese Vielfalt ist das, was ich an meiner Arbeit so reizvoll finde.“

Text: Julia Neuburg

Fotos: Deutsche Sporthochschule Köln / privat

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