Nr. 6/2017

Traditionelle Denkweisen im Schulunterricht

Dr. Sebastian Ruin vom Institut für Sportdidaktik und Schulsport ist der Frage nachgegangen, inwiefern das Körperbild von Sportlehrerinnen und -lehrern mit den Ansprüchen an einen inklusiven Schulsport kompatibel ist.

Traditionell wird der Körper in der Welt des Sports als formbares Objekt begriffen, das durch bestimmte Trainingsmaßnahmen Bewegungen erlernen und optische Konturen ausprägen kann. In jüngster Zeit avancierte ein gesunder, gut trainierter Körper mehr und mehr zu einer Art Statussymbol, das mit immer neuen Methoden optimiert wird. Diese Entwicklung übt nicht nur einen großen Druck auf Menschen aus, deren äußere Erscheinung nicht dem Ideal entspricht, sie konterkariert überdies die Grundideen eines inklusiven Schulsports. Schule soll ja eigentlich dazu beitragen, auch solchen Kindern einen diskriminierungsfreien Zugang zum kulturellen Leben zu verschaffen, die nicht der Norm entsprechen. Für das in einem traditionellen Verständnis kompetitive, körper-und handlungsorientierte Unterrichtsfach Sport ergibt sich daraus eine ganz besondere Herausforderung: Einerseits können hier Integrationsimpulse entstehen, zugleich droht aber auch eine Ausgrenzung bestimmter Kinder. Eine Schlüsselrolle für das Gelingen eines inklusiven Schulsports fällt daher den Lehrerinnen und Lehrern zu. Doch mit welchen Haltungen betrachten die Lehrkräfte Schüler mit ihren unterschiedlichen Körpern? Welche Körpervorstellungen prägen den Alltag an der Sozialisationsinstanz Schule im Unterrichtsfach Sport?

Solche Fragen seien „hoch relevant und bislang kaum erforscht“, schreibt Dr. Sebastian Ruin in einem Aufsatz mit dem Titel „Vielfältige Körper? Eine empirische Untersuchung zu Körperbildern von Sportlehrkräften vor dem Hintergrund des Inklusionsdiskurses“, der gerade im German Journal of Exercise and Sports Research erschienen ist. Der Forscher vom Institut für Sportdidaktik und Schulsport der Deutschen Sporthochschule Köln wollte wissen, welche Körperbilder unter den Lehrkräften für das Fach Sport vorherrschen. Dazu hat er im Rahmen leitfadengestützter Interviews 49 LehrerInnen aus Nordrhein-Westfalen befragt und eine inhaltsanalytische Auswertung der Antworten vorgenommen.

Im Zentrum der Studie steht die Frage, welche Körperbilder dem Sportunterricht zu Grunde liegen, drei Grundkategorien definiert Ruin: ein objektivierendes Körperbild, demzufolge der Einzelne seinen individuellen Körper – scheinbar freiwillig – der gesellschaftlichen Norm annähert. Ein subjektivierendes Körperbild, demzufolge der Sportunterricht durch vielfältige individuelle Körpererfahrungen zur Persönlichkeitsentwicklung beitragen sollte, statt auf die korrekte Ausführung normierter Bewegungen hinzuwirken. Und ein ambivalentes Körperbild, in dem sich beide Varianten mischen. „Die Ergebnisse offenbaren ein insgesamt vielschichtiges Bild, jedoch mit einer deutlichen Tendenz über alle Befragten hinweg, die Körper der Lernenden als Objekte zu begreifen“, resümiert Ruin. Die zentrale Erkenntnis: Ein subjektivierendes Körperbild, das eher mit den formulierten Ansprüchen eines inklusiven Unterrichts kompatibel ist, steht nur bei einem Fünftel der Befragten im Vordergrund.

Interessant ist, dass Frauen dieser alternativen Betrachtung des Unterrichts eher offen gegenüberstehen. Auch unter den Befragten, die bereits zwischen sechs und 20 Jahren als LehrerInnen arbeiten, wird eine vergleichsweise große Offenheit gegenüber dem subjektivierenden Körperbild erkennbar. Männliche, jüngere und ältere Pädagogen neigen hingegen deutlich zum objektivierenden Körperbild, während ein ambivalentes Körperbild vor allen Dingen unter den befragten GrundschullehrerInnen verbreitet ist. Auffällig war außerdem, dass LehrerInnen, die bereits Erfahrungen an inklusiv arbeitenden Schulen sammeln konnten, deutlich häufiger ein subjektivierendes Körperbild entwickelt hatten.

Der Gesamteindruck führt die Forscher allerdings zu einem eher kritischen Resümee: Dass rund zwei Drittel der LehrerInnen ihre Schüler „tendenziell als funktionale, zu disziplinierende bzw. an Normen anzugleichende Objekte“ begreifen, stehe „quasi diametral zu den fachdidaktischen Ansprüchen an einen zeitgemäßen, erziehenden und inklusiven Schulsport“.

Text: Daniel Theweleit

Kontakt

Dr. Sebastian Ruin ist seit September 2020 an der Uni Graz tätig.