Nr. 6/2022
Markenaktivismus und seine Relevanz für den Sport
Trump und die Waffengesetze, Coronapolitik und Impfpflicht – in unserer heutigen Zeit gibt es viele Themen, die polarisieren. Markenaktivimus ist ein Marketing-Phänomen, das sich kontroverse Debatten zunutze macht, indem Marken öffentlich Partei ergreifen. Die Abteilung Sportbetriebswirtschaftslehre des Instituts für Sportökonomie und Sportmanagement arbeitet aktuell an einem Forschungsprojekt zum Markenaktivismus. Univ.-Prof. Dr. Sebastian Uhrich ist Sportökonom und Professor für Sport-BWL an der Sporthochschule und hat sozialwissenschaftliche Experimente zum Markenaktivismus durchgeführt. Er erklärt, was er dabei herausgefunden hat, warum Unternehmen und Marken verstärkt als Aktivist*innen auftreten und was das mit dem Sport zu tun hat.
Herr Uhrich, wir kennen Aktivisten als Personen, die sich für bestimmte Ziele tatkräftig engagieren. Was verstehen Sie aus Ihrer Marketingperspektive unter Markenaktivismus?
Markenaktivismus bedeutet, dass eine Marke zu einer kontroversen Frage öffentlich Stellung bezieht. Das kann zum Beispiel ein politisches, gesellschaftliches oder umweltorientiertes Thema sein; in jedem Fall ist es umstritten, wird gesellschaftlich kontrovers diskutiert und provoziert starke, voneinander abweichende Positionen in der Bevölkerung. Die Marke schlägt sich dann öffentlich auf eine bestimmte Seite. Im Folgenden sprechen wir von Marken und meinen damit Unternehmen, Vereine, aber auch einzelne Athlet*innen.
Was ist der Grund dafür, dass sich Markenaktivismus stärker durchsetzt?
Nicht nur in Deutschland, sondern weltweit, erleben wir stark polarisierte Diskussionen und hitzige Auseinandersetzungen mit häufig zwei sehr stark auseinandergehenden Meinungslagern, was teilweise die Gesellschaften spaltet. Das befördert den ohnehin vorhandenen Anspruch vieler Menschen, dass sich auch Marken moralisch positionieren und ihre Werte kommunizieren sollen.
Was wäre ein Beispiel für Markenaktivismus?
Der US-amerikanische Eiscremehersteller Ben & Jerry’s betreibt seit Jahren Markenaktivismus. Je nach Region positioniert sich die Marke sehr klar, ohne dass das etwas mit ihrem Kerngeschäft zu tun hat. In den USA hat sich Ben & Jerry‘s zum Beispiel negativ zu Trump geäußert und damit in Kauf genommen, einen signifikanten Teil der Bevölkerung zu verschrecken.
Wie sieht es im Sport aus?
Ein prominentes Sport-Beispiel sind Nike, der Footballspieler Colin Kaepernick und die Black Lives Matter-Bewegung in den USA. Kaepernick hatte sich vor einem NFL-Spiel während der Nationalhymne niedergekniet, um sich gegen Rassismus zu positionieren. Seine Aktion löste riesige Diskussionen aus – Kritiker sahen in der Aktion eine Verunglimpfung der Nationalhymne. Nike stellte sich in einer Werbekampagne an die Seite von Kaepernick und übernahm damit auch dessen politisches Statement. Das gab viel Zuspruch, aber auch viel Ablehnung: Menschen haben zum Beispiel öffentlich ihre Nike-Schuhe verbrannt.
Was haben Marken davon, Markenaktivismus zu betreiben? Was können Risiken sein?
Sie möchten damit ihre Werte transportieren und signalisieren, dass sie sich um mehr kümmern als kommerzielle Belange, die ihnen selbst nutzen. Sich bestimmten Meinungen anzuschließen, kann für Marken auch ein Positionierungsmerkmal sein, da bei austauschbaren Produkten die Positionierung der Marke in moralischen Fragen ein kaufentscheidendes Kriterium sein kann. Andererseits ist offensichtlich, dass Markenaktivismus diejenigen Personen verprellen kann, die eine gegenteilige Meinung haben und dann enttäuscht von der Marke sind.
Sie haben ein Forschungsprojekt zu Markenaktivismus gestartet. Wie lautet Ihre Forschungsfrage?
Ein bislang nicht untersuchter Aspekt ist, wie sich bisherige Beziehungen zwischen der Marke und Konsumenten darauf auswirken, wie Menschen auf Markenaktivismus reagieren. Hier erscheinen zwei gegenteilige Wirkungen möglich: Eine starke Bindung zur Marke könnte dazu führen, dass man der Marke eine Position eher „verzeiht“, die von der eigenen Meinung abweicht. Oder dass man im Gegenteil besonders enttäuscht ist im Vergleich zu Menschen ohne bisherige Bindung an die Marke. Das macht das Thema interessant.
