Nr. 5/2022
„Basketball ist ein Lebensgefühl …“
Mit Basketball infiziert hat ihn in der fünften Klasse seine Lehrerin. Seither ist Dr. Karsten Schul dem orangefarbenen Ball treu geblieben: als Spieler, Trainer, Coach, Dozent, Lehrer und Forscher. Und wenn man ihn nach seinem Traum-Job fragt, ist er genau da, wo er immer sein wollte: an der Schnittstelle zwischen Forschung, Lehre und Sportpraxis, in einer Sportart, die ihn bis heute fasziniert. Auch seine drei Kinder haben die Sportbegeisterung des Vaters geerbt und spielen aktiv Volleyball, Basketball und Korfball. Beim Korfball ist der heute 55-Jährige begeisterter Zuschauer, wenn zwei seiner Kinder den Ball, der nicht orange ist, in diesen anderen Korb werfen. Er schätzt die familiäre Atmosphäre, die innerhalb der Korfball-Familie, auch bei Deutschen Meisterschaften, herrscht.
Karsten Schul ist 10 und in der fünften Klasse, als eine Lehrerin sein Talent erkennt und ihn in einen Siegener Basketball-Verein schickt. „Im Grunde genommen hat seit diesem Zeitpunkt Basketball immer eine Rolle in meinem Leben gespielt“, so der Sportwissenschaftler aus dem Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik. Von dem kleinen Verein in Siegen, wo er seine ersten Dribblings und Korbwürfe macht, geht es weiter als Jugend- und Seniorenspieler bis in die höchste deutsche Spielklasse: mit den Telekom Baskets Bonn gelingt ihm 1996 der Aufstieg in die Basketball-Bundesliga, kurz danach wechselt Schul zu den „Riesen vom Rhein“, wie das Bundesligateam von Bayer 04 Leverkusen damals genannt wurde, und für die er heute noch als Trainer in der Regionalliga aktiv ist.
Im Hauptberuf ist er inzwischen Lehrkraft für besondere Aufgaben in der Abteilung Kognitions- und Sportspielforschung des Instituts und leitet das Lehrforschungsgebiet Basketball. Und ist dort genau an der richtigen Stelle! „Seit meinem 15. Lebensjahr habe ich immer irgendwelche Mannschaften gecoacht“, sagt er. „Schon seit dieser Zeit wollte ich immer Coach oder Lehrer werden, oder am besten beides miteinander verknüpfen.“ (lacht). Nach Abschluss seines Studiums an der Sporthochschule 2008 unterrichtet er zunächst als Lehrbeauftragter für Basketball die Studierenden. Leiter der Basketballausbildung an der Hochschule ist zu diesem Zeitpunkt Dr. Gerd Schmidt. „Gerd Schmidt war ja eine Institution hier an der Spoho, und wir waren von Anfang an auf einer Wellenlänge. ‚Gerd, Deinen Job hätte ich gerne!‘, habe ich häufiger zu ihm gesagt. Seine Antwort: Vielleicht wirst Du ja mal mein Nachfolger!“ Schicksal, Glück, Zufall …? 2009 ist die Stelle ausgeschrieben und Karsten Schul kann im Vorstellungsgespräch überzeugen. Mit seinem Vorgänger teilt er nicht nur die Liebe zum Basketball, sondern auch die Begeisterung für das Unterrichten. Dabei ist es egal, ob er Kinder oder Erwachsene, Anfänger oder Profis vor sich hat.
