Nr. 9/2017
„Das Anti-Doping-Gesetz ist verfassungsrechtlich unappetitlich“
Univ.-Prof Dr. Martin Nolte, Leiter des Instituts für Sportrecht der Deutschen Sporthochschule Köln, ist ein großer Verfechter der Selbstregulierung des organisierten Sports. Ob Anti-Doping-Gesetz, Glücksspielstaatsvertrag oder Umgang mit Gewalt, immer wieder steht die Frage nach dem Verhältnis zwischen Sport und Staat im Mittelpunkt seiner Arbeit, wie bereits bei seiner Habilitationsschrift zur Staatlichen Verantwortung im Bereich des Sports aus dem Jahre 2004.
Herr Nolte, rechtliche Konflikte sind zunehmend präsent in den öffentlichen Sportdebatten. Wie kommt es zu dieser wachsenden Bedeutung von Anwälten, Richtern und anderen Juristen?
Die Triebfedern sind Kommerzialisierung, Politisierung und eine vertiefte öffentliche Wahrnehmung von gesellschaftlichen Vorgängen, die sich jenseits der Wettkämpfe abspielen. Dass hier an der Deutschen Sporthochschule Köln 2011 eine Professur für Sportrecht eingerichtet wurde, die im Jahre 2014 in ein neu gegründetes Institut eingebunden wurde, trägt dem Bedürfnis Rechnung, die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Sportrecht zu intensivieren. Aber eigentlich ist der Streit um Spielregeln eine sehr alte Disziplin, die bis zu den Anfängen der Menschheit zurückreicht.
Zuletzt haben Sie eine Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages vorgenommen. Zu welchem Ergebnis kommen Sie?
Der Glücksspielstaasvertrag verfehlt sämtliche Ziele, zu denen er geschaffen wurde. 95 Prozent der in Deutschland getätigten Sportwetten werden außerhalb des lizenzierten Marktes abgeschlossen. Spieler wandern gerade durch Online-Spiele und Online-Wetten ins Ausland ab, so dass es nicht gelingt, den Spieltrieb in geordnete und überwachte Bahnen zu lenken. Deshalb schneidet die Kanalisierung des Glücksspiels als Voraussetzung für das Erreichen aller weiteren Ziele der Glücksspielregulierung – Suchtprävention, Jugend- und Verbraucherschutz, Kriminalitätsbekämpfung, Integritätsschutz – in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern, z.B. England, Dänemark, extrem schlecht ab.
Wie lässt sich das ändern?
Durch eine funktionstüchtige und rechtssichere Gesetzgebung. Zu restriktive, das heißt nicht marktkonforme Gesetze mit starren Verboten treiben die Leute von den lizensierten Wettanbietern weg. Momentan geht der Glücksspielstaatsvertrag an den Realitäten vorbei.
Inwiefern?
Ein Beispiel: Leicht manipulierbare Gegenstände sind aus der Bewettbarkeit ausgeschlossen. Grob gesagt darf man auf Ergebnisse wetten, auf Ereignisse, wie eine gelbe Karte, nicht. Das scheint auf den ersten Blick zum Schutz der Integrität des sportlichen Wettbewerbs geeignet zu sein, weil eine gelbe Karte natürlich leichter herbeigeführt werden kann als die Änderung des Ergebnisses. Allerdings habe ich aufgrund der bisherigen Manipulationsfälle nachgewiesen, dass der eigentliche Anreiz für Wettbetrüger nicht die Frage ist, was sich bei natürlicher Perspektive leichter manipulieren lässt. Wetten auf Ereignisse bringen zum einen überhaupt keine Gewinne und sind zugleich besonders auffällig. Nein, Wettbetrüger manipulieren die Ergebnisse, in dem sie zwei, drei Spieler einkaufen, weil dadurch viel größere Gewinne erzielt werden können und diese Manipulationen zudem wesentlich unauffälliger sind als die Manipulation von Ereignissen.
Allerdings heißt es immer, die relativ strikte Regulierung in Deutschland wirke durchaus gegen Glücksspielsucht.
Wenn über 95 Prozent der Sportwetten in einem Grau- und Schwarzmarkt verlaufen, misslingt die mit der Regulierung beabsichtigte Suchtprävention komplett. Suchtprävention fungiert damit nur als Alibi für eine restriktive Glücksspielregulierung, die private Angebote möglichst aus dem Markt heraushalten möchte. Eine besonders große Gefahr der fehlenden Regulierung besteht ferner für die Integrität sportlicher Wettbewerbe aufgrund wettbezogener Manipulationen. Die Bundesligaskandale und viele internationale Fälle, in denen wir eine Verbindung zwischen Wettbetrügern und dem Einfluss auf den organisierten Sport sehen, zeigen das. Für Gegenmaßnahmen ist Geld erforderlich und gerade deshalb ist es wichtig, die Gesetzgebung zu ändern. Wir schlagen vor, dass wir zunächst viele Wetten in den legalen Markt zurückholen und dann einen Teil der so generierten öffentlichen Erträge an den organisierten Sport weitergeben, um den Schutz der Integrität des Sports finanzieren zu können.
