Nr. 7/2017
Der Captain verlässt die Raumstation
Wilhelm Schänzer ist einer der bekanntesten Antidopingforscher. Seit 1979 arbeitet er am Institut für Biochemie, beerbte dort 1995 den legendären Dopingfahnder Manfred Donike als Institutsleiter. Schänzer war seitdem verantwortlich dafür, dass sich das Kölner Labor zu einem der weltweit führenden Dopingkontrolllabore entwickelt hat. Er war an der Aufklärung prominenter Dopingfälle und an der Einführung neuer Nachweismethoden beteiligt. In diesem Sommer geht Wilhelm Schänzer in den Ruhestand.
Nach nun 38 Jahren im Dienste der Wissenschaft und der Antidopingforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln verabschieden Sie sich diesen Sommer in den Ruhestand. Sind Sie wehmütig?
Zunächst einmal werde ich den Kontakt zum Institut halten und mich weiterhin ein paar Stunden pro Woche mit den neuesten analytischen Geräten beschäftigen – eine Art ‚one day a week man‘ also. Andererseits freue ich mich darauf, die Verantwortung abgeben zu können. Das Labor nimmt teilweise mit seinen Analysen und vor allem den positiven Befunden eine exponierte Stellung ein. Man hat gelernt, mit diesem Druck, dass man sich nicht den allerkleinsten Fehler erlauben darf, umzugehen, aber es belastet schon. Während meiner Zeit hier ist die Mitarbeiterzahl von zirka 20 auf 70 gestiegen und die technische Ausstattung stark gewachsen. Die Räume sind vollgepackt mit den besten analytischen Geräten, die es gibt. Doch: Wozu braucht man viel Platz? Eine Raumstation ist das beste Beispiel, wie man auf engem Raum beste Technik unterbringen kann. Ich habe mich hier immer sehr sehr wohl gefühlt und ein tolles Team gehabt! Vielen Dank an alle!
Welches übergeordnete Ziel haben Sie mit Ihrer Arbeit verfolgt – mehr Gerechtigkeit im Sport oder eher die wissenschaftliche Herausforderung?
Der Ansporn für meine Arbeit lag in beiden Bereichen. Als Leichtathlet bin ich selbst im Sport groß geworden, während meines Sport- und Chemiestudiums habe ich dann großes Interesse an der Wissenschaft entdeckt. Dies wurde vor allem weiter durch Manfred Donike geprägt, bei dem ich 1978 als studentische Hilfskraft angefangen habe und der im Wesentlichen die Dopinganalytik an der Sporthochschule aufgebaut hat. Donike hat sich stets in den Sportgremien für den Antidopingkampf eingesetzt. Gleichzeitig war ihm die wissenschaftliche Forschung wichtig, zum Beispiel hat er als Erster die Nachweismethoden für verbotene Stimulanzien entwickelt. Von ihm habe ich gelernt: Traue nie Deinen eigenen Ergebnissen, überprüfe ständig, sei immer höchst kritisch.
Welcher Forschungsbereich war besonders entscheidend für Ihre wissenschaftliche Karriere?
Während meiner Promotion habe ich mich mit den Nachweisverfahren von Hormonen und Dopingsubstanzen beschäftigt; neu waren damals chromatografische Verfahren auf Flüssigkeitsbasis. Danach fokussierte ich mich auf die Stoffwechselwege und den Nachweis von Anabolika. Künstlich hergestellte anabole Steroide scheidet der Körper nicht in ihrem ursprünglichen Zustand aus, sondern verstoffwechselt sie, es entstehen so genannte Metaboliten. Ich habe versucht, diese Metaboliten im Urin zu charakterisieren und selbst synthetisch herzustellen, damit man sie als Referenzverbindung hernehmen konnte. Auf diese Weise konnte man von dem in der Urinprobe gefundenen Stoff auf die ursprüngliche Substanz zurückschließen, die der Sportler verbotenerweise genommen hatte. Diese Synthese von Steroidmetaboliten war sehr hilfreich für alle Labore weltweit.
An was arbeiten Sie aktuell?
Im Wesentlichen beschäftige ich mich mit der Frage, was die neuen technischen Analyseverfahren können. Mit modernen Massenspektrometern kann man mittlerweile Substanzen aus Urinproben ohne große Vorbereitung analysieren. Die Geräte sind immer empfindlicher und selektiver geworden, sie können Substanzen länger nachweisen. Die Entwicklung ging in den letzten Jahren hin zur Langzeitlagerung von Dopingproben und Nachtests, die Dopingsünder noch Jahre nach dem Urintest überführen können, zum Beispiel zuletzt bei Dopingproben von den Olympischen Spielen in Peking 2008 und London 2012. Die Idee dahinter ist unheimlich einfach: Die Athleten dopen zum Teil in ihrer Trainingsphase, vor dem Wettkampf setzen sie die Mittel rechtzeitig ab, Trainingskontrollen funktionieren in bestimmten Ländern nicht, entsprechend sind die Wettkampfproben negativ, weil die Technik zu dem Zeitpunkt noch nicht soweit ist. Jahre später werden Verfahren entwickelt, die die Stoffwechselprodukte länger nachweisen können. Der Athlet kann sich also nicht mehr sicher sein, nicht aufzufliegen.
