Nr. 4/2023

Trainingsbasierte individualisierte Behandlung von Long-COVID

Seit Beginn der Coronapandemie sind dem Robert-Koch-Institut mehr als 38 Millionen COVID-19-Infektionen gemeldet worden (Stand 31.8.2023). Die große Mehrheit der Infizierten ist genesen, doch ein Teil hat mit Spätfolgen zu kämpfen. Bei geschätzt zehn Prozent der Coronaerkrankten halten erhebliche Beschwerden länger als vier Wochen an und/oder treten bis zu drei Monate nach der Infektion (wieder) auf; dann spricht man von Long- und Post-COVID*. Die Abteilung Molekulare und zelluläre Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln führt derzeit eine Studie durch, die darauf abzielt, die Long-COVID-Symptome durch ein individuelles Trainingskonzept zu reduzieren.

Long-COVID-Betroffene leiden unter einer Vielzahl von Einschränkungen; mehr als 200 Symptome listet die Weltgesundheitsorganisation (WHO) auf. Genau das macht es so schwierig, Long-COVID eindeutig zu diagnostizieren. Ein spezielles Testverfahren, zum Beispiel mit Blutparametern, gibt es nicht. Die Diagnose treffen Mediziner*innen derzeit ausschließlich anhand der Symptomatik. Zu den häufigsten Langzeitfolgen gehören Erschöpfung (Fatigue), Kurzatmigkeit bzw. Atemnot und kognitive Beeinträchtigungen (z.B. Konzentrations-, Wortfindungs-, und Gedächtnisstörungen). Aber auch Gelenk-, Muskel- und Brustschmerzen sowie Schlafstörungen gehen einher. Die WHO spricht von einer ausgeprägten physischen und kognitiven Einschränkung, die bewirkt, dass Menschen mit Long-COVID zum Teil nicht mehr in der Lage sind, ihren gewohnten Berufs- und Alltagstätigkeiten nachzugehen.

Auch in der Rehabilitation konzentrieren sich Ärztinnen und Ärzte vorrangig auf die Behandlung der Symptome. Die Therapieansätze sind vielfältig: von Blutwäsche bis Sauerstofftherapie, von Physiotherapie bis Atemtherapie. Auch medikamentöse Therapiemöglichkeiten werden erforscht (z.B. BC007). Einigkeit darüber, was wirklich hilft, besteht nicht. Gleichzeitig leiden einige Betroffene bereits jahrelang an den Symptomen. Zum Beispiel auch Proband*innen, die an der sog. TRIBAL-Studie der Deutschen Sporthochschule Köln in Kooperation mit dem S.P.O.R.T. Institut teilnehmen.

Bewegungsansätze zur ganzheitlichen Regeneration fehlen

„Wir haben Proband*innen zwischen 15 und 83 Jahren in unsere Studie eingeschlossen. Mittlerweile sind es über 60 Personen, die an dem Trainingsprogramm teilnehmen und es werden wöchentlich mehr. Einige schildern uns, dass sie an ihren Long-COVID-Symptomen schon seit ihrer Infektion im Jahr 2020 leiden. Der Leidensdruck dieser Menschen ist also enorm groß. Wir haben sogar Betroffene aus anderen Bundesländern in der Studie“, berichtet PD Dr. Marijke Grau, die die Studie seitens der Sporthochschule leitet. TRIBAL steht für TRainIngsbasierte BehAndlung von Long-COVID. Die Studie spricht alle Altersgruppen und Geschlechter an, denn gesicherte Erkenntnisse dazu, wen Long-COVID eher trifft, sind Mangelware. Es zeigen sich einige Tendenzen, zum Beispiel, dass Frauen etwas häufiger betroffen sind als Männer. Auch das Alter scheint eine Rolle zu spielen, wenngleich im Proband*innen-Pool der TRIBAL-Studie das Durchschnittsalter bei 46 Jahren liegt. „Wir haben unter unseren Studienteilnehmer*innen Leute, die vor der Coronaerkrankung Triathlon gemacht haben oder auch ältere Personen, die im Wanderverein aktiv waren, aber auch weniger Fitte mit Vorerkrankungen“, beschreibt Studienleiterin Grau die Interventionsgruppe.

„Es fehlen bislang kontrollierte individualisierte Bewegungsansätze zur ganzheitlichen Regeneration“, hält die Wissenschaftlerin fest. „Die Studie zielt erstmal darauf ab, durch ein individuelles Trainingskonzept die Long-COVID-Symptome zu reduzieren und so die mit Long-COVID verbundenen Einschränkungen der Lebensqualität zu minimieren.“ Dazu kooperiert Graus Team im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Abteilung Molekulare und zelluläre Sportmedizin, mit dem S.P.O.R.T. Institut von Dr. Björn Haiduk aus Overath nahe Köln, wo die Trainingseinheiten für die Long-COVID-Patient*innen stattfinden.

