Nr. 6/2021
Ein Wanderer zwischen den Welten
Er hat als freier Journalist gearbeitet, unter anderem für die Süddeutsche Zeitung, Spiegel Online, die Deutsche Welle, bevor er sich der Kommunikation von der anderen Seite zugewandt hat. Seit 2003 gehört Dr. Christoph Bertling (47) zum Institut für Kommunikations- und Medienforschung. In seiner Forschung widmet er sich vor allem den Grenzbereichen. Woran er aktuell arbeitet, wie die neuen Medien die Medienlandschaft verändern (oder eben auch nicht) und warum er ein Fußballspiel nicht einfach nur schauen kann, verrät er im Interview für den Forschungsnewsletter.
Herr Bertling, woran forschen Sie aktuell?
Die jüngste Forschung dreht sich darum, wie man sich auf neue Medien, wie Amazon oder Netflix, einstellen kann. Wie man zum Beispiel Live-Übertragungen im Sport besser strukturieren kann. Hier interessiert immer stärker: Wie kann ich das Bild anreichern? Mit Daten, Statistiken, Zusatzinformationen … Brauche ich einen Second Screen oder kann ich das nur in eine Richtung kommunizieren? Es geht um technische Innovationen und wie man die auf den Markt bringen kann.
Was hat sich in der Sportberichterstattung durch Amazon und Netflix verändert?
Das ist genau das Problem: nicht viel. Ich finde, dass sie viel zu langweilig sind. Dass sie eigentlich nicht innovativ sind. Es ist erstaunlich, wie wenig innovativ Marken sind, die wir eigentlich als innovativ ansehen. Schaut man sich die Sportdokumentationen und Live-Sportberichterstattungen an, dann kommt man schnell zu der Erkenntnis: Das hätte ich mir auch vor zwanzig Jahren im Fernsehen angucken können. Und dann stellt sich die Frage, warum das so ist. Und dann bewege ich mich in einem für mich total spannendem Forschungsfeld.
Sie sagen, dass Netflix und Amazon nicht innovativ sind. Sind es denn zum Beispiel ARD und ZDF?
Ich glaube nicht, dass sie innovativer sind. Mich erstaunt es allerdings auch nicht. Was mich aber schon erstaunt ist, dass jemand wie Amazon oder auch Facebook im Grunde genommen alte Formate in neue Formate kopiert. Und das verstehe ich nicht, weil sie die Chance hätten, es anders zu machen. Sie haben kleinere Units, die daran arbeiten können und sie werden ja auch als innovativ wahrgenommen. Warum machen sie es dann nicht innovativ?
Haben Sie eine Antwort auf diese Frage?
Das ist relativ komplex. Die Medienprodukte müssen global sein, denn nur so haben sie die Möglichkeit, Größeneffekte zu erreichen. Das heißt, wir haben ein Produkt, das überall funktioniert. Aber die Märkte sind sehr unterschiedlich. In Amerika wollen sie mehr Daten, im asiatischen Raum mehr Technologie und Innovation und in Deutschland sind wir extrem traditionell und konservativ. Von daher ist eigentlich die Frage: Muss man ein mediales Produkt global herstellen oder muss man die Produkte stärker an die Märkte angleichen? Das ist natürlich auch eine extrem ökonomische Frage. Denn, wenn ich sie angleiche, muss ich viel mehr Geld ausgeben. Wenn ich das gleiche Rezeptionsmuster habe, kann ich viel stärker profitieren. Das ist wieder so ein Grenzbereich, der mich total interessiert: Journalistische Qualität und ökonomische Qualität und wie sich diese beiden komplett stoßen, aber auch wieder zusammenfinden müssen.
Zuletzt waren Sie in den Medien ein gefragter Gesprächspartner zum Thema Vermarktung von Fußballern in Sozialen Medien. Wie ist Ihre Einschätzung? Wie wichtig ist Social Media für Sportlerinnen und Sportler?
Ich glaube, dass der Sport zunehmend versteht, dass er besser kommunizieren muss. Der Sport ist viel sensibler geworden, in ganz vielen Bereichen. Social Media gehört auch dazu. Vermittlungskompetenzen spielen eine immer wichtigere Rolle. Das ist spannend zu sehen und andererseits beobachten wir aber, dass es ein banales Verständnis von Kommunikation gibt. Viele stellen sich vor, dass das Wissen wie ein Paket ist, das man weitergibt und dann wissen es die anderen auch. Das funktioniert natürlich null. Das merkt man zunehmend auch bei Social Media: Es kann eine ernstzunehmende Bedrohung sein, aber auch ein wahnsinniger Nutzen. Und dieses abwägen, was ist Kommunikation überhaupt und wie setze ich sie richtig ein, das ist entscheidend. Erfahren Sportler:innen einen Shitstorm, dann wissen wir, dass sie in ihrer Wahrnehmung komplett übersteuern, wenn sie keine Medienprofis sind. Im Fall Joshua Kimmich können wir davon ausgehen, dass er die Sache in einer Woche wieder von sich abgeschüttelt hat.
Werden Profis im Umgang mit (Sozialen) Medien geschult?
