Wie gut wirken Regelwerke?
Zum zweiten Mal evaluierten Wissenschaftler*innen des Instituts für Sportrecht das in Deutschland maßgebende Anti-Doping-Regelwerk, den Nationalen Anti-Doping Code (NADC). An der Befragung im Rahmen der Evaluierung beteiligten sich rund zehn Prozent aller deutschen Testpool-Athlet*innen. Wie bereits die erste Veröffentlichung bestätigt auch die Folgeevaluierung dem NADC eine hohe Steuerungskraft. Die neue Publikation zeigt die langfristigen Effekte von Evaluierungsmaßnahmen und legt den Grundstein für einen Index zur allgemeinen Bewertung der Steuerungskraft von sportverbandlichen Regelwerken.
Sportverbandliche Regelwerke wie der Nationale Anti-Doping Code (NADC) im Bereich der Anti-Doping-Arbeit sollen helfen, die Integrität des Sports zu wahren. Damit sie wirken, müssen Athlet*innen die Regelwerke kennen, verstehen und befolgen. Sind alle drei Aspekte erfüllt, hat ein Regelwerk eine hohe Steuerungskraft: Es bewirkt das, was es bezwecken soll. Doch was passiert, wenn sportverbandliche Regelwerke nicht akzeptiert, nicht befolgt und Vergehen nicht sanktioniert werden? Und wie kann man einer geringen Steuerungskraft entgegenwirken?
Mit ihren faktenbasierten Evaluierungen wollen die Wissenschaftler*innen des Instituts für Sportrecht der Deutschen Sporthochschule Köln eine Grundlage dafür schaffen, die Steuerungskraft von Regelwerken messbar zu machen. Bereits zum zweiten Mal haben sie hierfür den Nationalen Anti-Doping Code evaluiert. Ihre Folgeevaluierung gibt nicht nur Aufschluss über Kenntnis, Verständnis und Regeltreue, sondern zeigt auch, welchen langfristigen Mehrwert Evaluierungsmaßnahmen haben können.
Im Bereich der Anti-Doping-Arbeit bestehen in Deutschland seit fast 20 Jahren konkrete Regelwerke als Grundlage für dopingfreien Sport. Athlet*innen sind über die Zugehörigkeit eines Testpools oder über die Teilnahme an bestimmten Veranstaltungen an das Regelwerk gebunden. Bereits in der ersten Studie aus 2017 konnten die Wissenschaftler*innen zeigen, dass die Regelungen im Bereich des Anti-Dopings unter Athlet*innen in Deutschland gut bekannt sind und weitgehend befolgt werden.
Durch die Folgeevaluierung konnten die Wissenschaftler*innen ihr erstes Ergebnis aus 2017 bestätigen und ihr Evaluierungstool weiterentwickeln. „Wie in unserer ersten Evaluierung, konnten wir der Steuerungskraft des NADC ein sehr gutes Zeugnis ausstellen. Die Schulungs- und Präventionsangebote der Nationalen Anti Doping Agentur werden von den Athleten*innen gut angenommen , die Regelungen verstanden. Interessant und erkenntnisreich war, dass die Fragen, die wir bereits in der letzten Evaluierung abgefragt haben, diesmal besser beantwortet wurden“, erläutert Dr. Caroline Bechtel, Stellvertretende Leiterin des Instituts für Sportrecht. Allein die Durchführung der Befragung entfalte einen didaktischen Mehrwert über die retrospektive Evaluierung hinaus.
Mittelfristig, erklärt Bechtel, solle auf Basis der Evaluierungen des NADC ein einheitlicher Bewertungsmaßstab für die Steuerungskraft von sportverbandlichen Regelwerken entwickelt werden. „Unser Ziel ist es, einen allgemeingültigen Maßstab zu entwickeln, an dem man ablesen kann, wie gut ein Regelwerk wirkt. Der NADC hat eine hohe Steuerungskraft, weil viele Athlet*innen ihn kennen, ihn verstehen und ihr Verhalten danach ausrichten. Ein solches Ergebnis ist perspektivisch auch für andere Integritätsthemen wünschenswert“, sagt Bechtel. Der Index könne beispielsweise auf Regelwerke im Bereich der Spielmanipulation, des Rassismus oder der sexualisierten Gewalt übertragen werden.
