„Wegen Mädchensachen”

Mit dem Körper trainieren und nicht gegen ihn - das ist die Idee von zyklusorientiertem Training.

„Ich arbeite seit 25 Jahren im Tennis und ich habe nicht einmal darüber nachgedacht, muss ich peinlicherweise zugeben. Es wird Zeit, dass sich das ändert“, twittert BBC-Sportkommentator David Law. Was war passiert? Die chinesische Tennisspielerin Qinwen Zheng zieht bei den French Open in Paris 2022 überraschend ins Achtelfinale ein. Im Spiel gegen Iga Świątek muss sie eine medizinische Auszeit einlegen, dann verliert sie das Spiel. Im Anschluss spricht sie über ihr Ausscheiden und über Schmerzen… „wegen Mädchensachen“.  Damit stößt sie eine Diskussion darüber an, wie offen im Leistungssport über die Periode gesprochen wird. Mal wieder möchte man fast sagen. Zheng ist nicht die Erste, die damit Schlagzeilen macht. Die olympische Bronzemedaillengewinnerin über 100 Meter Rücken Fu Yuanhui, die marokkanische Judoka Assmaa Niang, die französische Gerätturnerin Youna Dufournet und Jessika Guehaseim, Hammerwerferin und Rugbyspielerin, bestätigen alle, dass die Menstruation weiterhin ein Thema ist, worüber kaum in der Öffentlichkeit gesprochen wird. Aber nicht nur die Sportbubble schweigt sich überwiegend aus – auch die Athletinnen selbst sprechen kaum mit ihrem Trainer*innenteam über ihren Zyklus. Laut einer Studie des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft in Leipzig sind es gerade mal 22 Prozent der Befragten.

Gleichzeitig wird in Medien und sozialen Netzwerken viel und fleißig über zyklusgerechtes Training philosophiert. In der Sportwissenschaft hingegen ist das Thema lange Zeit eher stiefmütterlich behandelt worden. Warum ist das so? Und was ist überhaupt dran am zyklusgerechten Training?

Beim zyklusbasierten Training soll das eigene Training an die Hormonschwankungen des Zyklus angepasst werden. Besonders die beiden Sexualhormone Östrogen und Progesteron spielen dabei, sagen wir mal, eine Rolle. Welche? Das weiß man so genau eigentlich nicht. Die Hormone sind aber Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Auseinandersetzungen und Debatten. Die Idee: Eine Phase mit einem hohen Östrogenspiegel wie die Follikelphase soll sich für intensives Training und Kraftsport eignen, die Lutealphase mit hohem Progesteronspiegel sei hingegen für Techniktraining, Stabilitätsübungen und moderate Cardioeinheiten geeignet. Während der Menstruation werden leichte Bewegung, Yoga oder Spaziergänge empfohlen. Und zum Zeitpunkt der Ovulation, wo das Östrogen auf dem Höhepunkt und das Progesteron auf dem Vormarsch ist, gilt Frau als besonders leistungsfähig, aber auch anfällig für Verletzungen.

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Was sagt die Wissenschaft?

Die Forschung zum Thema ist indifferent und eine Quantifizierung ist schwierig. „Die Vorstellung, zu einer bestimmten Phase des Zyklus besonders zu trainieren, weil es Erfolg und den größten Effekt verspricht, das ist genau das, was uns die wissenschaftlichen Daten momentan überhaupt nicht zeigen“, sagt Prof. Patrick Diel vom Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin, Abteilung molekulare und zelluläre Sportmedizin. Alle würden denken, dass es das gäbe, aber eigentlich könne man dazu aktuell keine gesicherten Aussagen machen, sagt er weiter.
Und dennoch praktizieren einzelne Leistungssportlerinnen zyklusbasiertes Training. Die 800m-Läuferin Majtie Kolberg, die an der Spoho studiert, sagt, dass sie ihr Training individuell an ihren Zyklus anpasse. In die erste Zyklushälfte integriert sie hochintensive Einheiten, in der zweiten Zyklushälfte setzt sie verstärkt auf Regeneration und Erholung.
Prof. Patrick Diel sieht in so einer Trainingsgestaltung durchaus einen Nutzen. Auch wenn der Einfluss auf die Leistungsfähigkeit oder Trainierbarkeit nicht eindeutig belegt werden könne, sei es wichtig, dass Athletinnen und Trainer*innen den Zyklus im Training ernst nehmen – das neue Buzzword lautet also zyklusbewusstes Training. Bedeutet: Befindlichkeiten berücksichtigen, Trainingseinheiten anpassen, variieren, Intensität rausnehmen, wenn nötig.

Warum ist die Forschung nicht viel weiter?

