Nr. 2/2020
Die Psychologie des eSports
Mit einer umfassenden Literaturanalyse legen Forscher*innen der Abteilung Leistungspsychologie des Psychologischen Instituts die wissenschaftliche Grundlage für das Forschungsfeld eSport und Psychologie.
Ein wenig verwundert es schon, dass bereits 1972 an der Stanford University die ersten Gaming-Turniere stattgefunden haben, im vergangenen Jahr mehr als 400 Millionen Menschen eSport-Veranstaltungen verfolgt haben, es aber bis heute nur wenige systematische wissenschaftliche Untersuchungen zum eSport gibt – vor allem aus dem Bereich Psychologie. Ismael Pedraza-Ramirez und seine Kolleg*innen der Abteilung Leistungspsychologie des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln wollen das ändern. Ziel ihrer neuen Studie ist, das vorhandene Wissen zu bündeln, die Herausforderungen des eSports mit der Expertise aus der Psychologie zu verbinden und so die Mechanismen von Performance im eSport besser zu verstehen. Die Grundlage hierfür legen sie mit einer umfassenden systematischen Literaturanalyse.
„Mit der Literaturanalyse wollten wir zunächst relevante Faktoren der kognitiven und spielinternen Leistung hervorheben. Anschließend wollten wir eSport in den Bereich der Sportpsychologie integrieren, indem wir herausstellen, wie das Zusammenspiel dieser leistungspsychologischen Aspekte im eSport funktioniert“, erklärt Pedraza-Ramirez. Seit neun Jahren ist der 31-Jährige als Performance Coach und als sportpsychologischer Berater im eSport tätig. Derzeit arbeitet er in der Praxis mit der großen US-amerikanischen eSport-Organisation „Rogue“ und dem Trainer-Team „The Mental Craft“, die Gamerinnen und Gamern helfen, ihr höchstes Leistungsniveau im Spiel und im Alltag zu erreichen, zusammen. Mit seiner wissenschaftlichen Arbeit will er daran mitwirken, eSport auf sportpsychologischer Ebene weiterzuentwickeln.
Medial ist eSport schon sehr präsent ist. Es haben sich professionelle Teams und Turniere weltweit etabliert. Seit 2011 hat sich ein Wandel vollzogen: weg vom Freizeitspaß hin zum absoluten Profibereich. Seitdem ist der Bedarf für sportwissenschaftliche und sportpsychologische Unterstützung gewachsen. Eine Entwicklung, die der gebürtige Kolumbianer Pedraza-Ramirez auch in seiner Arbeit in der Praxis erfährt. „Derzeit basieren viele der Praktiken, die im professionellen eSport umgesetzt werden, nicht auf empirischen Erkenntnissen. Stattdessen beruhen sie auf persönlichen Erfahrungen der Teammitglieder und auf Spekulationen über Trainingsmethoden, die für den traditionellen Sport funktionieren könnten. Daher ist es notwendig, Trainingsmethoden, die es Trainer*innen und Spieler*innen ermöglichen, die Leistung im eSport zu optimieren, auf psychologischer Ebene zu verstehen. Außerdem muss definiert werden, welche Leistungsvariablen oder Leistungsindikatoren zuverlässig mit der Performance währen des Spielens verbunden sind. Nur so können kognitive Werkzeuge entwickelt, objektiver genutzt und anschließend implementiert werden“, sagt Pedraza-Ramirez.
Für ihre Untersuchung haben die Wissenschaftler*innen des Psychologischen Instituts über 12.000 publizierte Artikel aus den Jahren 1992 bis 2019 überprüft – die meisten der betrachteten Studien stammen aus der Zeit nach 2011. Ausgewählt wurden schließlich 52 englisch- und spanischsprachige quantitative Studien, die sich mit den „Psychologischen Aspekten des eSports“ beschäftigten. Nur sie erfüllten die vorher definierten Qualitätskriterien. Dazu gehören zum Beispiel empirische Daten als Grundlage und eine Qualitätssicherung mittels Peer-Review-Verfahren.
