Nr. 6/2017
„Mein Wunsch ist, trainingswissenschaftliche Prinzipien in die klinische Forschung zu übertragen.“
Dr. Moritz Schumann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der Deutschen Sporthochschule Köln. Er promovierte zum Thema des parallelen Kraft- und Ausdauertrainings an der University of Jyväskylä in Finnland und forscht nun unter anderem zur Wirkung von intensiven Trainingsmaßnahmen in der Krebstherapie.
Herr Schumann, Sie forschen auf einem Gebiet, von dem viele Leute glauben, die wichtigsten Fragen seien längst geklärt: den Grundlagen des Kraft- und Ausdauertrainings. Gibt es hier tatsächlich noch Bedarf an neuem Wissen?
Traditionell kursieren in der Praxis viele Theorien, die längst widerlegt sind. Zum Teil verbreiten sich diese über die sozialen Netzwerke und nicht-wissenschaftliche Magazine. Oftmals entstehen daraus dann Dogmen, die nur sehr schwer zur widerrufen sind. Die Grundlagen des Kraft- und Ausdauertrainings an sich sind bereits recht gut erforscht. Die Kombination von Ausdauer- und Krafttraining in einem Trainingsprogramm hingegen rückte erst richtig zur Jahrtausendwende in den Fokus der Sportwissenschaft, wobei gezielte Fragen zum Teil erst in den letzten zwei bis drei Jahren wissenschaftlich beantwortet wurden.
Mit Ihrer Doktorarbeit stellen Sie die alte Behauptung in Frage, Krafttraining sei nutzlos für Ausdauersportler und umgekehrt.
Genaugenommen wurde dies bereits mit ersten Studien in 1999 widerlegt, aber in der Praxis sind diese Erkenntnisse noch längst nicht komplett angekommen. Ausdauer wird allgemein definiert als die Ermüdungswiderstandsfähigkeit gegen eine lang andauernde Belastung. Aus sportwissenschaftlichen Grundprinzipien ist bekannt, dass durch ein gezieltes Maximalkrafttraining die Schwelle für eine muskuläre Ermüdung erhöht wird, wodurch die muskuläre Leistung länger aufrechterhalten werden kann (d.h. Ausdauer). Allerdings wird aus für uns unbekannten Gründen genau dieser Effekt noch immer oft übersehen. Noch deutlicher wird die Bedeutung von gezieltem Krafttraining für eine verbesserte Ausdauerleistungsfähigkeit am Beispiel der Laufsportarten. Durch die Vordehnung der Wadenmuskulatur beim Fußaufsatz wird in den elastischen Strukturen der Muskulatur kinetische Energie gespeichert, welche dann beim Abdruck vom Boden freigesetzt wird. Je kürzer die Bodenkontaktzeit, desto ökonomischer ist die Vorwärtsbewegung durch eine verringerte Sauerstoffkonzentration. Genau da setzt vor allem das Explosivkrafttraining an. Die alte Furcht, dass ein Ausdauersportler durch Krafttraining zu viele Muskeln aufbaut, ist durch den hohen Ausdauertrainingsumfang unbegründet, wie unsere Studien gezeigt haben.
Warum halten sich falsche Theorien gerade im Bereich des Kraft- und Ausdauertrainings derart hartnäckig?
Das ist schwierig zu beantworten. Die Frage ist, ob es tatsächlich vor allem das Kraft- und Ausdauertraining betrifft. Viel mehr ist das wohl ein Problem, dass sich durch viele Bereiche der Wissenschaft zieht. Ich denke, ein Problem ist das System, in dem wissenschaftliche Studien nicht für jeden frei zugänglich sind. Oft fehlt auch die Zeit, Studien im Detail zu lesen. Oftmals sind es kleine Begrifflichkeiten im Abstract eines Papers, die dann die eigentliche Aussage der Studie verändern. Es wird viel zu selten geschaut, wo das vermeintliche Wissen herkommt. Wenn man sauber wissenschaftlich arbeitet, sollte man ja eigentlich die Quellen, die man zitiert, auch wirklich genau lesen. Die Frage ist, ob das in diesem wissenschaftlichen Wettkampf, in dem jeder immer mehr publizieren muss, möglich ist. Dabei entstehen Mythen, da gehen Dinge von Trainer zu Trainer, von Athlet zu Athlet und dieser Verbreitungsweg ist viel effizienter und viel schneller als die Wissensvermittlung durch eine Publikation in einem Fachmagazin.
