Nr. 5/2017
Die Kniffe der Bewertung von Mountainbike-Trails
Dr. Stefan Siebert vom Institut für Natursport und Ökologie hat sich in einer bisher einzigartigen Tiefe mit der Kategorisierung der Schwierigkeitsgrade von Mountainbike-Trails befasst. In einem aufwendigen Dissertationsprojekt konnte er unterschiedliche Schwächen der so genannten „Singletrail-Skala“ aufdecken und zeigen, dass vor allem Gefahrenpotenziale jenseits der eigentlichen Strecke viel zu wenig berücksichtigt werden.
In vielen Outdoorsportarten ist die Ermittlung der Schwierigkeitsgrade von Trails oder Routen ein präsentes und oftmals kontrovers diskutiertes Thema. Zum einen suchen Wanderer, Skiläufer, Kletterer oder Kayakfahrer nach immer neuen Herausforderungen, zugleich wollen sie aber nicht überfordert werden oder gar in Gefahr geraten. Bewertungssysteme von Schwierigkeitsgraden spielen daher eine wichtige Rolle bei der Planung von Touren oder Reisen. Im immer populärer werdenden Mountainbikesport existiert seit 2004 die so genannte „Singletrail-Skala“, mit deren Hilfe der Anspruch der jeweiligen Strecken erkennbar werden soll. Allerdings sieht sich dieses System „seit seiner Einführung immer wiederkehrender Kritik hinsichtlich verschiedener Punkte ausgesetzt“, stellte Dr. Stefan Siebert in seiner Dissertation mit dem Titel „Schwierigkeitsbewertung von Mountainbike-Trails“ fest.
Der Wissenschaftler aus dem Institut für Natursport und Ökologie unternahm den Versuch einer Evaluation der Singletrail-Skala und kam nach einer Umfrage unter 2.040 Moutainbikern zunächst mal zu dem Ergebnis, dass die Festlegung der Schwierigkeitsgrade von vielen Fahrern als wenig schlüssig und oftmals unbefriedigend wahrgenommen wird. Siebert ging außerdem der Frage nach, wie gut die Einschätzung des eigenen Fahrkönnens mit den Schwierigkeitsstufen des Bewertungssystems harmoniert. Am Ende stand die Erkenntnis, dass die Singletrail-Skala oftmals falsch verstanden wird und erhebliche Schwächen aufweist.
So zeigte sich, dass sich die Urteile zu den Schwierigkeitsgraden eines Trails von Mountainbikern mit unterschiedlicher fahrtechnischer Expertise zum Teil deutlich unterscheiden. Immer wieder kommt es vor, dass die Selbsteinschätzung des eigenen Fahrkönnens nicht mit dem offiziellen Bewertungssystem korreliert. Besonders männliche Fahrer neigen dazu, das eigene Fahrkönnen auf der Skala falsch einzuordnen – eine Tendenz, die sich noch verstärkt, weil ein zentraler Aspekt bei der Kategorisierung der Schwierigkeitsgrade unberücksichtigt blieb, der für die Sportler allerdings von hoher Relevanz ist: die Gefährlichkeit der Strecke.
Siebert konnte feststellen, dass „zwar die objektiven Kriterien des Trails den höheren Stellenwert in der Wahrnehmung einnehmen, jedoch sowohl bei den Anfängern als auch bei den Experten die Gefahrenstellen in die Wahrnehmung einfließen“. Eine Strecke nahe einer tiefen Schlucht wird anders bewertet als die gleiche Strecke im ebenen Gelände. Deshalb lautete eine zentrale Erkenntnis, dass der Gebrauchswert der Skala „für eine touristische Anwendung auf Wegweisern, Übersichtstafeln, etc. in Frage gestellt“ werden müsse. Vertiefende Zusatzinformationen zu Gefahrenstellen oder zu Besonderheiten von Trails seien im Internet zwar verfügbar, Sportlern, die ihre Routen spontan auswählen, fehlt die Kenntnis solcher Details jedoch häufig.
Darauf aufbauend befasste sich die Studie in einem zweiten Teil mit der Frage nach Strategien, auf die unterschiedlich versierte Fahrer bei der Bewältigung der Strecken zurückgreifen. Im Raum stand die Frage, wie stark sich die fahrtechnische Schwierigkeit eines Trails und potenzielle Risikofaktoren jenseits der Strecke auf die Wahrnehmung und die Aufmerksamkeit der Fahrer auswirken. Zudem wollte Siebert wissen, ob sich vor diesem Hintergrund „Wahrnehmungsunterschiede zwischen Mountainbikern verschiedener Könnensstufen“ nachweisen lassen.
Dazu wurde das Blickverhalten von 36 Probanden bei der Bewertung der fahrtechnischen Schwierigkeit verschiedener Mountainbike-Trails mit Hilfe eines Eye-Tracking-Systems aufgezeichnet. „Die Ergebnisse zeigen, dass sowohl bei Anfängern als auch bei Experten neben dem Trail selbst auch die Gefahrenbereiche abseits des Trails in die Wahrnehmung einfließen“, heißt es am Ende der Dissertation. Allerdings fielen deutliche Unterschiede zwischen den Versuchsteilnehmern auf. Anfänger neigen deutlich stärker dazu, in die Gefahrenbereiche zu blicken als versiertere Fahrer, die stattdessen deutlich länger auf den Trail selbst schauen um wertvolle Informationen zur Beurteilung der fahrtechnischen Schwierigkeit zu sammeln.
Daraus lässt sich schließen, dass Gefahren am Rande der Strecke deutlich stärker in die Bewertung der Schwierigkeitsgrade von Mountainbike-Trails einfließen sollten. Wobei das Projekt anregt, das gesamte Bewertungssystem mit seiner Skala zwischen S0 (ganz leicht) und S5 (sehr schwer) zu überdenken.
Text: Daniel Theweleit
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