Langzeitlagerung und Nachtests gelten als erfolgreiches Instrument im Antidopingkampf. Lassen sich die Athleten tatsächlich davon abschrecken?
Dabei sind zwei Sachen wichtig. Erstens: Die Kontrollen an sich besitzen eine akute Abschreckung. Natürlich nur dann, wenn sie zuverlässig durchgeführt werden, das heißt regelmäßig, im Training und von unabhängigen Instanzen. In Russland haben wir unlängst das Gegenteil erlebt, nämlich dass organisiert manipuliert wurde. Dann bringen natürlich auch Kontrollen nichts, wenn sie abgesprochen sind oder Dopingproben vertauscht werden. Zweitens: In vielen westlichen Ländern funktioniert das Dopingkontrollsystem sehr gut. Gibt es bei den Kontrollen etwas Auffälliges, wird die nationale Antidopingagentur informiert und die Ermittlungsbehörden eingeschaltet. Dopingvergehen ist also kein Kavaliersdelikt mehr; das war vor 20 Jahren noch anders. Doping ist immer weniger akzeptabel und durch die Verfolgung durch die Ermittlungsbehörden auch sehr unangenehm geworden.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Antidopinggesetz in Deutschland?
Ein Verfechter des Gesetzes bin ich nicht. Wir haben auch vorher viele Möglichkeiten gehabt, aber das Gesetz setzt einen guten Stempel. Meine Meinung ist aber auch, dass man die Athleten nicht direkt kriminalisieren darf. Das sind ja keine Schwerverbrecher, da muss man genau draufschauen. Wenn Jugendliche zum Beispiel von ihren Betreuern mit Dopingmitteln versorgt werden, dann ist das allerdings ein sehr schwerer Verstoß und kann mit Freiheitsstrafe bestraft werden.
Einer der ersten prominenten Dopingsünder war 1988 der Sprinter Ben Johnson. Professor Donike und Sie waren maßgeblich an dessen Überführung beteiligt. Inwiefern genau?
Ben Johnson wurde bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul positiv getestet. Dies war nur möglich, weil unser Team um Donike 1986 bereits in Seoul bei den Asienmeisterschaften vor Ort war und das dortige Labor vorbereitet hat. In Kooperationen mit den Asiaten habe ich zum Beispiel an einem Forschungsprojekt zu Stanozolol gearbeitet, bei dem es darum ging, die Metaboliten zu identifizieren und zu charakterisieren und letztlich zu synthetisieren. Diese Analytik hat dazu beigetragen, Ben Johnson mit Stanozolol zu überführen. Der Fall war auch insofern wegweisend, weil erst danach internationale Trainingskontrollen in der Leichtathletik eingeführt wurden; vorher war man der Meinung, dass Wettkampfkontrollen ausreichen.
Ein weiterer Fall, mit dem Ihr Name verknüpft ist, und über den schon viel berichtet wurde, ist Dieter Baumann. Was hat Sie an diesem Fall besonders fasziniert?
Das war tatsächlich eine sehr interessante Sache. Baumann war im Herbst 1999 bei einer Trainingskontrolle positiv mit Nandrolon getestet worden, ein anaboles Steroid, bei dem man den Metaboliten nachweist, weil die Ausgangsverbindung fast vollständig verstoffwechselt wird. Gleichzeitig hatten wir zum ersten Mal international das Problem, dass so genannte Nahrungsergänzungsmittel mit Prohormonen von Nandrolon verunreinigt waren. Somit empfahlen wir, bei positiven Befunden mit Nandrolon tiefergehende Untersuchungen durchzuführen, um einen Athleten nicht unschuldig zu belasten. Dies geschah auch bei Baumann. Wir haben von ihm und seiner Frau regelmäßig Urinproben analysiert, seine Nahrungsergänzungsmittel getestet und alle möglichen Dinge aus seinem Haus untersucht. Das Verrückte: Nirgendwo fanden wir die Substanz, nur die Urinproben von den beiden blieben positiv. Die Mengen an Nandrolon im Urin waren aber so gering, dass wir eher von einer externen Quelle als von bewusstem Doping ausgehen mussten. Wir machten sogar Testkäufe in den Fleischereien in Tübingen, um eine Verunreinigung im Fleisch auszuschließen.
