Nr. 5/2016
„Safe Sport“ – Daten zu sexualisierter Gewalt im Sport
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Deutschen Sporthochschule Köln und des Universitätsklinikums Ulm liefern mit dem Forschungsprojekt „Safe Sport“ erstmals Daten zur sexualisierten Gewalt im organisierten Sport in Deutschland. Gefördert wird das Projekt für die Laufzeit von drei Jahren vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Nach gut zwei Jahren Laufzeit legt die Forschungsgruppe nun erste Ergebnisse vor, um dem gemeinnützig organisierten Sport in Deutschland unmittelbar Wissen für die Praxis bereit zu stellen.
Der organisierte Sport in Deutschland zählt zu den wichtigsten Orten für Freizeitaktivitäten von Kindern und Jugendlichen. Mehr als 27 Millionen Mitgliedschaften in über 90.000 Turn- und Sportvereinen zählt aktuell der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB). Die Deutsche Sportjugend repräsentiert mit über zehn Millionen jungen Menschen den größten freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe in Deutschland. Die Sportverbände und -vereine fördern nicht nur die sportliche Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, sondern stellen einen wichtigen Sozialisationsrahmen für die Heranwachsenden dar. Besonders die Nähe und die Bindungen, welche im Sport entstehen, bergen aber auch Risiken für den Schutz von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen. Im aktuellen Forschungsprojekt „Safe Sport“ untersuchen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Häufigkeiten und Formen von sexualisierter Gewalt im Wettkampf- und Leistungssport sowie den Umsetzungsstand von Präventions- und Interventionsmaßnamen in Sportverbänden und -vereinen. Das Projekt liefert schon jetzt erste spannende Ergebnisse.
Das Forschungsprojekt besteht aus fünf Modulen: Zu Beginn der Datenerhebung steht eine Basisbefragung von zentralen Organisationen und Einrichtungen des Sports in Deutschland, durchgeführt unter der Leitung der Deutschen Sporthochschule Köln (Modul 1). Mit Hilfe von Onlinefragebögen und Telefoninterviews werden die Ansprechpersonen in den 98 Mitgliedsorganisationen des Deutschen Olympischen Sportbundes bzw. der Deutschen Sportjugend (dsj) sowie die Leitungen von 19 Olympiastützpunkten und 62 Sportinternaten befragt. Daraufhin folgt im Modul 2 eine vertiefende Interviewstudie in ausgewählten Organisationen, um die hemmenden und förderlichen Bedingungen für die Prävention zu analysieren. Im dritten Modul wird unter Leitung des Universitätsklinikums Ulms eine Befragung von Kader-Athletinnen und Athleten durchgeführt, um ihre Gewalterfahrungen im Kontext des Sports zu erheben. Im Modul 4 werden im Rahmen des Sportentwicklungsberichts durch die Deutsche Sporthochschule Köln auch die Sportvereine befragt, um den Umsetzungsstand von Präventionsmaßnahmen auf Vereinsebene zu erheben. Schließlich führt die Projektgruppe unter der Leitung des Universitätsklinikums Ulm im Modul 5 eine Evaluation von Fortbildungen durch.
Während der gesamten Untersuchung wird der Begriff „sexualisierte Gewalt“ in Anlehnung an die einschlägige Fachliteratur als ein Oberbegriff für verschiedene Formen der Machtausübungen mit dem Mittel der Sexualität aufgefasst. Hierbei werden sowohl Handlungen mit als auch ohne Körperkontakt sowie grenzverletzendes Verhalten mit einbezogen.
Die ersten Ergebnisse zeigen: Sexualisierte Gewalt kommt im Wettkampf- und Leistungssport vor, und zwar nicht seltener oder häufiger als in der Allgemeinbevölkerung. Etwa ein Drittel der rund 1.800 befragten KaderathletInnen gab an, schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erfahren zu haben. Eine/r von neun Befragten gab an, schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt im Sport erlebt zu haben. Die sexualisierte Gewalt tritt dabei in der Regel nicht isoliert auf, sondern gemeinsam mit anderen Gewaltformen, wie etwa der emotionalen oder körperlichen Gewalt. Die Mehrheit der betroffenen AthletInnen ist bei der ersten Erfahrung sexualisierter Gewalt im Sport unter 18 Jahre alt.
„Die Daten bestätigen, dass Sportverbände und -vereine in der Verantwortung stehen, den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexualisierten Übergriffen zu optimieren“, betont die Koordinatorin des Verbundprojektes Dr. Bettina Rulofs, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Soziologie und Genderforschung der Deutschen Sporthochschule Köln. Ein großer Teil der deutschen Sportverbände habe diese Notwendigkeit erkannt und verschiedene Maßnahmen zur Prävention und Intervention eingeführt. Insbesondere die Deutsche Sportjugend und die Landessportbünde zeigen sich nach den Befunden der Studie als wichtige Impulsgeber für die Einführung von Präventionsmaßnahmen, während z.B. in den Spitzenverbänden bisher vergleichsweise seltener spezifische Maßnahmen gegen sexualisierte Gewalt implementiert wurden.
An der Basis des Sports, in den rund 90.000 Sportvereinen, bestehe noch Optimierungsbedarf bei der Sensibilisierung für das Thema und bei der konkreten Umsetzung von Schutzmaßnahmen. Nur gut ein Drittel der befragten Vereine setzt sich laut der Studie aktiv gegen sexualisierte Gewalt ein, regelmäßige Schulungen zu dieser Thematik führen neun Prozent der Vereine durch. „Diese relativ schwach ausgeprägte Präventionsstruktur in den Vereinen ist angesichts der Ergebnisse der AthletInnen-Befragung umso bedenklicher, denn sexualisierte Gewalterfahrungen machen AthletInnen am häufigsten im unmittelbaren Kontext des Vereins“, sagt Bettina Rulofs.
Gemeinsam mit dem Universitätsklinikum Ulm hat die Deutsche Sporthochschule Köln die ersten Ergebnisse des Projekts „Safe Sport“ auf einem Kongress der Deutschen Sportjugend am 15. November 2016 vorgestellt. Zu diesem Anlass ist auch eine Broschüre mit ersten Ergebnissen und Infos erschienen, die Sie hier herunterladen können.
Text: Alina Knops
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Bettina Rulofs
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