Sportwissenschaft im Dienste der Reha-Kardiologie
Professor Dr. Sportwiss. Birna Bjarnason-Wehrens von der Deutschen Sporthochschule Köln wurde im Rahmen der 45. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Prävention und Rehabilitation von Herz-Kreislauferkrankungen (DGPR) am 8. Juni 2018 die Peter-Beckmann-Medaille verliehen. Sie erhielt die mit der Ehrenmitgliedschaft verbundene Auszeichnung für die großen Verdienste um die kardiologische Rehabilitation auf nationaler und europäischer Ebene.
„Liebe Birna, Du gehörst in die lange Reihe der zu würdigenden DGPR-Wissenschaftler, die mit ihrem Einsatz in außerordentlicher Weise Meilensteine für die kardiologische Rehabilitation und für die Herzgruppen gesetzt und nicht zuletzt dadurch zur Weiterentwicklung unserer Fachgesellschaft maßgeblich beigetragen haben!“, konstatierte DGPR-Präsidentin Dr. med. Manju Guha (l.) in ihrer Laudatio. Guha spannte in ihrer Rede den Bogen von der durch Sport geprägten Kindheit und Jugend Bjarnason-Wehrens‘ über die Ausbildung und das berufliche Wirken an der Deutschen Sporthochschule (DSHS) Köln bis hin zum umfangreichen Ehrenamt in der DGPR und den europäischen Fachgesellschaften EACPR und EAPC. Durch ihre berufliche Tätigkeit mit Ausbildung der Studenten in der kardiovaskulären Prävention und Rehabilitation, in der Forschung und Durchführung von Studien und ihrem nationalen und internationalen ehrenamtlichen Engagement habe sie maßgeblichen Anteil daran, dass die hohe Bedeutung der körperlichen Aktivität bei kardiologischen Erkrankungen heute allgemein anerkannt ist.
Bjarnason-Wehrens war insgesamt neun Jahre im Präsidium der DGPR aktiv. Von 2002 bis 2006 als Beisitzerin vertrat sie dort nicht nur maßgeblich die Inhalte der Sportwissenschaft, sondern fungierte während dieser Zeit auch als eine der Hauptfiguren im Annäherungsprozess von ambulanter und stationärer kardiologischer Rehabilitation, die – damals zunächst schwer vorstellbar – heute unter dem Dach der DGPR vereint sind. Von 2006 bis 2009 war sie Stellvertretende Sprecherin und von 2009 bis 2010 Sprecherin bzw. Vertreterin des Ausschusses Interdisziplinär im DGPR-Präsidium.
Während ihrer Amtszeit im Präsidium war sie Hauptautorin einiger bahnbrechender Publikationen: So war sie federführend verantwortlich für die Empfehlungen der DGPR zum „Einsatz von Kraftausdauertraining und Muskelaufbautraining in der kardiologischen Rehabilitation“ (2004). Herauszuheben ist weiterhin ihr großes Engagement für die Positionspapiere der DGPR: „Herzgruppe“ (2004) und „Die Kinderherzgruppe“ (2005). Mit dem zweitgenannten Papier wurden in inhaltlicher Abstimmung u.a. mit dem Bundesverband Herzkranke Kinder e.V. (BVHK), der Deutschen Gesellschaft für Pädiatrische Kardiologie (DGPK) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen die Grundlagen für die Standardisierung und den weiteren Aufbau von Herzgruppen für Kinder und Jugendliche mit angeborenem Herzfehler und/oder chronischer Herzerkrankung und für die regelhafte Abrechnungsmöglichkeit mit den Kostenträgern geschaffen. Auch „in der Praxis“ betreibt Bjarnason-Wehrens über viele Jahre hinweg Herzgruppen und Kinderherzgruppen an der DSHS Köln. Bei der 2007 erschienenen „Deutschen Leitlinie zur Rehabilitation von Patienten mit Herz-Kreislauferkrankungen (DLL-KardReha)“ der DGPR war sie verantwortlich für den Bereich körperliche Aktivität und Training. Herausragend war ihr Engagement als federführende Gastherausgeberin der „Leitlinie zu körperlicher Aktivität in der Sekundärprävention und Therapie kardiovaskulärer Erkrankungen“ (2009), die in Kooperation mit der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention e.V. (DGSP), der Deutschen Gesellschaft für Rehabilitationswissenschaften e.V. (DGRW) und dem Deutschen Verband für Gesundheitssport und Sporttherapie e.V. (DVGS) erstellt und erfolgreich als Clinical Research of Cardiology Supplement (CRICS) 2009 publiziert werden konnte.
