Kinderschutz im Sport voranbringen

v.l.: Jan Holze (Vorsitzender Deutsche Sportjugend), Dr. Bettina Rulofs (Deutsche Sporthochschule), Dr. Mark Allroggen (Universitätsklinikum Ulm); Foto: Oliver Kauer (DSJ)

Sexualisierte Gewalt ist leider überall anzutreffen – auch im Sport. Das belegen die Ergebnisse des Forschungsprojektes »Safe Sport«. Konkrete Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche im Wettkampf- und Leistungssport sind daher notwendig. Wie Schutzmaßnahmen in Sportorganisationen umgesetzt werden, hat das Projekt »Safe Sport« jetzt untersucht. Beim gemeinsamen Fachforum mit der Deutschen Sportjugend (dsj) werden heute und morgen in Neubrandenburg die aus dem Projekt resultierenden Handlungsempfehlungen mit Verantwortlichen in Sportverbänden diskutiert.

Über einen Zeitraum von drei Jahren haben WissenschaftlerInnen der Deutschen Sporthochschule Köln und des Universitätsklinikums Ulm Untersuchungen zu sexualisierten Übergriffen im Wettkampf- und Leistungssport sowie den Präventionsmaßnahmen in Verbänden, Vereinen, Olympiastützpunkten und Sportinternaten durchgeführt. Vor knapp einem Jahr haben die ForscherInnen unter der Verbundleitung von Dr. Bettina Rulofs (Deutsche Sporthochschule Köln) erste Ergebnisse aus ihren Studien veröffentlicht und damit die Aufmerksamkeit auf ein lang tabuisiertes Thema im Sport gerichtet. Inzwischen wurden die Erhebungen abgeschlossen und vertiefende Analysen der Daten vorgenommen.

Dabei wird im Projekt »Safe Sport« ein weites Begriffsverständnis zugrunde gelegt. Neben schweren (und z.T. strafrechtlich relevanten) sexualisierten Gewalthandlungen mit Körperkontakt wurden auch solche ohne Köperkontakt oder grenzverletzendes Verhalten einbezogen.

Sexualisierte Gewalt im Sport
54% von rund 1.800 befragten KaderathletInnen geben in der Studie an, sexualisierte Gewalt in ihrem bisherigen Leben erfahren zu haben, wobei sich dies auf alle Lebensbereiche der AthletInnen (sowohl innerhalb als auch außerhalb des Sports) bezieht. Werden ausschließlich Gewalterfahrungen im Kontext des Sports betrachtet, so zeigt sich, dass 37% der befragten AthletInnen eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erfahren haben, 11% schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt, wobei die Mehrheit der AthletInnen bei der ersten Gewalterfahrung unter 18 Jahre alt war. Auch andere Formen von Gewalt werden von den AthletInnen häufig berichtet. So geben 86% der Befragten an, emotionale Gewalt im Sport erfahren zu haben (z.B. Beschimpfungen, Demütigungen, Mobbing), und 30% waren körperlicher Gewalt im Sport ausgesetzt (z.B. geschlagen, mit Dingen beworfen oder geschüttelt werden). Gleichzeitig zeigt sich eine hohe Überschneidung der verschiedenen Gewaltformen.

„Die Ergebnisse verdeutlichen, dass es sich bei jungen KaderathletInnen um eine belastete und besonders zu schützende Gruppe handelt“, so Dr. Marc Allroggen vom Universitätsklinikum Ulm. Es besteht somit Bedarf an konkreten Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche im Wettkampf- und Leistungssport. Studien zur Häufigkeit von Gewalt im Breitensport fehlen bislang noch.

Schutzmaßnahmen für Kinder und Jugendliche
Umso aufmerksamer ist der Umsetzungsstand von Schutzmaßnahmen in Organi-sationen des Leistungssports zu betrachten: Die Befragungen von Verantwortlichen in diesem Bereich zeigen, dass zwar 85% der Spitzenverbände, 82% der Sportinternate und 46% der Olympiastützpunkte der Auffassung sind, die Prävention von sexualisierter Gewalt sei ein relevantes Thema für den organisierten Sport, jedoch nur je 39% der Spitzenverbände und Sportinternate sowie 23% der Olympiastützpunkte angeben, über fundierte Kenntnisse zum Thema zu verfügen. Die Hälfte der Internate und knapp ein Viertel der Olympiastützpunkte haben Ansprechpersonen für die Prävention sexualisierter Gewalt benannt. An rund einem Viertel der Internate ist bisher ein schriftliches Präventionskonzept vorhanden. „Die Verantwortungsübernahme und Regelung der Zuständigkeit für den Schutz der AthletInnen scheint bisher im Verbundsystem Leistungssport noch nicht hinreichend geklärt“, resümiert Dr. Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln. 

Als positiv und hilfreich wird in den Mitgliedsorganisationen das Engagement der Deutschen Sportjugend wahrgenommen, die das Thema federführend für den DOSB bearbeitet. So zeigt die Studie beispielsweise, dass ein von der dsj entwickeltes Qualifizierungsmodul positive Effekte auf das Wissen der Teilnehmenden über sexualisierte Gewalt hat, und sich eine verbesserte Kultur des Hinsehens entwickelt.

Auch in den Landessportbünden ist ein vergleichsweise hoher Aktivitätsgrad zum Kinderschutz zu verzeichnen. So ist die Thematik z.B. in fast allen Landessportbünden in der Aus- und Fortbildung verankert.

An der Basis des Sports in den Sportvereinen bergen insbesondere die ehrenamtlichen Strukturen Herausforderungen für die Einführung von umfassenden Präventionsmaßnahmen. Die Vereinsbefragung im Rahmen von »Safe Sport« zeigt, dass Vereine mit mindestens einer bezahlten Führungsposition die Prävention sexualisierter Gewalt eher als relevantes Thema einschätzen und sig-nifikant mehr Präventionsmaßnahmen implementiert haben als die ausschließlich ehrenamtlich geführten Vereine. Für den Kinderschutz in Sportvereinen der Städte und Kommunen ist somit, insbesondere dort wo dies allein auf ehrenamtlichen Aktivitäten basiert, finanzielle Unterstützung wichtig und eine fachliche Kooperation mit den örtlichen Jugendämtern und Beratungsstellen.

Kontakt:
Dr. Bettina Rulofs

Institut für Soziologie und Genderforschung
Deutsche Sporthochschule Köln

Dr. Marc Allroggen
Klinik für Kinder- und Jugend-psychiatrie/Psychotherapie
Universitätsklinikum Ulm

Weitere Informationen zum Projekt

Das Forschungsprojekt »Safe Sport« wird mit Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung für eine Laufzeit von drei Jahren gefördert (2014-2017). Die Verbundkoordination liegt bei Dr. Bettina Rulofs an der Deutschen Sporthochschule Köln. Das Projekt hat insgesamt drei Kooperationspartner: Deutsche Sporthochschule Köln (Institut für Soziologie und Genderforschung), Universitätsklinikum Ulm (Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/Psychotherapie) und Deutsche Sportjugend im DOSB (Ressort Jugendarbeit im Sport).