Nr. 6/2018
„Eine Mannschaft ist mehr als die Summe ihrer Teile“
Mannschaftssport übt auch deshalb eine so große Faszination auf Millionen von Menschen aus, weil nicht alleine individuelle Fähigkeiten und Taktik oder Strategie über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Immer wieder spielt der zwischenmenschliche Aspekt eine entscheidende Rolle, ein harmonisches Zusammenspiel, ein konstruktives Miteinander. Dr. Fabian Pels untersucht am Psychologischen Institut der Deutschen Sporthochschule Köln in einem Forschungsprojekt das Phänomen Group Flow. Der Diplom-Psychologe sagt, dass innerhalb einer Gruppe sowohl bezogen auf das soziale Miteinander als auch bezogen auf die Aufgaben eine Passung vorliegen muss, damit ein „Flow“ entsteht.
Herr Pels, beschreiben Sie doch bitte zu Beginn einmal, was Group Flow in der Sportpsychologie im Allgemeinen bedeutet?
Grundsätzlich ist Group Flow ein Phänomen, das man im Sport immer wieder beobachten kann, zum Beispiel dann, wenn Mannschaften perfekt aufeinander abgestimmt sind, wenn sie harmonisch interagieren, wenn ein einheitlicher Zug erkennbar ist. Stimmigkeit und Balance sind die zentralen charakteristischen Merkmale einer Mannschaft im Group Flow. So ist beispielsweise das Verhalten der einzelnen Spieler perfekt und doch zugleich scheinbar mühelos aufeinander abgestimmt und es liegen ähnliche Ziele vor.
Woher stammt der Begriff?
Der Begriff Flow wurde in der Psychologie insbesondere durch den Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi geprägt. Damit ist gemeint, dass zum Beispiel ein Sportler in einen mentalen Zustand völliger Vertiefung gelangen kann, in dem er aufgeht und den er immer wieder erreichen möchte. Charakteristisch für das Flow-Erleben sind laut Csíkszentmihályi unter anderem klare Zielsetzungen, eine volle Konzentration auf das Tun, das Gefühl der Kontrolle der Tätigkeit und der Einklang von Anforderung und Fähigkeit.
Csíkszentmihályi hat seit den 1970er Jahren das Konzept des Flow untersucht. Inwiefern unterscheidet sich Group Flow?
Der Flow-Ansatz von Csíkszentmihályi – wir nennen ihn Individual Flow – ist sozusagen die Basis für die noch recht zaghafte Group Flow-Forschung. Die grundlegenden Prinzipien sind in beiden Ansätzen gleich: Bei der zu bewältigenden Aufgabe müssen einerseits überdurchschnittlich hohe Anforderungen und andererseits überdurchschnittlich hohe Fähigkeiten der Personen vorliegen, eine Herausforderung also, bei der der Einzelne oder die Gruppe aber dennoch das Gefühl hat, die Anforderungen bewältigen zu können. Ein zentraler Unterschied beim Group Flow ist die soziale Komponente. Das heißt, der Bezugsrahmen ist nicht die individuelle Handlung, sondern die Handlung der gesamten Gruppe und die Einbettung der eigenen Person in ebendiese. Zentraler Bestandteil des Group Flow ist somit auch die Art und Weise, wie man sich selbst in der Interaktion mit anderen erlebt.
Ist Group Flow ein Zustand, der von außen erkennbar ist oder ein rein individuelles Empfinden der Teammitglieder?
Beides ist grundsätzlich richtig, es kommt auf die Perspektive an. Group Flow ist definitiv von außen beobachtbar, zum Beispiel beim spanischen Tiki-Taka-Fußball, wo der Ball immer flüssig über zig Passstationen läuft, bis er letztlich im Optimalfall erfolgreich im Tor untergebracht wird. Andererseits können sich auch die Spieler im Group Flow befinden, wenn sie das Gefühl haben, dass alles in der Gruppe glatt läuft und alle am selben Ziel arbeiten, an einem Strang zu ziehen.
In welchen anderen Situationen außerhalb des Sports kann man von Group Flow sprechen?