Wird auch im professionalisierten Hochleistungssport mit überholtem Wissen gearbeitet?
Das hängt von der Sportart, vom Verband und vom Land ab. Aber es ist tatsächlich so, dass Trainerinnen und Trainer oft selbst Sportler waren und ihr altes Wissen weiter geben. Informationen mündlich zwischen Trainern und Athleten auszutauschen und weiter zu geben, ist oft effizienter als wissenschaftliche Studien zu lesen. Hier gibt es durchaus auch Probleme in der Kommunikation zwischen Wissenschaftlern und Sportpraktikern. Der deutsche Schwimmverband hat beispielsweise lange an alten Prinzipien festgehalten, obwohl die Studienlage zur Bedeutung von Krafttraining zur Verbesserung der Ausdauer mittlerweile eindeutig ist. Erst seit kurzem gibt es dort ein Umdenken.
Mit Kraft- und Ausdauertraining haben Sie sich während Ihrer Zeit in Finnland beschäftigt und dort Ihre Doktorarbeit geschrieben. Wo liegt der Schwerpunkt Ihrer Arbeit an der Deutschen Sporthochschule Köln?
Nachdem ich meine wissenschaftliche Karriere ursprünglich in der Sporttherapie begonnen habe, war mein Fokus in den letzten Jahren im breiten- und leistungssportlichen Bereich. Jetzt ist das Ziel, diese Forschungsgebiete miteinander zu verknüpfen. Meiner Meinung nach gibt es durchaus viele Parallelen zwischen einem Leistungssportler und einem Patienten, beispielsweise in der Krebstherapie, der aus sportwissenschaftlicher Sicht eigentlich die gleiche Betreuung bräuchte. Mein Wunsch ist, trainingswissenschaftliche Prinzipien in die klinische Forschung zu übertragen.
Mit welcher konkreten Perspektive?
Wir wissen mittlerweile, dass Patienten mit bestimmten Erkrankungen oft ein sehr gezieltes, zum Teil intensives Training brauchen. Sowohl die Patienten als auch die Leistungssportler sind oft an der Grenze ihrer physischen Kapazität, die einen nach oben, die anderen nach unten. Wir glauben beispielsweise, dass Chemotherapie-Patienten enorm von einem gezielt geplanten und gesteuerten Training profitieren können, nicht nur, um grundsätzlich fitter zu werden, sondern im Kampf gegen ihre Krankheit.
Um das zu beweisen, sind Sie an einer großen international angelegten Studie beteiligt, an der ganz unterschiedliche Institute mitwirken.
Die Hälfte meiner Stelle wird aus einer multizentrischen Krebsstudie finanziert. Das Trainingssteuerzentrum ist in Perth, Australien, das Datenkontrollzentrum ist in San Francisco, weltweit sind 15 Institutionen angeschlossen. Dabei geht es um Prostatakrebspatienten im fortgeschrittenen Stadium, bei denen man in der Regel nur noch eine Lebenserwartung von etwa 2,5 Jahren prognostiziert. Ziel ist es, weltweit fast 900 Patienten einzuschließen, welche eine zweijährige Trainingsintervention mit betreutem und selbstständig durchgeführtem Kraft- und Ausdauertraining absolvieren. Während sich bisherige Studien vor allem mit einer Milderung der durch die Chemotherapie herbeigeführten Nebeneffekte beschäftigt haben, ist diese Studie die erste Untersuchung, die sich tatsächlich mit der Überlebensfähigkeit der Patienten befasst. Dazu sollen auch nach Ende der Trainingsintervention über einen Zeitraum von drei Jahren weitere Daten erhoben werden.
Sie glauben, es sei wirklich möglich, eine schwere Krebserkrankung durch Training überleben zu können?
Es geht vor allem darum, die Lebenserwartung zu erhöhen. Bei Prostatakrebspatienten sprechen wir in der Regel über ein Patientenkollektiv im fortgeschrittenen Alter. Es gibt bisher aber tatsächlich erste Tierversuche, die zeigen, dass durch körperliches Training das Tumorwachstum gehemmt werden kann. Wie es dazu kommt, ist momentan noch nicht geklärt, wird aber unter anderem in der bereits bestehenden Forschungsgruppe an unserem Institut seit mehreren Jahren untersucht. Es geht also nicht nur um eine Verringerung der Nebeneffekte, sondern tatsächlich auch darum, die Metastasierung einzudämmen.
Interview: Daniel Theweleit
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