Welche Hypothesen haben Sie aufgestellt?
Wir haben verschiedene theoretische Argumente abgewogen und letztlich vermutet, dass starke Beziehungen mit der Marke zu einem Puffereffekt führen, das heißt: Leute mit hoher Markenbindung akzeptieren ein abweichendes Statement zu ihrer eigenen Position eher. Wir erklären das über den Mechanismus des moralischen Entkoppelns. Eine hohe Markenbindung führt dazu, dass Menschen eine abweichende Position der Marke nicht so stark auf ihre Gesamtbeurteilungen der Marke übertragen, den Aktivismus also von ihren generellen Markeneinstellungen entkoppeln.
Was meinen Sie mit einer starken Beziehung zu einer Marke?
Es gibt verschiedene Konzepte, die starke (Marken-)Beziehungen andeuten, zum Beispiel hohe Identifikation oder hohes Commitment. Wir haben hier auf das so genannte emotionale Attachment zurückgegriffen, also wie stark man sich einer Marke emotional verbunden fühlt. Denken Sie an Klubmarken im Sport, dort haben wir häufig hohe Ausprägungen solcher Verbundenheit.
Bleiben wir mal bei Klubs, zum Beispiel im Fußball. Warum sollte sich ein Klub darum kümmern, was Leute über ihn denken, die keine enge Beziehung zu ihm haben?
Erstens sind das vielleicht Leute, die potenziell Anhänger oder Kunden werden könnten. Zweitens sollten speziell Teamsportmarken ein Interesse an der Haltung der breiten Bevölkerung in einer Region haben und sich eben nicht nur um die eigenen Fans kümmern. Wir sehen viele Themen, wie Stadionerweiterungen oder Polizeikosten, bei denen Klubs von den Meinungen der gesamten Bevölkerung und den damit einhergehenden politischen Entscheidungen abhängen.
Um dies zu untersuchen, haben Sie mehrere verhaltenswissenschaftliche Experimente durchgeführt. Wie sahen die genau aus?
Wir haben zwei Faktoren manipuliert. Erstens die Beziehung zur Klubmarke, indem wir einerseits Anhänger und Fans und andererseits Menschen ohne spezielle Bindung zur Marke unterschieden haben. Zweitens haben wir die Übereinstimmung zwischen der eigenen Position und der Position der Klubmarke zu einem Thema manipuliert. Als Themen haben wir dazu auf Basis von Pretests die genderneutrale Sprache und die Coronaimpfpflicht identifizieren. Zunächst haben wir in den Studien die Position der Probanden dazu erhoben. Befürwortern und Gegnern wurden kann jeweils hälftig entweder befürwortende oder ablehnende Statements zum Thema seitens des Klubs randomisiert zugewiesen.
Was sind insgesamt die wesentlichen Ergebnisse?
Für unsere zentrale Hypothese haben wir tatsächlich Indizien gefunden. Demnach zeigt sich, dass eine starke Beziehung zur Marke den Effekt einer inkongruenten Position abschwächt. Konkret für unser Szenario heißt das zum Beispiel: Der Klub macht sich in einem Statement für genderneutrale Sprache stark. Eine Person lehnt genderneutrale Sprache ab. Ist diese Person Fan des Clubs, dann fällt die Reaktion auf das Statement weniger negativ aus, als wenn die Person kein Fan ist.
Wie wird das Projekt fortgesetzt?
Die bisher durchgeführten Studien reichen noch nicht aus, um unserem Qualitätsanspruch an publizierbare Forschung zu genügen. Die Evidenz muss noch stärker werden und daher wollen wir versuchen, die Effekte in weiteren Studien unter anderen Bedingungen zu replizieren.
Für wen könnten die Ergebnisse interessant sein?
Prinzipiell sollten die Ergebnisse für Klubmarken interessant sein, aber letztlich auch für alle anderen Marken, die sich mit der Frage beschäftigen, ob sie Markenaktivismus betreiben sollten. Wir wollen eine Entscheidungsgrundlage liefern, indem Effekte von Markenaktivismus bei unterschiedlichen kommunikativen Zielgruppen vorab besser eingeschätzt werden können.
Wie wird sich Markenaktivismus in Forschung und Praxis entwickeln?
In der Forschung wird einiges passieren, denke ich, weil es ein wirklich drängendes aktuelles Thema mit einer großen Relevanz ist. Für die Praxis bin ich etwas unschlüssig, da es schwierig ist vorauszusagen, wie Marken mit Markenaktivismus umgehen werden. Es gibt weiterhin den Anspruch der Bevölkerung, dass sich Marken zu bestimmten Kontroversen positionieren. Das wird ein weiterer Treiber sein und die eine oder andere Marke dazu bewegen, sich politisch zu äußern. Zum Massenphänomen wird Markenaktivismus meiner Meinung nach eher nicht. Dafür ist die Strategie zu riskant und bislang zu unklar, was Marken dadurch gewinnen können.
Interview: Julia Neuburg
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