In ähnlicher Weise wie für die DGPR in Deutschland engagierte sie sich auf europäischer Ebene: von August 2002 bis Mai 2006 als Nucleus Member der Working Group on Cardiac Rehabilitation and Exercise Physiology of the European Society of Cardiology (ESC), und von August 2006 bis August 2010 als Secretary of the Section Cardiac Rehabilitation of the European Association for Cardiovascular Prevention and Rehabilitation (EACPR) of the European Society of Cardiology, der Vorläuferorganisation der heutigen EAPC (European Association of Preventive Cardiology). Als disziplinübergreifend denkende und handelnde Sportwissenschaftlerin, die den Wert der körperlichen Aktivität für die kardiologische Rehabilitation – ambulant wie stationär und in den Herzgruppen – stets betonte, fand sie auf der internationalen Bühne große Anerkennung. Aus diesem Kontext heraus konzipierte sie 2004 (gemeinsam mit Professor Dr. med. Peter Mathes, München) als Tagungspräsidentin die 31. Jahrestagung der DGPR in Berlin mit dem Thema: „Kardiologische Rehabilitation in Europa – Aktuelle Herausforderungen“ mit einer Reihe international renommierter Referenten. Ab 2007 fungierte sie als nationale Koordinatorin und Hauptautorin des 2010 publizierten „European Cardiac Rehabilitation Inventory Survey”. Die Erhebung lieferte erstmals eine europäische Übersicht über die Versorgungspraxis in 28 (von 39 befragten) Ländern und berücksichtigte Themen wie nationale Leitlinien, politische Rahmenbedingungen, Gesetzgebung und Finanzierung, Reha-Phasen und Charakteristika der eingeschlossenen Patienten.
Auch nach ihrem satzungsbedingten Ausscheiden (aufgrund der Amtszeitenbegrenzung) aus dem Präsidium der DGPR engagierte sich Bjarnason-Wehrens wie selbstverständlich weiter in den Gremien der Gesellschaft. So war sie 2013 Mitglied der Strukturkommission zur Erarbeitung der 2014 in Kraft getretenen Satzung. Seit 2015 ist sie Mitglied der erstmals nach der neuen Satzung gewählten Kommission Forschung und Wissenschaft. Aktuell engagiert sie sich in der Erstellung der „Leitlinie Kardiologische Rehabilitation im deutschsprachigen Raum“, einem Gemeinschaftsprojekt der DGPR mit den Österreichischen und Schweizerischen Fachgesellschaften.
Birna Bjarnason wurde am 20. Februar 1955 in Siglufjörður, der einst wegen der Heringfischerei weltbekannten Stadt im Norden Islands, geboren. Noch als Kind zog sie mit ihrer Familie an die Südküste in die Stadt Hafnarfjörður (dt. Hafenfjord), wo sie aufwuchs. Seit frühester Jugend Handballspielerin, sollte der Sport sie zeitlebens prägen, auf wie neben dem Platz. Schon als Jugendliche hat sie sich in der Vorstandsarbeit ihres Vereins engagiert. Rasch entwickelte sie dabei einen Führungsstil, den man am ehesten als bewusst unauffällig und zurückhaltend, aber nicht minder zielstrebig und durchsetzungsstark charakterisieren könnte. Das Abitur machte sie an dem ältesten humanistischen Gymnasium Islands (Menntaskòlinn í Reykjavik). Mit 20 Jahren kam sie zum Studium an die Deutsche Sporthochschule (DSHS) Köln. An der DSHS Köln sollte Professor Richard Rost († 1998), der sich Anfang der 90-er Jahre stark im Vorstand der DGPR engagierte, ihr Lehrer und Mentor für viele Jahre werden. Nach Abschluss des Studiums mit dem akademischen Grad der Diplom-Sportlehrerin im November 1980 war sie vom Oktober 1980 bis Mai 1985 im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin an der DSHS Köln angestellt. Es folgte ein sechsjähriges Intermezzo an der Universität Dortmund (Juni 1985 bis September 1991). Ihre Promotion schloss sie im Februar 1990 mit dem akademischen Grad Doktor der Sportwissenschaften an der DSHS ab. Das Thema der Doktorarbeit lautete: „Über die Beeinflussung von Lipid-Stoffwechselstörungen bei Postinfarktpatienten in ambulanten Herzgruppen“ (Gutachter waren Prof. Dr. med Dr. h.c. Wildor Hollmann, und Prof. Dr. med. Richard Rost). Nach der Rückkehr an das vorgenannte DSHS-Institut arbeitete sie von Oktober 1991 bis Ende März 1994 als wissenschaftliche Mitarbeiterin, bis Dezember 1999 als akademische Rätin und seit Januar 2000 als akademische Oberrätin. Ihre Habilitation (im Fach Sportwissenschaften) erlangte sie im April 1999. Das Thema der Habilitationsschrift lautete „Ambulante kardiale Rehabilitation der Phase II – Kölner Modell“ (Gutachter: Prof. Dr. med. R. Rost und Prof. Dr. med. E. Erdmann, Prof. Dr. med. W. Kindermann). Diese Arbeit bildete die Grundlage des Modellprojekts der damaligen LVA-Rheinprovinz und der rheinischen Krankenkassen und ebnete der ambulanten kardialen Rehabilitation den Weg in die Routineversorgung. Am 1. April 2008 erfolgte ihre Ernennung zur außerplanmäßigen Professorin an der Deutschen Sporthochschule in Köln.
Begleitet war ihr gesamtes berufliches Wirken von einer intensiven, anwendungsorientierten Forschungsarbeit und einer regen Publikationstätigkeit. Bjarnason-Wehrens hat mehr als 150 Publikationen in internationalen und nationalen Zeitschriften, davon über 50 in Medline-gelisteten Peer Review-Journals sowie fünf internationale Lehrbücher veröffentlicht. Sie engagiert sich darüber hinaus in der Herausgeberschaft – bspw. als Mitglied im Editorial Board des European Journal of Preventive Cardiology – und der Gutachtertätigkeit für zahlreiche international anerkannte Zeitschriften und gilt weltweit als gefragte Rednerin.