„Ohne Geld kann man nicht forschen“, sagt Prof. Patrick Diel auf die Frage, warum der Zyklus und dessen Einfluss auf Leistungs-, Trainierfähigkeit und Verletzungsrisiko so schlecht erforscht sei. Forschungsgelder zu akquirieren, sei schwer, früher noch mehr als heute. Hinzu kommt, dass Forschung zu diesem Thema extrem komplex, aufwendig und zeitintensiv sei. Allein die exakte Zyklusphase einer Frau durch eine Blutprobe zu bestimmen, sei nicht besonders praktikabel. Auch die Auswahl von Studienteilnehmerinnen sei ein Thema. „Am liebsten sind uns junge Sportstudentinnen zwischen 20 und 30 Jahren. Die sind willig, die sind gesund und motiviert. Aber das ist natürlich nicht das reale Leben, da ist ein riesiger Bias drin“, erklärt Prof. Diel. Eine Studie im Zyklus durchzuführen, ist auch deshalb aufwendig, weil Frauenzyklen nicht synchronisiert sind. Die Zyklusphase jeder einzelnen Frau muss bekannt sein und in einen Trainingsplan eingebettet werden. Ein riesiger organisatorischer Aufwand. Auch die Verhütungsform spielt eine Rolle. Vor 20 Jahren verhütete die Mehrheit der Frauen mit der Pille, was wiederum Einfluss auf die Verfügbarkeit von Probandinnen hatte. Heute würden viele junge Frauen nicht mehr hormonell verhüten wollen. Der Komplex aus Probandinnenauswahl, Zyklus(tracking) und Durchführung auf Grundlage der individuellen Ausgangslage sind auch der Grund für eine nicht valide Datenlage. Die Studien kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, „es müssen immer Einschränkungen gemacht werden, es muss immer Individualität berücksichtigt werden“. Und: „Es gibt nur wenige richtig gut gemachte Studien in dem Bereich, was auch daran liegt, dass das Thema gesellschaftlich als nicht so relevant angesehen wurde“, schlussfolgert Patrick Diel.

 

RED-S – Das unbekannte Krankheitsbild?

Dass Forschung im Bereich Zyklus wichtig ist, zeigt das Krankheitsbild „Female Athlete Triad“. Es ist komplex und geht oftmals mit exzessivem Training in Kombination mit zu wenig Energiezufuhr einher. Daraus resultieren mitunter Osteoporose, also der Verlust von Knochenmasse, und auch Störungen des weiblichen Zyklus. In der Forschung wird die „Female Athlete Triad“ heute als eine Ausprägung des RED-S eingeordnet. RED-S steht für Relatives Energiedefizit-Syndrom und kann durch eine schnelle Steigerung des Trainings ohne entsprechende Ernährungsanpassung passieren, aber auch durch Gewichtsabnahme, die mit exzessivem Training und kalorienarmer Ernährung einhergeht.
Die wissenschaftlichen Daten zum Thema zyklusorientiertes Training sind bisher also vor allem eins: nicht quantifizierbar. Dass der Zyklus trotzdem mehr und mehr in den Fokus rückt, ist positiv. Nicht nur weil Frauen durch individuelle Anpassungen davon profitieren können, sondern auch, weil es Akzeptanz und Relevanz in der Gesellschaft und im Sport fördert. Und vielleicht perspektivisch auch mehr Forschungsgelder.  

 

Gut zu wissen ...

Einfluss von Östrogen und Progesteron auf den Körper
  • Östrogen: Haare, Gehirn (Libido, Stimmung), Blut (Durchblutung und Cholesterin), Brustdrüse (Wachstum), Sexualfunktion (Ausbildung Geschlechtsorgane, Regulation Menstruationszyklus), Haut (Regeneration, Elastizität), Knochen (Wachstum, Stabilität)
  • Progesteron: Körpertemperatur, ZNS/Gehirn (Schlaf, neuroprotektive Wirkung, sedierende Wirkung), Immunsystem (entzündungshemmend, Schwangerschaft), Brustdrüse, Uterus, Knochen, Zervix
Zyklustracking

Jeden Monat wird im Kalender markiert, wann die Regelblutung beginnt – so können Zykluslänge und Regelmäßigkeit gut kontrolliert werden. Eine morgendliche Messung der Basaltemperatur ist begleitend sinnvoll. Außerdem sollte im Kalender notiert werden, wie die jeweilige Stimmung ist (z.B. Konzentration, Schlafqualität), ob und welche Beschwerden vorliegen (z. B. Brustspannen, Muskelschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden) und wie das Gefühl beim Training war.

Zyklusphasen
  • Follikelphase: Als Follikelphase (Eireifungsphase) bezeichnen Mediziner*innen die erste Hälfte des Zyklus der Frau. Sie dauert durchschnittlich 14 Tage, kann aber auch kürzer oder länger sein. Die Follikelphase beginnt am ersten Tag des Menstruationszyklus – und damit am ersten Tag der Regelblutung – und endet mit dem Eisprung.
  • Lutealphase: In der Lutealphase wird der Follikel, der zuvor beim Eisprung die Eizelle freigelassen hat, in einen sogenannten Gelbkörper umgewandelt. Dieser produziert das Hormon Progesteron, das wiederum den Umbau der Gebärmutterschleimhaut anstößt. Dieser Umbau ist notwendig, damit sich eine befruchtete Eizelle in der Gebärmutterschleimhaut einnisten kann. Zusätzlich bilden sich Gefäße, die die Durchblutung der Gebärmutter verstärkt anregen.