Den Praxistransfer im Blick
Janika Bolz wollte schon als Kind im Bereich Rehabilitation und Therapie arbeiten. Heute forscht und promoviert die 29-Jährige zu einem Thema, das querschnittgelähmten Menschen mehr Teilhabe und Autonomie im Alltag sichern soll. Das ist, so sagt sie, „das große Ziel, das ich verfolge.“ Die Rede ist von ParaGym, ein interaktiver Fitness Coach für Menschen im Rollstuhl in Form einer App.
Vom Para-Sport begeistert ist Janika Bolz schon lange, spätestens seit ihrem Einsatz als Volunteer bei der Europameisterschaft Sitzvolleyball 2015 in Warendorf. Es folgten die Para-Leichtathletik-EM 2019 und weitere Sport-Events, die sie begleiten durfte – als Volunteer oder Mitglied des lokalen Organisationskomitees für den Deutschen Behindertensportverband. „Das ist immer eine ganz besondere Atmosphäre“, schwärmt die Sportwissenschaftlerin von ihren Einsätzen. „Weil alle das Herz am richtigen Fleck haben und mit Begeisterung dabei sind!“
2020 war sie auf der Suche nach einem Thema für ihre Masterarbeit, als ihr Professor Hans-Georg Predel das Projekt mit dem sperrigen Namen FIT-IN3 vorstellte. FIT-IN3 oder auch ParaGym ist der Name eines BMBF-geförderten Verbundprojekts. Entwickelt wird ein inklusiver, intelligenter Fitnesscoach, der querschnittgelähmten Menschen ein auf die individuellen Bedürfnisse angepasstes, eigenständiges Training ermöglichen soll. ParaGym besteht aus spezifisch konzipierten und täglich wechselnden Trainingseinheiten in einer Fitness-App für Smartphones und einem auf die Bedürfnisse der Zielgruppe angepassten Sensor-Shirt, das die Vital- und Bewegungsdaten der Trainierenden über Sensoren misst. Zur Indiviualisierung der Übungen anhand von subjektivem Feedback wird ein Trainingsalgorithmus verwendet.
Inzwischen hat Janika Bolz nicht nur ihre Masterarbeit in diesem Bereich geschrieben, sondern forscht und promoviert als Projektmitarbeiterin zum Thema. „Besser hätte es für mich nicht laufen können“, sagt sie. „Der Projektantrag war gerade genehmigt worden, das Projekt sollte zwei bis drei Monate später starten, und die Projektstelle war neu zu besetzen. So konnte ich am 1. September 2020 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin starten.“ Aktuell sind sie und ihr Kollege Adrian Löscher dabei, das Feedback aus der letzten Testrunde umzusetzen und die Übungen entsprechend anzupassen bzw. neue Übungsvideos zu drehen. Dabei ist dem Spoho-Team wichtig, dass die Übungen im Sinne eines Ganzkörpertrainings möglichst viele Aspekte umfassen (Ausgleichstraining, Mobilitätstraining, High Intensity Training etc.), aber auch die heterogene Gruppe der Rollstuhlfahrer*innen mit einbeziehen (bezogen auf Grad der Querschnittlähmung, Sporterfahrung, Alter etc.).
