Nr. 8/2017
Schritte Richtung Mond
Die großen Weltraumbehörden planen, in den kommenden Jahrzehnten dauerhaft bewohnte Stationen auf fremden Himmelskörpern zu errichten. Am Institut für Biomechanik und Orthopädie der Deutschen Sporthochschule Köln wurde nun das existierende Wissen über Aufenthalte in Umgebungen mit verminderter Gravitation zusammengetragen.
Knapp 44 Jahre ist es nun her, dass Menschen den Mond betreten haben, im Rahmen der Apollo-17-Mission unternahmen die Astronauten Eugene A. Cernan und Harrison H. Schmitt letzte Spaziergänge auf der Oberfläche des Erdtrabanten. Ein halbes Jahrhundert später soll es nun wieder Forschungsreisen zum Mond geben, geplant ist, eine mit Menschen besetzte Mondbasis zu bauen. „Die Raumstation ISS wird in den nächsten Jahren aufgegeben, und die nächsten angestrebten großen Weltraumprojekte werden wohl Explorationen Mond und Mars sein“, sagt Dr. Björn Braunstein vom Institut für Biomechanik und Orthopädie und dem Centre for Health and integrative Physiology in Space der Deutschen Sporthochschule Köln. „Und das kann schneller gehen als viele glauben.“
Es ist also höchste Zeit, sich mit der Frage zu befassen, wie der menschliche Körper auf längere Aufenthalte in Umgebungen mit reduzierter Gravitation reagiert. Dieser Aufgabe hat sich Charlotte Richter als Studierende des M.Sc. Exercise Science and Coaching angenommen, die während eines Praktikums beim European Astronaut Centre (EAC) der European Space Agency (ESA) Zugriff auf alle wichtigen Datenbanken mit relevanten Forschungsergebnissen hatte. In einer intensiven Recherche- und Auswertungsarbeit ist so in Kooperation mit der ESA und dem Institut für Biomechanik und Orthopädie eine systematische Übersichtsarbeit entstanden, welche den Wissensstand zu den biologischen Reaktionen des menschlichen Körpers auf reduzierte Gravitationsbedingungen zusammenfasst.
Die Archivsuche ergab 1.323 Publikationen zu diesem Thema, von denen in einem komplexen Verfahren (Cochrane Guidelines) 43 Studien für eine genauere Betrachtung ausgewählt wurden, um Ergebnisse zu vergleichen, Parallelen zu identifizieren und Widersprüche aufzudecken. Die so entstandene systematische Übersicht fasst nun die wichtigsten Daten über die Veränderungen der muskuloskelettalen, kardiovaskulären und respiratorischen Systeme unter Bedingungen partieller Gravitation zusammen. Ins Gesamtergebnis sind dabei sowohl Erkenntnisse aus terrestrischen Laborversuchen als auch die Erkenntnisse aus den Apollo-Missionen der amerikanischen Weltraumbehörde NASA eingeflossen.
Von hoher Relevanz sind dabei die Daten aus den 1960er und 1970er Jahren, als Astronauten sich bis zu 75 Stunden am Stück auf dem Mond aufhielten. Allerdings standen damals andere Fragen im Mittelpunkt der Forschung, „da ging es primär um Thermik im Raumanzug und wie viel Energie die Astronauten bei ihren Mondspaziergängen verbraucht haben“, sagt Braunstein. Auf der Erde wurde unterdessen versucht, eine reduzierte Anziehungskraft durch bestimmte Apparaturen zu simulieren, wobei der Vorsatz, eine gute Vergleichbarkeit herzustellen, sich als große Herausforderung entpuppte.
Zum einen kamen unterschiedliche Methoden zum Einsatz: In einigen Studien bewegten die Probanden sich, in anderen nicht, manche Forscher arbeiteten mit Kontrollgruppen, einige verzichteten auf diese Vergleichsoption, bei einigen wurde schlicht durch verschiedene Tricks das Körpergewicht reduziert, es wurde mit Zentrifugen gearbeitet, mit Systemen, die den Körper Überdrucksituationen aussetzen und andere simulierten eine reduzierte Schwerkraft durch Parabelflüge. Braunstein ist überzeugt: „Viele Forscher haben dringend auf diesen Überblick gewartet, um ihre künftigen Arbeiten stringenter ausrichten zu können.“ Denn eine zentrale Erkenntnis lautet: Die Wissenslücken bezüglich partieller Gravitation sind groß.
Klar ist zwar, dass sich Herzfrequenz, Schlagvolumen und die Verteilung des Blutvolumens in einer Umgebung mit Teilgravitation verändern, für exakte Aussagen über die Folgen von Langzeitaufenthalten unter Mondbedingungen ist das Datenmetarial aber nicht ausreichend. Denn die biomechanischen Veränderungen sind ebenfalls enorm: Gelenke sind völlig anderen Belastungen ausgesetzt. Unzweifelhaft ist außerdem, dass die Fortbewegung sich in Umgebungen mit reduzierter Schwerkraft verändert: Die menschliche Schrittlänge wird größer, und der Übergang vom Gehen zum Laufen stellt sich bei niedrigeren Geschwindigkeiten ein. Es ist sogar denkbar, dass Menschen auf dem Mond effizientere Fortbewegungstechniken erlernen müssen. Vor allem zeigen sich jedoch enorme Wissenslücken und eine recht große Heterogenität in den Ergebnisdetails. Defizite, die sich am besten, am idealen Forschungsstandort beheben lassen: auf dem Mond.
Text: Daniel Theweleit
Grafik: C. Richter, B. Braunstein, A. Winnard, M. Nasser and T. Weber. (2017). Human Biomechanical and Cardiopulmonary Responses to Partial Gravity – A Systematic Review. Frontiers in Physiology
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