Hintergrund: Funktion roter Blutkörperchen eingeschränkt

Hintergrund der TRIBAL-Studie sind Erkenntnisse, die die Abteilung aus der Analyse der Erythrozyten, also der roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff im Körper transportieren, gewonnen hat. Bei gesunden Menschen können sich die Erythrozyten sehr gut verformen, damit sie durch die kleinsten Blutgefäße passen, wo sie den Sauerstoff abgeben. „Bei Patient*innen mit COVID-19 sehen wir, dass diese Verformbarkeit stark eingeschränkt ist. Wir sehen auch, dass die Erythrozyten stärker aggregieren, vereinfacht gesagt zusammenkleben. Das Aggregieren ist ganz normal, wichtig ist aber, dass sie sich wieder voneinander lösen. Und diese Werte sind bei den COVID-19-Patient*innen auch mehrere Monate nach überstandener Erkrankung nicht normalisiert. Das kann daher auch bei Long-COVID-Patient*innen ein Problem darstellen. Daher untersuchen wir, ob sich unser Training auf die Eigenschaften der roten Blutkörperchen auswirkt“, beschreibt Grau den Forschungsansatz. Denn: Sind die Erythrozyten nicht ausreichend verformbar und neigen zu erhöhter Aggregation, kann dies als ein Faktor dazu führen, dass die Versorgung der Organe mit Sauerstoff reduziert ist, was zu der typischen Müdigkeit und zu Leistungsdefiziten führen kann.

Trainingskonzept und Studienaufbau

Doch wie sieht das Trainingskonzept genau aus und wie läuft die Studie ab? „Teilnehmen können alle Personen, die eine gesetzliche oder private Krankenversicherung besitzen und denen der Arzt oder die Ärztin Long-COVID diagnostiziert hat“, erklärt Grau. Zu Beginn bestimmen die Forscher*innen den Long-COVID-Schweregrad und das Leistungslevel, um basierend darauf einen individuellen Trainingsplan entwickeln zu können. „Wir schauen uns die Personen einzeln ganz genau an: Welche Problematik bringen sie mit? Wie schwer sind die Symptome? Was können sie im Alltag noch?“, erklärt Grau das Vorgehen. Das Team nutzt dazu das Long-COVID-Grad-Einteilungsschema des Long-COVID-Netzes Rhein-Neckar. Die Grade reichen von 0 bis 4 und vermitteln einen Eindruck davon, wie schwer die Personen von Long-COVID betroffen sind. Viele der Studienteilnehmer*innen sind in den Schweregraden 2 und 3 eingestuft, das heißt sie haben starke Einschränkungen und können zum Teil nicht mehr arbeiten. „Sie schaffen den Alltag einfach nicht mehr“, sagt Grau. Das Leistungslevel überprüfen die Forscher*innen mit einem Ausdauertest und dem 1-Minute-Sit-to-stand-Test (Ziel: Eine Minute lang so oft wie möglich aufstehen und hinsetzen).

Individuelles stufenspezifisches Training

Aufgrund der ermittelten Stufe absolvieren die Proband*innen dann zwei- bis dreimal pro Woche ein individualisiertes stufenspezifisches Ausdauertraining auf einem speziellen Ganzkörper-Ergometer. Für jede der fünf Stufen gibt es Zielvorgaben; die Proband*innen trainieren so lange in einer Stufe bis sie die definierten Ziele erreichen und dann die Intensität in der nächsthöheren Trainingsstufe steigern können. Dies soll verhindern, dass sich die -Proband*innen überlasten und sich die Beschwerden dadurch wieder verschlimmern. „Nach jedem Ziel prüfen wir, ob sich die Leistungsfähigkeit verändert hat und erheben entsprechende Laborparameter“, erklärt Grau. Die Therapeut*innen protokollieren die Fortschritte und passen das Training kontinuierlich an. Dem Projektteam ist auch das subjektive Feedback der Teilnehmenden wichtig; sie füllen Fragebögen zu den Symptomen und zur Lebensqualität aus.

