Anerkennung für Turn-Urgestein

Schnellen Schrittes betritt Hedwig Richter an diesem Abend die Halle 21 der Deutschen Sporthochschule Köln. Mit erhobener Hand grüßt Hedi, wie sie liebevoll genannt wird, das anwesende Publikum und schreitet an den jungen Turnern vorbei, die ihr Eintreffen im Spalier frenetisch beklatschen. Im Gleichschritt folgen ihr der Ehemann, Geschwister, sowie eine gute Freundin. Das Ziel könnte passender nicht sein: ein Podest, bestehend aus fünf übereinander gestapelten Matratzen. Mit tatkräftiger Unterstützung des deutschen Olympiasiegers Fabian Hambüchen schafft es die langjährige Turndozentin über eingebaute Stufen auf die originell gestaltete Estrade.

Ein wenig zurückhaltend blickt sie von dort oben und schaut sich verwundert in der Turnhalle um, ob der zahlreichen Zuschauer. Sie sind alle gekommen, um die Turngala zu genießen, die Richters Renteneintritt einleitet. In 43 Jahren und somit 86 Semestern hat sie über 17.000 Studierende das Turnen beigebracht. Die Turnhalle 21 war für ein Großteil ihres Lebens ihre zweite Heimat. Seit Ende Mai hat sie die berufliche Heimat verlassen. „Ich werde das intensivieren, was ich eigentlich mein ganzes Leben schon gemacht habe, nämlich Musik zu machen“, verrät die ehemalige Turndozentin über die eigene Zukunft.

Nicht jede Lehrperson an einer Hochschule bekommt eine so imposante Abschiedsvorstellung geboten. Hedwig Richter hat sich diesen Abschied verdient. Ihr Wirken in zahlreichen Gremien wie zum Beispiel im wissenschaftlichen Personalrat, in Prüfungsausschüssen, oder als Institutsabteilungsleiterin unterstreicht, dass sie nicht nur leidenschaftliche Turndozentin war, sondern auch eine engagierte Arbeitsmoral vorwies.

Bevor Sportstudent Tim Pfeiffer zum Anlauf ansetzt, um am Boden einen doppelten Salto vorzuführen, fiebert Richter mit und klatscht zusammen mit dem Publikum. Es sind solche Momente, die sie sehr beliebt bei Studenten und Mitarbeitern gemacht hat. „Sie ist ein Vorbild, hilfsbereit, zuverlässig, freundlich und gut gelaunt, sogar montags morgens“, beschreibt Kollege Dr. Tobias Voigt ihre Charaktereigenschaften. Außerdem ist sie ein sehr dankbarer Mensch und fühlt sich in vertrauter Umgebung wohl. Nach den Worten des alten Weggefährten Paul Spieß, der mit 85 Jahren noch einmal für sie turnte, umarmt sie ihn herzlich und bedankt sich für die ehrlichen Worte. Neben extern angereisten Athleten, Kinderturnern und ehemaligen Kollegen waren es vor allem Hedis ehemalige Studenten, die sie beeindruckten und dem Event ihren ganz besonderen Stempel aufdruckten. Sie findet lobende Worte für sie: „Ich war so stolz auf meine Studenten, die so viele tolle Sachen können.“ Und die dargebotenen Acts konnten sich wirklich sehen lassen. Ob auf dem Trampolin, der AirTrac-Matte, dem Röhnrad, dem Reck oder dem Sprungtisch - die Zuschauer bekamen großes Spektakel geboten. „Zu sehen was daraus werden kann, fand ich sehr schön“, lobt eine Zuschauerin die Leistungen ihrer Kommilitonen.

Mit großen Schritten verlässt Hedwig Richter das Matratzen-Podest. Selbstsicher, zugleich aber auch demütig, schreitet sie in die Runde der applaudierenden Athleten. Sie schüttelt vereinzelt Hände, grüßt herzlich alte Weggefährte und genießt die letzten Augenblicke der vielseitigen Abschiedsveranstaltung. Ein würdiger Abschied für eine große Persönlichkeit.

Hedi Richter ist von der Atmosphäre überwältigt. Ob ihr die Arbeit an der Sporthochschule Köln fehlen wird? Am Anfang ganz bestimmt, aber der Urlaub und die Musik werden sicherlich dazu beitragen, dass sie ihren neuen Lebensabschnitt ebenso souverän meistert, wie die 43 Jahre zuvor.