Bei sozialpsychologischen Konstrukten, die wir untersuchen, ist es meistens so, dass der Sport ein Betrachtungsgebiet darstellt, das übertragbar ist auf andere Anwendungsfelder, zum Beispiel auf das Arbeitsleben. Group Flow kann etwa in Arbeitsgruppen entstehen, sei es am Fließband oder bei kreativen Prozessen in der Design- und Medienbranche, oder auch in der Musik, zum Beispiel bei Chören oder Orchestern.
In Ihrem Projekt haben Sie eine systematische Literaturanalyse gemacht und im ersten Schritt die Begriffsdefinitionen von Group Flow erfasst. Zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen?
Unsere systematische Literaturübersicht umfasst 25 Artikel, die speziell das Phänomen Group Flow behandeln. Die Definitionen hier sind sehr heterogen, das heißt aber nicht, dass sie nicht miteinander vereinbar wären. Teilweise wird derselbe Gegenstand aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet. Manche Autoren betrachten Group Flow aus der Außenperspektive und schauen sich die Gruppe als Ganzes an. Andere analysieren aus der Perspektive des Individuums, das Teil der Gruppe ist. Einige Autorenteams legen ihren Schwerpunkt eher auf Emotionen und den Bewusstseinszustand, andere mehr auf das Verhalten und die Interaktionen innerhalb der Gruppe.
Das heißt es gibt keine einheitliche Definition von Group Flow?
Nein, derzeit noch nicht. Allerdings haben wir anhand des Gesamtüberblicks versucht, eine integrative Definition zu entwickeln, die ein Versuch von Konsensfindung ist. Diese beinhaltet, dass Group Flow bei einer Gruppenaufgabe auftreten kann, die überdurchschnittliche Anforderungen an die Gruppenmitglieder stellt, für die die Gruppenmitglieder aber hohe Kompetenzen aufweisen, so dass die Lösung der Aufgabe grundsätzlich möglich ist. Zudem müssen eine positive Beziehung und eine positive Interaktion zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern vorliegen. Auch auf emotionaler und kognitiver Ebene muss ein stimmiges Bild existieren.
Im zweiten Schritt haben Sie die theoretischen Ansätze erfasst.
Hier haben wir ein ähnliches Bild in der Literatur gefunden wie bei den Begriffsdefinitionen, ein sehr heterogenes. Es gibt Erklärungsansätze, die sich auf bestehende sozialpsychologische Theorien beziehen, zum Beispiel auf die sozial-kognitive Theorie von Bandura. Diese Ableitung besagt, dass sich eine Gruppe kollektiv wirksam fühlen muss, damit Group Flow auftritt, sprich sie muss eine positive Erwartung haben, dass sie die aufkommenden Anforderungen bewältigen kann. Andere Ansätze versuchen, komplett neue theoretische Modelle zu entwickeln.
Wie kann man Group Flow messen?
Generell gibt es bislang keine Standards für Messverfahren zum Group Flow. In Abhängigkeit davon, welche Perspektive der Forscher einnimmt, ändert sich auch die Messmethode. Es gibt bereits erste Ansätze dazu, ein Beobachtungsschema zu entwickeln, mit dem kodiert werden kann, ob Group Flow vorliegt oder nicht. Aus der Perspektive des Individuums wäre eine Möglichkeit, mit Interviews oder Fragebögen zu arbeiten, aber auch da liegen keine Standards vor. Im Gegenteil, wir haben auch Messmethoden zum Group Flow in der Literatur gefunden, die wir kritisieren, weil sie unserer Meinung nach nicht zur jeweiligen Definition oder dem theoretischen Ansatz passen.
Welches Messverfahren wäre in Ihren Augen das richtige?
