Datenanalyse in der Halfpipe
Die Halfpipe gilt im Snowboarden als Königsdisziplin. In der 160 Meter langen und 20 Meter breiten Eisschale sausen die Sportler*innen auf ihren Boards von einer Seite zur anderen, katapultieren sich über den Rand der Halfpipe hinaus und zeigen spektakuläre Tricks: Sprünge, Drehungen, Handstände und Überschläge. Ein interdisziplinäres Projekt der Deutschen Sporthochschule Köln befasst sich aktuell mit der Kraftverteilung, die die Sportler*innen auf ihr Board übertragen, um ihre Sprünge auszuführen.
Wenn die Snowboard*innen in die Lüfte gehen und ihre akrobatischen Flugeinlagen demonstrieren, hat das ganz viel mit Biomechanik zu tun. Kraftverteilung, Geschwindigkeit, Winkel, Drehmomente – all dies sind entscheidende Faktoren dafür, dass die Tricks wie gewünscht gelingen. Vor allem die Anfahrtstechnik vor dem Absprung scheint eine wichtige Rolle zu spielen. Bislang haben Trainer*innen und Sportler*innen diesen Moment zumeist auf Video dokumentiert und analysiert, um daraus Korrekturen abzuleiten, also eine rein optische Bewertung der Anfahrts- und Absprungtechnik vorgenommen.
Ein interdisziplinäres Team von Wissenschaftler*innen bringt nun ein Messsystem zum Einsatz, welches auf das Snowboard montiert werden kann, um die Kraftverteilung der Füße auf dem Board zu messen. Sarah Hardt, Master-Studentin der Sporthochschule und Halfpipe Coach im Landesverband Snowboard Bayern, schreibt darüber ihre Masterarbeit. Des Weiteren sind in das Projekt eingebunden: Univ.-Prof. Dr. Uwe Kersting, Leiter des Instituts für Biomechanik und Orthopädie (IBO), Univ.-Prof. Dr. Lars Donath, Leiter der Abteilung Trainingswissenschaftliche Interventionsforschung im Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik (ITS), Christian Merz, externer Doktorand vom Institut für Angewandte Trainingswissenschaft (IAT) und Jan Kellner, Snowboard-Bundestrainer Wissenschaft und Ausbildung. „Das Messsystem ist in dem Sinne nicht neu, wir haben es für das Projekt reaktiviert, sodass wir nun zwei mobile Kraftmessplatten zwischen Bindung und Board montieren können“, erklärt Prof. Uwe Kersting.
Die beiden runden Kraftmessplatten erinnern optisch an alte Filmdosen: Sie sind 32mm dick, haben einen Durchmesser von 200 mm und wiegen jeweils knapp ein Kilo. Gefertigt wurden sie in der Feinmechanik- und Elektrowerkstatt des IBO. Sie verfügen über jeweils sechs Sensoren, die schräg verbaut sind und daher Kräfte und Momente in drei Richtungen messen können. „Wir möchten die Daten, die die Kraftmessplatten bei den Sprüngen in der Halfpipe erfassen, mit dem Videoeindruck der Trainer*innen abgleichen. Dabei schauen wir uns verschiedene Anfahrtstechniken an und wollen herausfinden, wie sich die Kraftverteilung zwischen Vorfuß und Ferse, also zwischen Frontfoot und Rearfoot, bei den unterschiedlichen Techniken unterscheidet“, erläutert Kersting die Forschungsfragen.
Drei Snowboarderinnen und drei Snowboarder zwischen 15 und 17 Jahren nahmen im Februar im schweizerischen Laax an den ersten Messungen teil. Sie führten je drei verschiedene Sprünge mit den integrierten Kraftmessplatten aus: ein Straight Air (180-Grad-Drehung) und eine ganze (360) Drehung vorwärts angefahren und ein Straight Air rückwärts angefahren (Switch). Der Messcomputer in der Größe einer Butterbrotdose steckte dabei in einem kleinen Rucksack, die Kabel von den Kraftmessplatten zum Mini-Computer wurden durch die Hosenbeine gelegt.
„Letztendlich soll das Projekt die Bewegungsanalyse unterstützen und Trainer*innen bei ihren Trainingsanweisungen und Techniktipps helfen. Eine Idee für die Zukunft wäre, ein Feedbacksystem zu integrieren, welches auf einem Bildschirm sichtbar macht, ob die Kraftübertragung an der richtigen Stelle des Boards erfolgt“, nennt Kersting weitere Überlegungen. Auch für das Trockentraining der Athlet*innen könnten die Ergebnisse interessant sein. So wird das Akrobatiktraining etwa im Sommer häufig auf dem Trampolin durchgeführt. Eine mögliche Forschungsfrage wäre hier, ob diese Vorübungen zielführend sind. Um langfristig Empfehlungen aus diesem Projekt ableiten zu können, plant das Forscher*innenteam, einen Forschungsantrag beim Bundesinstitut für Sportwissenschaft (BISP) zu stellen und die Kollaboration strukturiert weiterzuführen.