Der Pferdemensch der Spoho
Matthias Bojer hat vermutlich mehr Stunden auf dem Rücken eines Pferdes verbracht, als jeder andere auf dem Campus der Deutschen Sporthochschule Köln: Über 30.000 hat er ausgerechnet. Der gebürtige Norddeutsche ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Reitsportdozent am Institut für Outdoor Sport und Umweltforschung. Neben Forschung und Lehre züchtet er auf seinem Hof in der Eifel Springpferde und bildet sie aus – bis sie beispielsweise mit Topreitern wie Ludger Beerbaum international an den Start gehen. Als Springreiter ist Bojer selbst erfolgreich und als Trainer gefragt. Und er sagt: „Wenn Leute auf einem Pferd sitzen, dann erkenne ich in kurzer Zeit, ob das gut geht, wer Erfahrung hat und wer nicht.“
Matthias Bojer fängt schon als Kind mit dem Reiten an. Seitdem sind Pferde aus seinem Leben – sowohl beruflich als auch privat – nicht mehr wegzudenken. Als Jugendlicher begeistert er sich zwar auch für Fußball und schafft es bis in die Niedersachsenauswahl, aber die Folgen eines Skiunfalls bremsen die Karriere mit dem Ball aus. Stattdessen konzentriert er sich auf das „Einreiten“ von Pferden und beginnt, damit Geld zu verdienen: „Das habe ich zwei Jahre lang fast hauptberuflich gemacht, manchmal bin ich am Tag zehn bis 15 Pferde geritten.“ Den Weg an die Deutsche Sporthochschule Köln und in die Wissenschaft findet Bojer nach seinem Abitur im Emsland eher über Umwege: „An der Sporthochschule war ein Kumpel von mir, da habe ich spaßeshalber mal am Eignungstest teilgenommen. Die Atmosphäre hat mich total begeistert.“ So entschied sich Bojer, Sport und Geografie in Köln zu studieren, und finanzierte sein Studium unter anderem, indem er Reitunterricht gab und Pferde ausbildete. Den Bezug zu seiner Heimat verlor er nie aus den Augen. „Ich habe immer ein oder zwei Pferde von Züchtern in Norddeutschland gekauft, habe die in Köln ausgebildet und dann verkauft“.
Leistungsdiagnostik und Trainingssteuerung
Nach dem erfolgreichen Studienabschluss 1995 bleibt Matthias Bojer an der Sporthochschule, zunächst als Hilfskraft, später als Dozent für Reitsport. Mit seinen wissenschaftlichen Aktivitäten im Pferdesport macht er fortan auf sich aufmerksam. Für seine Herangehensweise, Pferde als Athleten zu betrachten und sie in der Trainingssteuerung auch als solche zu behandeln und auszubilden, wird er im Spitzensport zunächst belächelt: „Als ich vor 20 Jahren mit dem Thema anfing und Spitzenreitern etwas von Leistungsdiagnostik erzählt habe, wurde das eher weggewischt. Heute ist das ganz anders.“ Matthias Bojer beginnt, leistungsdiagnostische Verfahren für Menschen auf Pferde zu übertragen – wie den Feldstufentest, ein Verfahren zur Bestimmung der Ausdauerleistungsfähigkeit in natürlicher Umgebung. Er führt diese Tests selbst durch, erfasst Werte wie Herzfrequenz und Laktatkonzentration der Pferde und speist diese in eine umfangreiche Datenbank ein. „Wir haben standardisierte Tests, die uns vom reinen Bauchgefühl wegbringen. Das heißt, es geht nicht nur darum, was der Reiter fühlt, wenn er auf dem Pferd sitzt. Die Zahlen lügen nicht und helfen uns dabei, Trainingstipps zu geben“, erklärt Bojer. So rät der Sportwissenschaftler etwa dazu, Pferde vielseitig zu trainieren; sie zum Beispiel in verschiedenen Gangarten und auf verschiedenen Böden zu bewegen, und ihnen Ausgleichssport zu bieten. Das hält die Tiere langfristig gesund. Mehrfach die Woche steht Matthias Bojer früh morgens ab 7 Uhr in der Reithalle des Kölner Reit- und Fahrvereins. Hier hat die Sporthochschule für ihre Praxiskurse Zeiten geblockt. Von Bojers Reit-kursteilnehmer*innen haben einige noch nie auf einem Pferd gesessen. Die anderen kennen das Reiten aus der Kindheit oder aus Urlauben. Den Studierenden versucht Matthias Bojer neben den Reittechniken vor allem die Bindung zwischen Pferd und Mensch nahezubringen. Wenn er von seinem Beruf erzählt, gerät er ins Schwärmen: „Ich habe einen wirklich tollen Job. Ich konnte meine Leidenschaft zum Beruf machen und musste dafür nicht auf einem Pferd sitzen und eine Profikarriere anstreben“, denn die wäre aufgrund der vielen Reisen für den dreifachen Familienvater wenig attraktiv gewesen.