Basketball inklusiv in der Lehrer*innenausbildung
Eine seiner absoluten Lieblingsgruppen kommt jeden Mittwochnachmittag in die Halle 8: eine bunt gemischte Gruppe von Kindern und Jugendlichen im Alter von sechs bis achtzehn Jahren mit unterschiedlichen geistigen oder körperlichen Beeinträchtigungen. „Ich bekomme Gänsehaut, wenn ich darüber spreche“, sagt der knapp zwei Meter große Basketball-Dozent. „Die kommen in die Halle und freuen sich, das ist einfach großartig!“ Ausgangspunkt war das Team Bananenflanke e.V., ein innovatives Fußballprojekt speziell für behinderte und sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche, mit Standorten in ganz Deutschland, unter anderem auch in Köln. „So etwas Ähnliches wollten wir im Basketball auch aufziehen!“ Und dabei natürlich auch die Studierenden mit einbeziehen. Im Semester betreuen nun jeweils vier Studierende des Studiengangs B.A. Sport- und Bewegungsvermittlung in Freizeit- und Breitensport im Rahmen ihres Studienmoduls „Lehren & Lernen“ die Gruppe. Und auch in Karsten Schuls Lehramtskursen ist das Thema Inklusion fester Bestandteil der Ausbildung.
Die Verbindung aus Lehre, Vermittlung, Forschung und Sportpraxis ist Karsten Schul wichtig. „Wir haben hier die einzigartige Möglichkeit, alle Aspekte miteinander zu kombinieren, also nicht nur zu unterrichten, sondern auch alles zu hinterfragen. Mein Ziel war es schon immer, möglichst praxisnah zu forschen, und den Transfer der Ergebnisse in die Praxis möglichst schnell zu ermöglichen.“ Im Rahmen seiner Dissertation hat er untersucht, wie in den Auszeiten eines Basketballspiels Informationen am besten an die Spieler*innen übermittelt werden können und welche Rolle mentale Rotationen beim Gebrauch des Taktikboards spielen. „Zwei, drei Jahre später hab ich dann gesehen, dass der Deutsche Basketball Bund (DBB) die Ergebnisse in die Ausbildung übernommen hat, das ist natürlich toll, wenn sich die Forschungsergebnisse auch in der Praxis niederschlagen.“ Im DBB ist er inzwischen Mitglied der Lehr- und Trainerkommission; seine Kolleg*innen und er konnten schon einige Änderungsvorschläge in die Trainerausbildung einbringen. „Es macht total Spaß, dort mitzuarbeiten und dann auch wirklich Dinge verändern und neue Ideen einbringen zu können.“
Aktuell forscht Karsten Schul unter anderem mit einem im letzten Jahr im IG NawiMedi installierten Trainings- und Diagnostiktool, dem SpeedCourt. Der 6,50 m x 6,50 m große Sportboden in Parkettoptik ist mit neun Quadraten markiert, die mit Sensoren unterlegt sind. Über einen Bildschirm erhalten die Proband*innen eine vorgegebene Laufroute, die sie so schnell wie möglich absolvieren und zusätzlich unterschiedliche kognitive Zusatzaufgaben lösen müssen. „Uns interessieren hier die Unterschiede zwischen den Slow bzw. Fast Thinkern und den Slow bzw. Fast Movern. Wir erhoffen uns durch diese Studien interessante Aufschlüsse für die Sportpraxis.“
Aber auch den Unterricht an der Schule möchte Karsten Schul durch seine Forschung interessanter gestalten. „Wenn ich höre, wie teilweise in der Schule der Sportunterricht aussieht, kann ich nur den Kopf schütteln.“ Seit einigen Jahren beschäftigt er sich mit TGFU – Teaching Games for Understanding, ein spielerisch-orientiertes Konzept zur Vermittlung von Sportspielen, bei dem das Spiel selbst und nicht die Vermittlung einzelner Skills im Mittelpunkt steht. Außerdem möchte er erforschen, welche Möglichkeiten Metaphern und Bilder in der Sportspielvermittlung bieten. „Dirk Nowitzki wirft wie ein Flamingo oder die Monkey Defense – Du verteidigst wie ein Affe mit langen Armen. Warum helfen diese Bilder, was sind die Hintergründe? Das interessiert mich, darüber möchte ich gerne mehr herausfinden.“
Begeistert ist Karsten Schul von der neuen 3x3 Variante im Basketball; er ist überzeugt davon, dass 3x3 für die Schule besser geeignet ist als fünf gegen fünf: „Wir haben auf zwei Körben viel mehr Kinder beschäftigt, mehr Ballkontakte, mehr Wurfmöglichkeiten. Das wird sich in Zukunft in der Schule durchsetzen.“ Für Lehrer*innen bietet er Fortbildungen zur neuen Basketballvariante an. Im Vereinssport sieht er aktuell noch Anlaufschwierigkeiten: „3x3 ist ähnlich organisiert wie Beachvolleyball, keine klassische Ligenstruktur, du spielst Turniere und sammelst Punkte. Vorteil: ein viel geringerer Organisationsaufwand; Nachteil ist aber die fehlende Struktur, die wir im deutschen Vereinssystem gewohnt sind. Ich gehe aber davon aus, dass in der mittleren Zukunft Vereine beides anbieten werden: fünf gegen fünf und 3x3.