Allgemeinzustand verbessert sich signifikant

„Die ersten validen Zwischenergebnisse des TRIBAL-Trainingsprogramms zeigen, dass sich der Allgemeinzustand der Teilnehmenden bereits nach zwölf Wochen Training signifikant verbessert. Vor allem die Fatigue schwächt sich ab. Die Proband*innen geben an, dass sie besser im Alltag zurechtkommen, also zum Beispiel wieder leichte Gartenarbeit machen können oder die Treppe in den ersten Stock wieder leichter hochkommen“, verrät Grau. Außerdem berichten Proband*innen, dass sie weniger Pausen benötigen und sich auch schneller erholen. Haben die Proband*innen Trainingsstufe 5 erreicht, heißt das aber noch lange nicht, dass ihr Leistungszustand wieder dem vor der COVID-Erkrankung gleicht. „Stufe 5 bedeutet erstmal nur, dass sich die Alltagskompetenz verbessert hat. Niemand ist da schon komplett regeneriert, das ist bei dieser Erkrankung nicht so leicht möglich“, ordnet Grau die Trainingserfolge ein und ergänzt: „Das Leistungsniveau vieler Teilnehmenden schwankt sehr stark, weil sie immer wieder Phasen haben, in denen es ihnen schlecht geht.“ Aussagen dazu, wie sich die wesentlichen Eigenschaften der sauerstofftransportierenden roten Blutzellen verändern, kann Grau derzeit noch nicht treffen; diese Auswertung liegt voraussichtlich Ende 2023 vor: „Auf die Erythrozyten bezogen schauen wir uns die individuellen Veränderungen über die Zeit an, denn die Werte sind von Proband zu Proband sehr heterogen“, erklärt Grau.

Ausblick: Standardisierung, TRIBAL 2 & Abschlussarbeiten

Noch steht die Forschung bei Ursachen und auch Behandlung von Long-COVID am Anfang. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert seit Oktober 2022 klinische Studien mit zehn Millionen Euro, weitere 12,5 Millionen Euro stehen für Projekte zur Ursachenforschung und der Diagnostik zur Verfügung. Auch das Team um PD Dr. Marijke Grau wird hier einen Antrag stellen, der das Folgeprojekt TRIBAL 2 unterstützen soll. Dabei handelt es sich um ein Trainingsprogramm, das an das stufenspezifische Ausdauertraining anschließt und das die Teilnehmenden dauerhaft absolvieren. „Wenn sie ihre Alltagsfähigkeit verbessern und die Symptome stark reduzieren konnten, dann können sie an TRIBAL 2 teilnehmen und kontinuierlich trainieren. Wir beobachten sie über die Zeit weiter mit dem Ziel, ihre Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen“, beschreibt Grau die Ziele für das Folgeprojekt. Einige Bachelor- und Masterstudierende sowie eine Doktorandin der Sporthochschule fertigen ihre Abschlussarbeiten innerhalb der Studie an. Besonders spannend: Das Projektteam prüft Möglichkeiten, das Trainingskonzept als Verfahren zur Behandlung von Long-COVID für andere Einrichtungen nutzbar zu machen. Denn: Die Nachfrage ist riesig, berichtet Grau, sowohl bei Betroffenen als auch bei Therapeut*innen: „Uns rufen zum Beispiele viele Physiotherapeuten, aber auch Ärzte und Kliniken an und fragen uns, was wir denn da genau machen. Man merkt, dass es keine einheitlichen Vorgaben oder Richtlinien bei der Behandlung von Long-COVID-Patient*innen gibt und daher die Unsicherheit, aber auch das Interesse sehr groß ist. Uns ist wichtig, dass die Qualität des Trainings sichergestellt ist und unser Verfahren dann auch exakt angewendet wird, um die Wirksamkeit zu gewährleisten.“

Für einen Punkt möchte Grau noch sensibilisieren, weil bei vielen die Coronapandemie abgehakt zu sein scheint: „Es bleibt wichtig, bei entsprechenden Symptomen einen Test zu machen.“ Für den Fall, dass die Symptome bestehen bleiben oder wiederkommen, ist dieser entscheidend, damit eine Long-COVID-Diagnose gestellt und eine strukturierte Nachsorge gewährleistet werden kann.  

Text: Julia Neuburg

* Unterschied in der Definition (WHO): In Medizin und Wissenschaft wird abhängig von der Dauer der Beschwerden zwischen Long-Covid und Post-Covid unterschieden. Long-Covid umfasst längerfristige gesundheitliche Beschwerden nach der Ansteckung mit dem Coronavirus SARS-CoV-2, die über die akute Krankheitsphase von vier Wochen hinausgehen. Post-Covid bezeichnet Beschwerden, die nach einer Ansteckung auch nach zwölf Wochen noch vorhanden sind, bzw. neu oder wieder auftreten. In der TRIBAL-Studie und daher auch in diesem Text wird einheitlich von Long-Covid gesprochen.

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