Wenn man Janika Bolz im Therapieraum bei der Zusammenarbeit mit den Proband*innen sieht, spürt man direkt, ihre Motivation und die Freude an ihrer Arbeit: „Für mich steht der Mensch im Zentrum. Ich möchte helfen Barrieren abzubauen, einen niederschwelligen Zugang zu körperlichem Training, zu Sport und damit zur Gesunderhaltung und zur Eigenständigkeit schaffen. Teilhabe und Autonomie im Alltag, das ist mein großes Ziel.“
Und daran richtet die junge Wissenschaftlerin ihre Forschungsarbeit aus. Eine große Hilfe ist dabei die Diskussion mit Kolleginnen und Kollegen aus Wissenschaft und Praxis, die sie u.a. im Arbeitskreis Sporttherapie der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegiologie (DMGP) findet, dem Fachverband aller in der Behandlung und Rehabilitation Querschnittgelähmter beteiligten Berufsgruppen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. „Ich versuche, so viele Veranstaltungen wie möglich zu besuchen. Denn gerade die kritischen Fragen der Kollegen und Kolle-ginnen machen meine Arbeit besser“, sagt sie. „Mein Hauptinteresse ist, dass es in der Praxis funktioniert.“
Mit diesem Fokus auf den Praxistransfer spürt sie auch nicht den Druck vieler junger Wissenschaftler*innen, möglichst viel publizieren zu müssen, um die wissenschaftliche Karriere voranzutreiben. „Ich finde es wichtig, dass wir unsere Arbeit sauber wissenschaftlich begleiten und unsere Er-kenntnisse auch dann mitteilen, wenn etwas nicht geklappt hat. Damit andere nicht die gleichen Fehler machen. Dennmgekehrt bin auch ich froh, wenn ich von den Erfahrungen anderer profitieren kann.“ Und das bedeutet für Janika Bolz, auch negative Ergebnisse zu publizieren. Denn „diese bringen genauso einen Erkenntnisgewinn wie Ergebnisse, die meine Hypothese stützen. Aus Fehlern kann man nur lernen, nicht nur in der Wissenschaft.“
An der Sporthochschule fühlt sich die 29-Jährige gut betreut, zum einen durch ihren Doktorvater Professor Predel, aber auch durch ihren Mentor Claudio Perret vom Schweizer Paraplegiker Zentrum. Gefunden hat sie den habilitierten Sportwissenschaftler durch das Mentoring Programm für Nachwuchswissenschaftlerinnen TEAMWORKscience. Bei ihrem Mentor findet sie die speziellen Kompetenzen und Erfahrungen im Themenfeld Querschnittlähmung und Parasport, die in ihrem Arbeitsumfeld in Köln nicht in dieser Ausprägung vorhanden sind. „Mit Professor Predel als Doktorvater und Claudio Perret als Zweit-Gutachter habe ich immer Unterstützung aus zwei Perspektiven. Claudio hilft mir nicht nur bei der Planung der Promotion oder meiner Publikationen, sondern ist mein erster Ansprechpartner bei fachlichen Fragen, die das Themenfeld Querschnittlähmung betreffen. In dieser Konstellation, also mit Doktorvater und Mentor, funktioniert das wunderbar, ich fühle mich sehr gut aufgehoben.“
Auf der Suche nach Fördermöglichkeiten war Janika Bolz auf das Mentoring Programm der Deutschen Sporthochschule aufmerksam geworden. Neben dem passgenauen Mentor und Weiterbildungsmöglichkeiten in Form von Workshops hat das Programm sie auch in Kontakt mit anderen Promotionsstudentinnen gebracht: „Der Austausch mit anderen jungen Wissenschaftlerinnen, die hier an der Spoho in der gleichen Situation sind wie ich, hilft mir unglaublich, genau wie die Beratung der Mitarbeiter*innen aus der Abteilung Forschung und wissenschaftlicher Nachwuchs.“ Aus ihrer Sicht sollten Studierende möglichst früh an das Thema „Gute wissenschaftliche Praxis“ herangeführt werden, spätestens zur ersten Abschlussarbeit. „Ich persönlich habe mich erst bei der Einschreibung zur Promotion intensiver mit dem Thema auseinandergesetzt. Sinnvoll wäre sicherlich, das Thema schon im Bachelorstudium zu verankern.“ Für Janika Bolz heißt es jetzt aber erst einmal, weiter am Übungskatalog der Para-Gym App zu arbeiten, damit möglichst bald vielen Rollstuhlfahrer*innen das passende Workout, angepasst an die eigenen Fähigkeiten, zur Verfügung steht.
Zur Person
Janika Bolz, 1993 in Bielefeld geboren, wurde das Interesse für Gesundheit und Therapie bereits durch ihre Mutter (Physiotherapeutin) in die Wiege gelegt. Nach dem Bachelorstudium an der Universität Paderborn und einem Praktikum in Tansania (Sportentwicklungshilfe im Volleyball) kam sie 2018 zum Masterstudium (M.A. Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement) an die Deutsche Sporthochschule Köln. Seit September 2020 ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin im Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin und seit Oktober 2021 für das Promotionsstudium eingeschrieben.
„Gute wissenschaftliche Praxis ist um wahren Erkenntnisgewinn bemühte Wissenschaft.“
Professorin Hedda Lausberg, als Prorektorin zuständig für Forschung, wissenschaftliches Personal und Nachwuchs, im Interview.
Kontakt
Janika Bolz ist seit 09/2023 nicht mehr an der Sporthochschule tätig.