Sehen Sie die Möglichkeit, Gesetze zu lockern?
Der Finanzausschuss des Bundestages teilt die Einschätzung des organisierten Sports für seine stärkere Teilhabe an den öffentlichen Erträgen aus Sportwetten. Wie das umgesetzt werden kann, habe ich nun ausgearbeitet. Für den gemeinnützigen Sport ist der Vorschlag lukrativ, weil sie nach meinem Vorschlag über 100 Millionen Euro zusätzliche Einnahmen generieren. Aber wenn Geld in Aussicht steht, gibt es immer auch Verteilungskämpfe, und Glücksspielregulierung ist ein vermintes Terrain. Denn das Geld soll nicht sinnfrei fließen, sondern zum Schutze der Integrität des Sports, zum Erhalt der Offenheit von Sportwettkämpfen.
Würden Sie es als Highlight Ihrer Karriere als Wissenschaftler empfinden, wenn Sie diesem Thema eine neue Richtung geben könnten?
Ja, das kann man so sagen. Es gibt ja viele Juristen, die eher Baustellen aufreißen, die vor allem sagen: Das geht nicht und hier habe ich Bedenken. Mein Impetus als Wissenschaftler war immer, aus der Praxis Fragen für die Wissenschaft zu formulieren, um dann konkrete Erkenntnisse und machbare Vorschläge zu erarbeiten, die wiederum in der Praxis umgesetzt und mit Blick auf neue Vorschläge evaluiert werden. Dieser wechselseitige sowie ständige Austausch zwischen Theorie und Praxis ist für mich der Sinn von wissenschaftlicher Arbeit.
Welche Themen sind Ihnen neben der Glücksspielgesetzgebung wichtig?
Good Governance in den großen Verbänden ist ein großes Gebiet, hier durfte ich den Fußball-Weltverband Fifa bei seinen Reformen unterstützen und Wege aufzeigen, wie korruptive Praktiken eingedämmt werden können. Zum Thema Gewaltprävention berate ich einen anderen großen Verband in Deutschland, auch hier geht es im Kern wieder um das Verhältnis von Staat und Sport. Ganz aktuell sind außerdem einige Fragen rund um den E-Sport, auch hier drohen Manipulation und Korruption. Und natürlich gibt es das Dauerthema Anti-Doping-Kampf.
Sie evaluieren derzeit den nationalen Anti-Doping-Code, waren im Vorstand der Nationalen Anti-Doping-Agentur (NADA), die sie sogar schon kommissarisch geleitet haben. Plädieren Sie auch hier dafür, dass der Staat sich eher zurücknehmen sollte?
Die Frage ist nicht so einfach mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten. Es kommt immer auf den Einzelfall an. In jedem Fall ist es ein Trugschluss, dass man durch staatliche Gesetze Moral und Ethik im Sport herstellen kann. Ich finde die Dopingbekämpfung sehr wichtig, aber die Frage ist doch, ob sich der Staat, der ohnehin bei vielen Aufgaben bereits überfordert ist, auch den Schutz der Integrität sportlicher Wettbewerbe leisten sollte. Und dazu zumal mit strafrechtlichen Mitteln, die als 'ultima ratio' im System normativer Sozialkontrolle gelten. Ich habe da ernsthafte Zweifel und halte das Anti-Doping-Gesetz nicht zuletzt mit Blick auf die Verantwortungsteilung zwischen Sport und Staat für verfassungsrechtlich unappetitlich. Dies habe ich in einem jüngeren Kommentar zum Anti-Doping-Gesetz auch ausführlich niedergeschrieben und begründet.
Beim Dopingkampf plädieren Sie für Zurückhaltung des Staates. Genau die wird aber oft kritisiert, weil immer wieder der Verdacht im Raum steht, dass gerichtliche Instanzen des Sports eher den Interessen von Verbänden folgen als den Maßstäben der Gerechtigkeit.
Hier gibt es tatsächlich ein Problem: Auf der einen Seite wird der Sport immer professioneller und kommerzieller, aber in den Sportgerichten sind Ehrenamtler tätig, die diese Aufgabe in ihrer Freizeit erfüllen. Hier droht eine gewisse Überforderung. Wir müssen die Sportgerichte stärken. Zu diesem Zweck schule ich etwa Sportrichter in der Praxis beispielsweise bei der Bekämpfung von diskriminierendem Verhalten im Fußballsport. Auch hierzu habe ich im vergangenen Jahr eine größere Studie im Auftrag des Bundesministerium des Innern erstellt und einen Leitfaden für die Praxis.
Interview: Daniel Theweleit
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