Ich tue es manchmal und was mich dann immer überrascht ist, dass es eine Art von Schulung ist, die nicht den Menschen in den Fokus hebt, sondern die Medienstrukturen. Die Sportler:innen werden so gecoacht, dass sie sagen, was die Medien hören wollen - wie Mediensoldaten. Und das ist keine Wertschätzung der eigentlichen Persönlichkeit. Man müsste viel mehr herauskitzeln, ob jemand in den Medien stehen möchte oder nicht. Und wie sich ein Selbstverständnis für mich als Person entwickeln lässt, dass ich mich in den Medien wohlfühle. Viele Sportler:innen denken, die Sozialen Medien seien ein freier Raum. Aber natürlich sind sie es nicht. Sie sind komplett gesteuert.
Wen coachen Sie?
Es sind u.a. Vereine der Fußball-Bundesliga und Nachwuchszentren des DFB. Einige Workshops haben auch beim DOSB stattgefunden. Hier geht es oftmals um Kommunikation in der Kabine, wie sich Spieler frei fühlen können, wie sich Abläufe automatisieren lassen, aber gleichzeitig auch Kreativität gefördert wird. Eine große Rolle spielen auch Vermittlungskompetenzen nonverbaler Kommunikation. Da ist gerade unheimlich viel in Bewegung. Beim DOSB ging es um die Optimierung digitaler Kommunikationskonzepte.
Sind Sie selbst in den Sozialen Medien unterwegs?
Ja, aber geschützt und als stiller Beobachter.
Wir haben bislang hauptsächlich über TV und Social Media gesprochen. Sie haben viele Jahre für überregionale und lokale Tageszeitungen geschrieben. Wie stark hat sich die Medienlandschaft hier verändert?
Eine ehrliche Antwort: erstaunlich wenig. Während sich die Fernsehlandschaft insofern bewegt hat, dass große Player hinzugekommen sind, wie Dazn, Amazon etc., hat sich bei den Tageszeitungen kaum etwas getan.
Was könnte der Grund sein oder vielmehr, was müsste verändert werden?
Ich glaube, dass es immer mehr um eine Einordnung geht. Wir wissen, dass Informationen keine Wertigkeit für die Leser:innen haben. Und dass auch kein Interesse daran besteht, wie die Informationen zustande gekommen sind bzw. hergestellt wurden. Aber: Wie werden Themen eingeordnet, wie werden sie interpretiert? Das funktioniert bei größeren Themen, aber auch bei lokalen.
Hat der Beruf des Printjournalisten/der Printjournalistin überhaupt noch Zukunft? Würden Sie Ihren Studierenden ein Volontariat bei einer Tageszeitung empfehlen?
Ja. Ich glaube, dass sich Qualität durchsetzt. Aber man sollte nicht in Formaten denken: Ich bin Radiojournalist:in oder TV-Journalist:in. Ich glaube vielmehr, dass es um die Themen geht. In welchen Themen habe ich eine inhaltliche Kompetenz, die ich dann auf allen Kanälen bedienen kann.
Hilft Ihnen Ihre Arbeit als Journalist für die Wissenschaft? Weil Sie beide Seiten kennen?
Ich glaube, was mich prägt, ist dieses Wandern zwischen den Welten. Wenn ich als Dozent im Promotionsstudium über Wissenschaftskommunikation referiere, dann sagt der Journalist in mir: Super, da machen wir Storytelling. Und der Wissenschaftler in mir sagt: Nein, das können wir nicht machen. Freundlich ausgedrückt kann man es als interdisziplinäres Denken bezeichnen. Aber ja, ich glaube, dass praktisches Handwerk weiterhilft. Du musst es nicht unbedingt selbst können, aber eine Empathie entwickeln. Eine Empathie und ein Verständnis für beide Felder.
Über welche Medien informiert sich die Privatperson Bertling?
Ich fange jeden Morgen mit tagesschau.de an und dann kommt es auf das Thema an. Wenn mich ein Thema stark interessiert, hole ich mir die Zeit oder den Spiegel. Dann schaue ich auf Internetplattformen, bei taz zum Beispiel, um ein breiteres Spektrum zu bekommen. Ich habe nicht mein eigenes Medium in dem Sinne. Ich habe das Thema und gehe dann in die Tiefe. Ich kann aber schon sagen, dass ich das Haptische sehr mag. Das Digitale hat etwas Grenzenloses und Unstrukturiertes. Vielleicht liegt es an meinem Alter (lacht). Nein, aber im Ernst: Für mich gehört beides zusammen.
Und Fernsehen?
Ich gucke total gerne zuhause Fußball. Wenn ein Spiel langweilig ist, switche ich im Kopf um. Dann gucke ich mir die Kamerasysteme an oder gehe auf die Kommentatorenebene und denke darüber nach. Es passiert tatsächlich oft, dass mich meine beiden Kinder ansprechen, zum Beispiel zu einem tollen Spielzug, und ich auf einer komplett anderen Ebene bin. Manchmal entstehen in genau solchen Momenten Ideen für neue Forschungsvorhaben.
Interview: Lena Overbeck
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