Nr. 5/2022
KI im Sport: Avatare und ihr Einfluss auf die Psyche
Der Hollywood-Streifen „Avatar – Aufbruch nach Pandora“, der Ende 2009 in die Kinos kam, ist der erfolgreichste Film weltweit nach Einspielergebnis. In dem Science-Fiction-Film wird ein früherer US-Marine auf den erdähnlichen, fernen Mond Pandora geschickt, um seinen verstorbenen Zwillingsbruder bei einer diplomatischen Mission zu ersetzen: Er soll die Ureinwohner Na`vi davon überzeugen, den Widerstand gegen den Abbau eines begehrten Rohstoffes aufzugeben. Mithilfe künstlich hergestellter Na’vi-Körper, sogenannter Avatare, schleust er sich in Pandora ein und nimmt Kontakt mit den Ureinwohnern auf. Mit den Avataren aus dem Kino-Blockbuster haben die Avatare in der Veröffentlichung von Mai Geisen und Jun.-Prof. Dr. Stefanie Klatt aber nichts zu tun. Gemeint sind hier künstliche Figuren, die eine echte Person repräsentieren. Die Wissenschaftlerinnen des Instituts für Trainingswissenschaft und Sportinformatik haben sich mit der Frage auseinandergesetzt, inwieweit Menschen durch den Einsatz von Avataren im sportlichen Training auf psychologischer Ebene beeinflusst werden. Veröffentlicht wurde der Beitrag in der Zeitschrift für Sportpsychologie.
„Künstliche Intelligenz ist allgegenwärtig und auch im Sport längst angekommen“, sagt Promotionsstudentin Mai Geisen. Mit den zunehmenden technologischen Entwicklungen der vergangenen Jahre seien auch die Möglichkeiten innovativer Trainingsmethoden für den Sport gestiegen: „Wir können mittels künstlicher Intelligenz immersive Trainingsumgebungen schaffen, die ein Coaching ohne Anweisungen externer Personen möglich machen. Mit Extended-Reality-Brillen und virtuellen Großbildprojektionen können Bewegungen direkt beobachtet und simuliert werden. Der Einsatz von Avataren kann darüber hinaus zur visuellen Selbstwahrnehmung genutzt werden.“ Dass virtuelles Coaching im Sport besonders der vereinfachten Trainingssituation und Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit durch direktes Feedback dient, ist durch Studien belegt. Zu den damit einhergehenden psychologischen Faktoren gibt es bislang noch wenige Veröffentlichungen. In ihrem Beitrag haben die Wissenschaftlerinnen daher bisherige Erkenntnisse recherchiert und gebündelt. „Anhand der bisherigen Untersuchungen und Beobachtungen lassen sich fünf psychologische Einflussfaktoren im Zusammenhang mit der Anwendung von Avataren im sportlichen Training herausstellen“, erklärt Geisen.
Motivation: Eine Laufstudie hat gezeigt, dass Avatare eine erhöhte Motivation bei Sportler*innen auslösen, sich an deren Laufgeschwindigkeit anzupassen. Zudem führte das Training mit einem virtuellen Coach bei Radsportanfänger*innen zu mehr Freude als ohne, einhergehend mit einer erhöhten intrinsischen Motivation. Auch die extrinsische Motivation stieg aufgrund einer erhöhten externalen Regulation durch einen virtuellen Coach an.
Bewegungswahrnehmung: Ein zum Training der bildlichen Vorstellung an eine Kletterwand projizierter Avatar mit den Körpermaßen der eigenen Person veranlasste eine verstärkte Körperwahrnehmung der Athlet*innen bei deren anschließender eigener Bewegungsdurchführung an der Kletterwand.
Wahrgenommene Anstrengung: Im Vergleich zu einer regulären Trainingssituation resultierte der Einsatz eines virtuellen Coaches im Radsport in einem geringeren Maß an wahrgenommener Anstrengung.
Aufmerksamkeitsfokus: Mit Vorhandensein eines Coach-Avatars lenkten Radfahrer*innen ihre Aufmerksamkeit von einem assoziierten Zustand hin zur Dissoziation. „Im assoziierten Zustand befinden sich Sportler*innen bei der eigenen Bewegungsausführung in einer eher stärker emotional involvierten Wahrnehmung, während sie in einem dissoziierten Zustand, und dazu soll laut der Studie der Einsatz eines Coach-Avatars führen, die Situation während der Bewegung eher distanziert und analytisch wahrnehmen“, erklärt Geisen.
Selbstkonzept: Der sogenannte Proteus-Effekt, bei dem sich das Selbstbild und das Verhalten von Menschen durch bestimmte körperliche Erscheinungen eines zu verkörpernden Avatars verändern, konnte auch im Sport hinsichtlich der Assoziation des eigenen Körpers mit dem eines Avatars, welcher zum Beispiel einen hohen Anteil an Muskulatur oder Körperfett besaß, erkannt werden.
Die hier beschriebenen und zusammengetragenen Erkenntnisse aus der Wissenschaft konnten Geisen und Klatt, zusammen mit Tobias Baumgartner und Nina Riedl, in eigenen Studien teils selbst beobachten. Im Rahmen des Forschungsprojekts „Multimodales immersives Lernen mit künstlicher Intelligenz für psychomotorische Fähigkeiten“, kurz MILKI-PSY, entwickeln die vier genannten Spoho-Wissenschaftler*innen Lernumgebungen, die das Erlernen psychomotorischer Fähigkeiten unterstützen. Dazu werden optimierte Bewegungsabläufe von Trainer*innen bzw. Expert*innen mit Kameras und Sensoren aufgezeichnet. Aus diesen Aufnahmen generierte Bewegungsvorbilder, welche zum Beispiel in Form eines virtuellen Bewegungsskeletts präsentiert werden können, stellen Lernenden einen direkten Soll-/Ist-Wert-Vergleich zur Verfügung. Diese können auf einem großen Bildschirm, etwa in einer Augmented- oder Virtual-Reality-Umgebung, dargestellt werden. „Tänzerinnen und Tänzern beispielsweise wird es so leichter fallen, ihre Psychomotorik zu verbessern und die eigene Bewegung an die optimierte Bewegung des Experten anzupassen", erklärt Geisen. Projektpartner sind das Institut für Produktentwicklung und Konstruktionstechnik (IPK) der TH Köln, das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI), die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule (RWTH) Aachen und das Leibniz-Institut für Bildungsforschung (DIPF). Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt läuft noch bis 2024.
„Auch wenn unsere Untersuchungen noch lange nicht abgeschlossen sind, wird ersichtlich, dass Avatare im sportlichen Training einen Einfluss auf unterschiedliche psychologische Faktoren von Anwender*innen haben können“, sagt Geisen. Angesichts der vielfältig einzusetzenden Avatare, sowohl in unterschiedlichen Sportarten als auch für verschiedene Anwendungsgruppen, sprich im Leistungs- oder Hobbysport, sowie für variierende Trainingsziele, bedürfe es daher erweiterter bedürfnisorientierter Forschung. „Langfristig sollten verschiedene sportpsychologische Ansätze hinsichtlich der Anwendung von KI, insbesondere von Avataren, erarbeitet und ein für Körper und Psyche förderliches sportliches Training in Verbindung mit den innovativen Technologien sichergestellt werden.“
Text: Lena Overbeck
Bilder aus dem Forschungsprojekt
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