Paris, ma chère

Friederike Frost und Kim Marie Vaske waren bei den Olympischen und Paralympischen Spielen in Paris dabei – die eine als Jurorin bei den olympischen Breaking-Wettbewerben, die andere als Para-Leichtathletin im Stade de France.

Paris, eine pompöse Eröffnungszeremonie, das Paralympische Dorf, Wettkämpfe, Anspannung, 80.000 Zuschauer*innen, Gänsehaut, Tränen und Freude. Spoho-Studentin Kim Marie Vaske hat im Sommer 2024 alles mitgenommen, was eine Teilnahme an den Paralympischen Spielen ausmacht. Richtig in Worte fassen kann sie das Erlebte immer noch nicht. „Ein Schlüsselmoment war, als ich vor meinem Kugelstoß-Finale in den Stadion-Katakomben stand. Das Stadion war mit 80.000 Menschen ausverkauft. Dann wird dein Name aufgerufen und du läufst ins Stadion, winkst und schaust auf die Ränge und es ist so unglaublich laut. Gänsehaut pur …“, erzählt sie aufgeregt. Kim studiert seit dem Wintersemester 2023/24 an der Spoho Lehramt Sport und Sozialwissenschaften für Gymnasien und Gesamtschulen. Ihr fehlt von Geburt an der rechte Unterarm. In der Kindheit beginnt sie mit Leichtathletik in ihrem Heimatverein, der LG Emsdetten. „Ich habe immer bei den ‚normalen‘ Leichtathletikevents mitgemacht. Bis ich 15 war wusste ich gar nicht, dass es Parasport gibt“, erinnert sie sich. Durch Zufall erfährt sie damals vom Stützpunkt in Leverkusen. In der Parasport-Abteilung des TSV Bayer 04 Leverkusen trainieren Weltklasse-Athleten wie Markus Rehm und Johannes Floors. Sie erhält damals eine Einladung, nimmt an ihrem ersten Para-Leichtathletikwettkampf teil und wird in die Leverkusener Trainingsgruppe aufgenommen. „Da bin ich dann zum ersten Mal gegen andere Einarmige gelaufen und habe gemerkt, dass ich gar nicht so schlecht bin. Mich hat der Ehrgeiz gepackt.“ Nach dem Abitur ist die Entscheidung schnell gefällt, dass es nach Leverkusen gehen soll und zum Studium an die Spoho.

Persönliche Bestzeit
Im Stade de France in Paris geht Kim in drei Disziplinen an den Start: 100 Meter, 200 Meter und Kugel: „Die hundert Meter waren meine erste Disziplin. Da war ich einfach unfassbar nervös und bin trotzdem eine solide Zeit gelaufen. Vom Kugelstoßen hatte ich mir im Vorfeld am meisten erhofft; da konnte ich leider meine Leistung nicht abrufen und war sehr enttäuscht. Diesen Frust konnte ich bei den zweihundert Metern auf die Bahn bringen und bin persönliche Bestzeit gelaufen.“ Unterm Strich ist sie mit ihrer Leistung bei den Paralympics zufrieden – ihr erst zweiter Wettkampf auf der internationalen Bühne. Erfahrungen zu sammeln und internationale Luft zu schnuppern, standen daher für die damals 19-Jährige im Vordergrund. Dass es mit einem Start in Paris klappt, war lange nicht klar. Die A-Normen, die es für eine sichere Teilnahme zu erfüllen galt, waren für Kim nicht erreichbar. Kim erfüllte die so genannte B-Norm und musste lange warten, um zu wissen, ob sie als Teilnehmerin oder als Zuschauerin nach Paris fährt. Den Touritrip zu den Paralympics hatte sie schon organisiert, hatte Tickets fürs Stadion gekauft, eine Unterkunft gebucht, wollte ihre Teamkolleg*innen anfeuern. An dem Tag, an dem sie auf dem Zuschauerrang hätte sitzen können, stand sie letztlich unten im Stadion auf der Bahn. „Das war schon verrückt. Meine ganze Familie war auf der Tribüne, meine Freunde, alle hatten T-Shirts an, auf denen mein Gesicht gedruckt war und haben mir zugejubelt.“ Eine Medaille war für Kim in Paris noch in weiter Ferne. Daher hat sie sich ihre eigene gebastelt. Ihren Akkreditierungsausweis hat sie mit unzähligen Pins versehen, die sie mit Sportler*innen anderer Nationen getauscht hat. „Das ist meine eigene kleine Medaille. Die schaue ich mir jeden Morgen an und freue mich dann schon auf Los Angeles 2028. Da möchte ich auf jeden Fall wieder dabei sein.“