Prof. Martin Nolte, Leiter des Instituts für Sportrecht, ergänzt: „Ich bin mir sicher, dass wir in vielen Integritätsbereichen noch nicht so weit sind wie in der Anti-Doping-Arbeit. Beispielsweise im Bereich der Spielmanipulation dürften die Vorschriften weitaus weniger greifen, weil sich die Schulungsangebote nicht auf dem Niveau der Anti-Doping-Arbeit bewegen.“ Dieser Bereich dürfte allenfalls 50 oder 60 Prozent der Steuerungskraft im Vergleich zu Anti-Doping-Themen besitzen, wie Nolte aus einer jüngeren interdisziplinären Studie zur Prävention von Spielmanipulation im Auftrag des Bundesinstituts für Sportwissenschaft mit aller Vorsicht prognostiziert. „Demgegenüber konnten wir nun mit sport- und rechtswissenschaftlichen Methoden, ergänzt durch eine mathematisch-statistische Expertise, die gute Wirkkraft des Nationalen Anti-Doping Codes belegen. Diese Methodik lässt sich langfristig auch auf andere Bereiche übertragen.“
Kern der Untersuchung war eine Befragung von Testpoolathlet*innen in Deutschland. Neben Wissens- und Verständnisfragen zu den drei übergeordneten Kategorien (1) Dopingkontrolle und Ergebnismanagement, (2) Verstöße und verbotene Substanzen und Methoden sowie (3) Sanktionen, Konsequenzen, Disziplinarverfahren, wurden Fragen zum Verhalten der Athleten*innen und ihrer Konkurrenz sowie zu Präventionsmaßnahmen und Dopingkontrollen gestellt. Die Befragung bildete die Grundlage für die Entwicklung des Index. Darüber hinaus erfolgte eine Auswertung der statistischen Informationen zu Dopingkontrollen und Dopingproben sowie zu Dopingverstößen und Disziplinarverfahren. Dabei deckten sich die statistischen Informationen mit den durch die Befragung erzielten Erkenntnisse und bestätigten die Annahme, dass deutsche Athlet*innen sich regelkonform verhalten.
„Wenn die Regeln nicht bekannt sind, können sie nicht wirken. Die Regelwerke entfalten keine Steuerungskraft. Das ist eine entscheidende Botschaft, die sich aus der Untersuchung für uns ergibt. Kenntnis und Verständnis der Regelwerke sind eine Grundvoraussetzung für regeltreues Verhalten und bilden die Basis für eine hohe Steuerungskraft. Ein allgemeiner Index macht diese messbar – auch in anderen Bereichen“, so Prof. Martin Nolte.
Eine weitere wichtige Erkenntnis aus der Evaluierung: Es existieren signifikante Korrelationen zwischen der Inanspruchnahme von Präventions- und Informationsangeboten und dem Wissensstand über die Regelungen des NADC. Dieses Ergebnis, so Nolte, sei auch für andere Integritätsthemen interessant, denn wenn man wisse, welche Informationsangebote besonders gut nachgefragt werden und wirken, könne man hier Schwerpunkte setzen und vergleichbare Angebote auch auf andere Integritätsthemen ausweiten.
Das Forschungsprojekt wurde durch die Nationale Anti Doping Agentur Deutschland (NADA) und durch das Bundesinstitut für Sportwissenschaft aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages gefördert und hatte eine Laufzeit von zwei Jahren.
Hier kann die aktuelle Evaluierung des NADC bestellt werden.