In der Studie haben Pedraza-Ramirez und seine Kolleg*innen die Ergebnisse zu verschiedenen psychologischen Aspekten des eSports verglichen, u.a. die Bereiche Motivation, Performance und Wahrnehmung. Ihr Ergebnis: Die Fakten sind widersprüchlich. Einige Studien zeigen einen deutlich positiven Effekt des eSport-Trainings auf die Aufnahmekapazität, andere zeigen einen geringen Effekt. Nur teilweise konnten positive Effekte für die Reaktionszeit und die Fähigkeit, Wissen flexibel in unterschiedlichen Situationen anzuwenden (kognitive Flexibilität), gezeigt werden. Einige Studien liefern Hinweise darauf, dass eSport einen positiven Effekt auf die Fähigkeit, logisch zu denken und Probleme zu lösen (fluide Intelligenz), hat. Und auch die Art des Trainings scheint einen Effekt auf die Leistungsfähigkeit zu haben. „Um die eigenen Fähigkeiten zu verbessern, ist, den Studien zufolge, die vielversprechendste Strategie, eine moderate Anzahl an Matches zu spielen und zwischendurch immer wieder Pausen zu machen“, beschreibt Pedraza-Ramirez.
Dass die Ergebnisse der bisherigen Studien derart verschieden sind, erklärt der Wissenschaftler so: „Bisher fehlten konsequente methodische Ansätze für die Forschung im eSport. Nur wenn es diese gibt, kann man die Grenzen des eSports – beispielsweise die Einzigartigkeit jedes Spiels und seine spezifischen kognitiven Anforderungen an die Spieler*innen – wirklich abbilden und besser verstehen.“
Die Erkenntnisse aus der Studie haben Pedraza-Ramirez dazu bewogen, am Ende seines Papers zehn Punkte herauszustellen, die wichtig sind, um in Zukunft aussagekräftigere Ergebnisse für die eSport-Forschung hervorzubringen. „Besonders wichtig ist es, die grundlegenden Mechanismen der einzelnen Spiele besser zu verstehen und zwischen den Spielen zu unterscheiden. Zum Beispiel: Wie trainieren die Spieler*innen von League of Legends und wie verhalten sie sich im Wettkampf, wie funktioniert das Ranking in Dota2, oder was sind die Unterschiede zwischen Amateur-, Wettkampf- und Profispieler*innen? Dabei muss man immer beachten, dass sich die Spiele ständig ändern oder aktualisiert werden. Wenn man das nicht berücksichtigt, leidet die Zuverlässigkeit der theoretischen Darstellungen und die Qualität der wissenschaftlichen Betrachtung“, so Pedraza-Ramirez. Die Trainingsempfehlungen für den 100-Meter-Sprint könne man schließlich auch nicht mit denen für das Langstreckenschwimmen vergleichen.
Die Ergebnisse seiner Studie, so hofft Pedraza-Ramirez, könnten dem eSport weitere Impulse geben. Impulse vor allem dafür, in Zukunft durch wissenschaftliche Erkenntnisse noch professionellere Trainingsstrategien zu entwickeln und die Gamer*innen dabei zu unterstützen, sich – vor allem mental – besser auf die Herausforderungen der Spiele vorbereiten zu können. „Ich hoffe, dass die Ergebnisse meiner Forschung das Bewusstsein und ein besseres Verständnis für den eSport als Leistungsbereich fördern – in der allgemeinen Bevölkerung und in der Fachwelt. Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Sportpsycholog*innen, Wissenschaftler*innen, Forscher*innen und Praktiker*innen im eSport engagieren und daran mitwirken, Wissen und praktische Strategien zur Leistungsoptimierung in diesem wachsenden Bereich zusammenzuführen und den eSport dadurch weiterzuentwickeln“, sagt er.
Ismael Pedraza-Ramirez selbst spielt übrigens am liebsten das Action-Strategie-Spiel League of Legends (LoL). „Ich spiele ein- oder zweimal pro Woche LoL, weil ich die potenziell positive kognitive Wirkung des Spiels nutzen und mein Wissen über das Spiel erweitern möchte. Das kann ich für meine Arbeit in der Praxis gut gebrauchen. Mir gefällt, wie Spieler*innen und Fans ihre Leidenschaft für das Spiel zum Ausdruck bringen. Obwohl League of Legends für Anfänger*innen zunächst sehr komplex erscheint, kann man durch Zuschauen schnell verstehen, was im Spiel passiert. Wie im traditionellen Sport, bringt das Spiel die Menschen zusammen – und zwar mit der gleichen Leidenschaft. “
Text: Marilena Werth
Kontakt
Ismael Pedraza-Ramirez
Stipendiat und Promotionsstudent
+49 221 4982-8698
i.pedraza@stud.dshs-koeln.de