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Urbanes Sportfestival

In Los Angeles 2028 wird Friederike Frost nicht dabei sein, zumindest nicht als Jurorin der olympischen Breaking-Wettbewerbe. Die Sportart, die in Paris zum ersten Mal zum olympischen Programm gehörte, wurde für die nächsten Spiele nicht übernommen. Friederike hofft auf Brisbane 2032 und dann eine erneute Nominierung als Judge. Die 40-Jährige promoviert an der Spoho am Institut für Tanz und Bewegungskultur zum Thema Breaking und war viele Jahre lang selbst erfolgreiche Tänzerin. In Paris wurde ihr eine große Ehre zuteil, denn sie durfte als Judge die besten 16 B-Girls und B-Boys in den finalen Battles bewerten. Ein ganz besonderes Erlebnis, nicht nur wegen der sportlichen Bedeutung für die Tänzer*innen, sondern auch wegen der Location und des Flairs. Die Breaking-Wettbewerbe fanden auf dem Place de la Concorde, mitten im Herzen von Paris statt, im so genannten Urban Park. Zusammen mit Skateboarding, 3x3-Basketball und BMX-Freestyle waren die Breaker dort in bester Gesellschaft der jungen, urbanen olympischen Sportarten. „Daneben die Seine mit dem Start der Triathlet*innen und abends der Blick auf das olympische Feuer im Himmel. Die Atmosphäre war noch viel cooler als ich es mir vorgestellt hatte“, schwärmt Friederike, „es herrschte ein echter Festivalvibe, überall Fans und Sportler*innen, Aktivitäten, Shows und Bewegung – ein urbanes Sport- und Kulturfestival mit einem fröhlichen und entspannten Miteinander.“

Mentale Vorbereitung

Selbst hat Friederike – genannt Frieda – 2001 mit Breaking angefangen, 2004 das erste Mal in einer Jury gesessen. Seitdem hat sie viel Erfahrung in der Breaking-Bewertung gesammelt. Im Mai 2024 war sie schon Mitglied des Judge-Panels bei der Olympic Qualifier Series in Shanghai, einem der zwei letzten olympischen Vorentscheide. Da hatte sich schon angedeutet, dass es mit einer Nominierung für Paris klappen könnte. Die endgültige Entscheidung erhielt sie sechs Wochen vor den Olympischen Spielen; da war die Freude natürlich groß. Die Jurylizenz, um bei den Ranking-Wettbewerben bewerten zu dürfen, hatte sie da schon lange in der Tasche. „Das ist eine unglaubliche Anerkennung, die einem da entgegengebracht wird“, sagt Frieda. Der mentale Druck sei aber ein anderer gewesen als bei allen Jury-Einsätzen vorher. „Ich habe mich mit einem Mentaltraining vorbereitet. Das hat mir geholfen, mich in der Jury total sicher und entspannt zu fühlen und mit der Stresssituation gut umzugehen.“ Denn schließlich ging es für die Sportler*innen um nichts Geringeres als den ersten Olympiatitel im Breaking überhaupt. „Wir bewerten nach qualitativen Maßstäben. Zwei Tänzer oder Tänzerinnen treten gegeneinander an. Wir bewerten, wer von den beiden besser war. Es gibt keine vorgegebenen Bewegungen, sondern es werden fünf Kriterien bewertet: Musikalität, Kreativität, Ausführung, Technik und Bewegungsrepertoire“, erklärt Frieda das Bewertungssystem. Paris 2024 war für die Jurorin auch insofern besonders, weil in den Battles Männer und Frauen in gleicher Zahl vertreten waren. Diese Gleichberechtigung sei in den Jury-Panels noch nicht angekommen: Bei Olympia waren unter den neun Jurymitgliedern zwei Frauen. „Die Szene ist nach wie vor sehr männerdominiert, obwohl es viele Frauen in der Szene gibt“, sagt Frieda. Sie engagiert sich daher dafür, dass mehr Frauen in den Judge-Panels sichtbar sind.

Zu den Personen

Friederike "Frieda" Frost

Friederike kommt gebürtig aus Berlin und kam zum Studium an die Spoho (Sport Management). Aktuell ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin am Cologne HipHop Institute der Universität zu Köln und promoviert am Institut für Tanz und Bewegungskultur der Sporthochschule über das Breaking. Zudem arbeitet sie als freiberufliche Dozentin, Choreografin, Jurorin und Kulturmanagerin. Mögliche Ranking-Events, bei denen sie für die Jury nominiert werden könnte, sind die World Games im August 2025 in Chengdu, China, oder die Olympischen Jugendspiele 2026 in Dakar, Senegal, und deren Qualifikationswettbewerbe.

Kim Marie Vaske

Beim Sprinten trägt Kim eine kurze Prothese am rechten Arm, die ca. 500 Gramm wiegt. Damit garantiert sie einen ökonomischen Laufstil und einen gleichmäßigen Armschwung. Im Startblock stützt sie sich mit der Prothese auf einer Starthilfe ab, einem Stahlrohr, das auf einem Brett befestigt ist. Für das Krafttraining nutzt sie eine andere Prothese, damit sie mit zwei gleich langen Armen zum Beispiel Bankdrücken machen kann. „Im Parasport musst du nicht nur dich selbst, sondern auch deine Prothese trainieren, um besser zu werden“, sagt Kim.