„Basketball ist ein Lebensgefühl“, sagt Karsten Schul, das ist der Unterschied zu manch anderer Spielsportart, sichtbar auch am Outfit der Kinder und Jugendlichen: Sie tragen Basketball-Sneakers, Basketball-Shirts und Basketball-Caps. „Unser Basketball-Freiplatz ist im Sommer immer voll, und alle, egal wie gut sie spielen können, haben Spaß. Du brauchst nicht viel, du brauchst einen Ball, einen Korb und das war’s. Dann kannst Du das Spiel spielen – alleine, eins gegen eins, drei gegen drei …. Das ist einfach mehr als nur eine Sportart.“ Karsten Schul kennt den amerikanischen Basketball, hat eine Summer League an der High School gespielt und konnte sich in diesem Jahr in New York einen Kindheitstraum erfüllen: „Der Madison Square Garden ist die bekannteste Basketballhalle der Welt, der berühmteste Basketballfreiplatz ist der Rucker Park, sozusagen das Wembleystadion für Basketballfans. Ich hab mich tatsächlich nach Harlem und auf den Platz getraut, gemeinsam mit den Kids dort ein paar Bälle geworfen – es war unbeschreiblich, ich hab mich gefühlt wie ein kleiner Junge.“
Von dieser Basketballbegeisterung ist Köln noch ein bisschen entfernt. „Das größte Problem in Köln heißt Fußball, Fußball, Fußball … Fußball hat hier so einen Stellenwert, dass keine andere Sportart daneben Platz hat. Selbst in den 1980er Jahren, als Köln im Basketball super erfolgreich war, hat das im Prinzip keinen interessiert. Die werden Deutscher Meister, Pokalsieger, spielen international … und bis auf ihr festes Stammpublikum geht keiner hin. Das war in Bonn anders, wenn Bonn einfach „nur“ Vizemeister wurde, da war die ganze Stadt im Ausnahmezustand!“
Dass Köln dennoch ein gutes Basketballpflaster ist, hat die aktuelle Vorrunde der Basketball-Europameisterschaft gezeigt, wo nicht nur das deutsche Team mit Spitzenleistungen für eine volle Halle gesorgt hat. Auch in der Stadt konnte man gemeinsam mit litauischen, französischen oder slowenischen Fans die Basketballbegeisterung spüren. Auf wen Karsten Schul als Europameister getippt hat? „Wenn alle gesund bleiben, dann hat Deutschland bei dieser Heim-EM nach langer Zeit mal wieder eine realistische Chance, zumindest ins Halbfinale zu kommen, um eine Medaille zu spielen. Favorit auf den Titel – das ist schwer zu sagen – Slowenien natürlich, mit Dončić, die spielen einfach toll. Aber sie müssen dennoch erst mal an uns vorbei. Vielleicht haben wir im Vorrundenspiel Deutschland-Slowenien ja schon den späteren Europameister gesehen …“. (lacht)
Text: Sabine Maas