Es gibt kein richtiges oder falsches, es gibt nur passende und unpassende. In den Augen unserer Forschergruppe wäre ein passendes Instrument zum Beispiel ein Fragebogen. Um diesen zu entwickeln, führen wir derzeit innerhalb des Projekts eine Interviewstudie mit Ruderern durch. Wir wollen hiermit Items identifizieren und Kriterien entwickeln, die in die Fragebögen aufgenommen werden. Hier wird es zum Beispiel Fragen dazu geben, ob die Kompetenzen der Sportler zu den Anforderungen passen, die an die Gruppe gestellt werden. Ob die Sportler die Interaktion untereinander als abgestimmt wahrnehmen. Das Verfahren der Beobachtung steht bei uns im jetzigen Projektstatus nicht im Vordergrund, wird aber sicherlich zu einem späteren Zeitpunkt noch im Projekt berücksichtigt.
Welche empirischen Studien wurden bereits zum Thema Group Flow durchgeführt?
Es gibt einige Studien, die das Phänomen Group Flow tatsächlich empirisch zeigen. Einige Studien haben sich auch mit Determinanten, also Voraussetzungen und Einflussfaktoren, oder aber auch mit Folgen von Group Flow beschäftigt. Aber aus unserer Sicht folgen diese vereinzelten Befunde keiner klaren Linie, da dort kein klares Forschungsprogramm dahintersteckt.
An welchem Punkt des Projekts sind Sie gerade angekommen?
Wir haben bislang eine gute Grundlage geschaffen. Wir haben jetzt einen sehr guten Überblick über die bestehende Forschungslage. Wir sind, nach unserem Stand, die Ersten weltweit, die solch einen Überblick zu diesem Thema zusammengetragen haben. Ein Übersichtspaper zu diesen bisherigen Erkenntnissen befindet sich momentan im Begutachtungsprozess. Die eigentliche Forschungsarbeit, die theoretische Arbeit, die folgt erst jetzt. Eines unserer nächsten Ziele ist, ein theoretisches Modell zu entwickeln, das den Zustand von Group Flow wirklich präzise beschreibt. Dieses soll anschließend auch die Prozesse beschreiben können, die dazu führen, dass Group Flow auftritt oder auch nicht, zum Beispiel unter Berücksichtigung von Ansteckungsprozessen in einer Gruppe. Daraus wollen wir dann ein konkretes Forschungsprogramm ableiten.
Sind Sie aus persönlichem Interesse auf dieses Forschungsthema aufmerksam geworden?
Ich interessiere mich schon lange für das Flow-Phänomen nach Csíkszentmihályi und habe dazu auch meine Diplomarbeit verfasst. Durch eigene Group Flow-Erlebnisse hat sich das wissenschaftliche Interesse noch verstärkt. Ich selbst habe Group Flow vor allem beim Fußball und beim Padel erlebt – ein tolles Gefühl. Da wir bei allen unseren Forschungsaktivitäten versuchen, den gesellschaftlichen Nutzen zu berücksichtigen, wäre es ein gelungenes Projekt, wenn man mit den Ergebnissen anderen Menschen positive Gruppenerlebnisse ermöglichen könnte.
Das würde wiederum bedeuten, dass man Group Flow-Erlebnisse lernen bzw. trainieren kann?
Das ist eine wichtige Frage, inwiefern man das trainieren kann oder inwiefern zumindest Rahmenbedingungen geschaffen werden können, von einem Trainer oder Sportpsychologen, die Group Flow begünstigen. Es wäre natürlich schön, wenn man künftig auch Interventionen gestalten könnte.
Nehmen wir mal die Topmannschaften in der Fußball Champions League: Grundsätzlich haben die Kader der besten fünf, sechs Teams ein ähnliches Niveau, es heißt immer, hier entscheiden Kleinigkeiten. Welche Rolle spielt Ihrer Meinung nach die Balance innerhalb der Mannschaften?
Ich denke, dass die Abstimmung eine bedeutende Rolle spielt. Eine Fußballmannschaft ist immer mehr als die Summe ihrer Teile. Eine gute Abstimmung betrifft sowohl die sozialbezogene Abstimmung, das heißt, die Teammitglieder sollten sich gut verstehen und Vertrauen zueinander haben. Andererseits muss die aufgabenbezogene Abstimmung passen; es muss klar sein, wer welche Aufgabe hat und wie sich der Mitspieler wann verhält.
Interview: Julia Neuburg
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