Und wir hatten noch eine andere Theorie: Baumann war neu in einem Fitnessstudio und hätte beim Training an den Geräten mit den entsprechenden Substanzen in Kontakt kommen können. Auch dieses Szenario erwies sich als falsch, die Urinproben blieben aber positiv. Daraufhin sammelten wir weitere Dinge des täglichen Gebrauchs in seinem Haus, unter anderem Kosmetika, Duschgel, Zahncreme. Bei der Zahncreme sind wir dann fündig geworden: ein Prohormon von Nandrolon, ungefähr die Menge einer Tablette in der ganzen Tube, zum Dopen nicht geeignet, aber um einen positiven Test zu bewirken schon. Wir haben selbst Versuche mit Dopingsubstanzen in Zahnpasta unternommen. Alle Welt hat sich zunächst kaputt gelacht. Aber: Auch die Staatsanwaltschaft kam letztlich zu dem Ergebnis, dass es sich nicht um vorsätzliches Doping durch Baumann gehandelt hat, sondern um einen professionellen Anschlag. Die Zahnpastatube war fachmännisch am Tubenende geöffnet und wieder geschlossen worden. In dieser Hinsicht ist der Fall ein Paradebeispiel dafür, wie man durch akribische und systematische wissenschaftliche Arbeit zeigen kann, was passiert ist. Es ist dramatisch, dass nie jemand überführt wurde.
Der Fall war aber auch ein perfektes Beispiel dafür, dass Antidopingarbeit nicht nur heißt, Dopingsünder zu überführen, sondern auch zu Unrecht beschuldigte Sportler zu entlasten…
Exakt, vor allem in den letzten Jahren haben wir sehr erfolgreich wissenschaftliche Untersuchungen durchgeführt, um Dopingfallen zu lokalisieren. Wann kann ein Athlet, ohne absichtlich gedopt zu haben, einen positiven Dopingtest abliefern? Hierbei geht es einerseits um verunreinigte Nahrungsergänzungsmittel, andererseits um Clenbuterol-Fälle durch verunreinigtes Fleisch. Man muss sich mal vorstellen: Die Welt-Anti-Doping-Agentur WADA verbietet den Laboren, Nahrungsergänzungsmittel zu untersuchen. Wie sollen denn da Athleten entlastet werden? Man nimmt denen, die möglicherweise unschuldig sind, ein Instrument, um ihre Unschuld anhand wissenschaftlicher Daten zu beweisen.
Haben Sie jemals Angebote bekommen, beim Betrug mitzumachen oder mitzuhelfen?
Bis auf einen recht halbherzigen Versuch nicht. Nur in einem einzigen Fall, bei dem wir eine Gegenanalyse von einem osteuropäischen Sportler gemacht haben, fragte mich zum Schluss der Vertreter des Athleten recht beiläufig, ob man an dem Ergebnis denn etwas machen könnte.
Wie schätzen Sie den Antidopingkampf für die Zukunft ein? Was werden die Dopingmittel und Dopingmethoden der Zukunft sein?
Zunächst: Es gibt viele Dinge, die sich stark verbessert haben. Die Gründung der WADA war sehr wichtig, weil sie internationale Standards festsetzt. Hier an der Sporthochschule hat uns die Idee der damaligen Hochschulleitung gut getan, das Zentrum für präventive Dopingforschung zu gründen und eine weitere Professur in unserem Fachbereich zu verankern. Die Zusammenarbeit läuft seit Jahren exzellent. So kann man relativ schnell neue Methoden entwickeln, den Markt beobachten; die Hochschule ist hier wirklich wegweisend! Seine Probleme wird der Antidopingkampf in der Zukunft insbesondere mit den körpereigenen Substanzen haben, die auch als Doping relevant sind, deren Nachweis aber deutlich schwieriger ist. Bei den synthetischen Dopingsubstanzen sind die Nachweismöglichkeiten mit unseren modernen, zukunftsfähigen Techniken sehr gut; selbst für das Gendoping haben wir bereits gute Ansätze und Verfahren entwickelt . Die Zukunft aus Sicht der Doper liegt bei Stoffen, die der Körper selbst produziert.
Ansonsten sind natürlich die staatlichen Institutionen und die Verbände zum Antidopingkampf aufgerufen. Hierbei ist vor allem die weltweite Harmonisierung entscheidend. Bis heute gibt es zum Beispiel für die Olympischen Spiele keine klare Ansage, dass nur Athleten zugelassen werden, die im Vorfeld vernünftig kontrolliert wurden. Das ist ein absolutes Manko, hier ist wirklich Kritik angebracht. Denn das hätte man schon längst umsetzen können. In vielen Ländern gibt es keine unabhängigen Kontrollsysteme nach dem Standard der WADA. Labore kontrollieren und permanent Qualitätsverbesserungen fordern, das ist eine Sache. Aber die Kontrollen selbst sind wichtig. Das ist die große Herausforderung!
Interview: Julia Neuburg