"Begegnung schafft Haltung"
Beim 9. Kölner Abend der Sportwissenschaft mit dem Titel „Mitleid war gestern?! Faszination des Sports von Menschen mit Behinderungen“ diskutierten prominente Gäste an der Deutschen Sporthochschule Köln.
Wenn ein behinderter Leichtathlet bei den Deutschen Meisterschaften der Nichtbehinderten gewinnt und mit der Begründung, dass seine Beinprothese einen unerlaubten Vorteil darstellt, nicht zur EM zugelassen wird, dann schafft das Diskussionsstoff. Um diese und viele weitere Entwicklungen im Sport von Menschen mit Behinderungen zu beleuchten und kritisch zu hinterfragen, lud die Deutsche Sporthochschule Köln zum 9. Kölner Abend der Sportwissenschaft unter dem Titel „Mitleid war gestern?! Faszination des Sports von Menschen mit Behinderungen“ ein.
Als Podiumsgäste nahmen neben Markus Rehm, dem Deutschen Meister im Weitsprung von 2014 und Goldmedaillengewinner bei den Paralympics in London 2012, auch seine Trainerin Steffi Nerius, Weltmeisterin im Speerwurf 2009, und Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen, teil. Prof. Dr. Thomas Abel, der Inhaber der Professur „Paralympischer Sport“, Dr. Volker Anneken, Leiter des Forschungsinstituts für Inklusion durch Bewegung und Sport und Vertreter der Gold-Kraemer-Stiftung, Gregor Doepke, Leiter der Kommunikation der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung sowie die Sportjournalismus-Studentin der Deutschen Sporthochschule Köln Monika Dziuba vervollständigten die Runde, die von Wolf-Dieter Poschmann moderiert wurde.
Nach einem emotionalen Einstieg mit dem Song „Ming Wääch“ der Band Domstürmer, in dessen Musikvideo Sportler mit Behinderung, von denen einige auch im Publikum saßen, die Hauptrolle spielen, eröffnete der Rektor der Deutschen Sporthochschule Köln, Univ.-Prof. Dr. Heiko Strüder, den Abend.
Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, verdeutlichte in seinem Grußwort die herausragende Position der Sporthochschule im Bereich des Behindertensports. Gerade Sport sei die ideale Form, die enormen Leistungspotentiale behinderter Menschen kennenzulernen und wertzuschätzen.
Das Kennenlernen des Sports von Menschen mit Behinderung spielte auch in der anschließenden Antrittsvorlesung von Prof. Dr. Thomas Abel eine zentrale Rolle. Er ging dabei explizit auf seine ersten Berührungspunkte mit diesem Bereich, nämlich das Kennenlernen von Rollstuhl-Rugby, ein. „Begegnung schafft Haltung“, resümierte Abel und zeigte in seinem Vortrag die Chancen und Herausforderungen im Feld „Paralympischer Sport“ auf.
Angeregt durch den Input der drei Vorredner kam es auf dem Podium zu einem interessanten Austausch. Dabei profitierte die Talk-Runde von der geballten Kompetenz, die sich auf der Bühne von Hörsaal 1 eingefunden hatte: Wissenschaftler, Versicherungsvertreter, Spitzensportler, Trainerin und Studentin – jede Erfahrungsperspektive war vertreten.
Während Monika Dziuba anschaulich aus ihrem Studienalltag als Studentin an der Sporthochschule und ihren Erfahrungen in den Praxiskursen berichtete, verdeutlichte der Vertreter der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung den enormen Stellenwert des Sports für die Wiedereingliederung von Verunfallten in die Gesellschaft. Seine Arbeit stellte er dabei in Bezug zum Thema Mitleid. „Unser Auftrag ist es nicht, Mitleid zu haben, sondern Leute so gut aufzubauen, dass sie wieder am Leben teilhaben können. Der Leistungssport biete dabei eine wahnsinnig gute Motivation“, so Gregor Doepke.
Als Vertreter des Leistungssports nahm Markus Rehm Stellung zu der gemeinsamen Teilnahme an Wettkämpfen von Behinderten und Nichtbehinderten und zeigte sich verständnisvoll dafür, dass er mit einer separaten Wertung an Deutschen Meisterschaften teilnehmen muss. Seine Trainerin Nerius verdeutlichte den Stellenwert einer gemeinsamen Teilnahme. Sie gab zu denken, dass Spitzenathleten wie Rehm durch einen gemeinsamen Wettkampf mit Nichtbehinderten, auch wenn getrennt gewertet wird, einen enormen Motivationsschub erhalten können. Auch der Inklusionsgedanke könne dadurch verwirklicht werden. Bentele merkte grundsätzlich an: „Bevor wir Olympische Spiele und Paralympics zusammenbringen, müssen wir erstmal gemeinsamen Sportunterricht wie an der Sporthochschule anbieten. Tut man dies nicht, ist man schnell weg von dem, was Inklusion eigentlich bedeutet.“
Als möglicher Grund für das Fehlen eines gemeinsamen Sportangebots wurde auch die zu geringe Kompetenz vieler Übungsleiter diskutiert, die sich häufig nicht zutrauten, mit Menschen mit Behinderungen zu arbeiten, weil ihnen das Wissen um den Umgang mit diesen fehle. Allerdings wurde auch festgehalten, dass gute Sportangebote immer auch gemeinsam mit den Betroffenen erarbeitet und ausprobiert werden müssten. Als Positivbeispiel bezeichnete Rehm dabei sein Verhältnis zu seiner Trainerin: „Das Schöne mit Steffi war, dass sie einfach gesagt hat, ich soll gewisse Übungen ausprobieren. Dass es dann nicht direkt geklappt hat, lag nicht daran, dass ich eine Prothese habe, sondern daran, dass ich mich einfach blöd angestellt hab.“
Als Fazit des Abends wurde festgehalten, dass die Faszination des Behindertensports durch fehlende Aufklärung noch nicht in großen Teilen der Gesellschaft verankert ist. Viele Menschen können sich Sport mit Behinderungen nicht vorstellen, weil sie noch nicht damit in Berührung gekommen sind. Institutionen wie die Deutschen Sporthochschule Köln haben in diesem Aufklärungsprozess eine Schlüsselfunktion. Durch aufklärenden Unterricht, wie er unter anderem durch Prof. Abel realisiert wird, kann das Wissen auf diesem Gebiet erweitert und können somit Vorurteile abgebaut werden. Auch Bentele bestätigte dies in einem abschließenden Statement: „Inklusion fängt im Kopf an. Die Lösung sind nicht Standards oder Regeln, sondern Visionen. Sport kann dabei in herausragender Weise über die Möglichkeiten und Ressourcen von Menschen mit Behinderung aufklären.“
Nach anregender Diskussion hatte das Publikum die Gelegenheit dazu, Fragen an die Experten zu stellen, bevor die Gesellschaft der Freunde und Förderer der Deutschen Sporthochschule Köln zum lockeren Austausch im Foyer einlud. Hierbei konnten Podiumsgäste und Zuschauer bei Getränken und Snacks diskutieren und den Abend gemütlich ausklingen lassen.