Pferdezüchter mit eigener Ranch
Auch in seiner „Freizeit“ befasst sich Bojer nahezu rund um Uhr mit Pferden: Seit 13 Jahren besitzt er mit seiner Familie einen eigenen Hof in der Eifel, auf dem er Fohlen züchtet und sie dann mit seiner Frau ausbildet. Doch was bedeutet es genau, Pferde auszubilden? Bojer beschreibt: „Die Ausbildung beginnt, wenn ein Pferd zirka drei Jahre alt ist. Dann fängt man an, es an den Sattel zu gewöhnen, einzureiten und eine vertrauensvolle Bindung zur*m Reiter*in aufzubauen. Dann arbeitet man an Balance, Rhythmus, Kraft, Beweglichkeit und daran, Hindernisse kennenzulernen und zu überwinden. Dressurtraining ist nichts anderes als eine Funktionsgymnastik beim Menschen.“ Das Ganze ist ein sehr zeitaufwändiger Prozess, „ein sehr, sehr langer Weg mit viel Auf und Ab, bei dem viel Vertrauen notwendig ist und eine großartige Bindung und Partnerschaft zwischen Ausbilder*in und Pferd entsteht“, schwärmt der Pferdeflüsterer. Hierfür scheint der 55-Jährige ein echtes Händchen zu haben. Nur ein Beispiel: „Ich hatte eine ganz tolle Stute, mit der ich acht oder neun Pferde gezüchtet habe. Dabei hatte ich das große Glück, dass diese Stute unwahrscheinlich talentierte Nachkommen geboren hat. Die haben wir ausgebildet und davon sind einige sehr erfolgreich.“ So startet momentan der von ihm gezüchtete und ausgebildete „Christians Carado“ mit Ludger Beerbaum auf internationalen Turnieren.
Glas Wein auf einem Naturtölter
„Alles Glück dieser Erde liegt auf dem Rücken der Pferde“ – so lautet ein bekanntes und vor allem unter Pferdeliebhabern geläufiges Sprichwort. Bei Matthias Bojer trifft das zweifelsfrei zu. Eigenen Berechnungen zufolge hat er schon über 30.000 Stunden auf Pferderücken verbracht. Und etliche werden noch folgen, denn er hat längst noch nicht alle Ausritte und Erlebnisse auf seiner „Bucket List“ abgehakt. Eine Reise nach Island und ein Ausritt mit Islandpferden fehlt ihm beispielsweise noch. Das sei für jeden Pferdesportler ein absolutes Muss, denn Islandpferde bewegen sich in einer ganz eigenen Gangart fort, dem sog. Tölt, bequem und erschütterungsfrei: „Wenn man auf einem Naturtölter wie dem Islandpferd sitzt, hat man eine sehr schnelle Fortbewegung, bei der man in Ruhe ein Glas Wein trinken kann, ohne etwas zu verschütten.“ Na dann – wie man unter Pferdekennern sagt – „Hals- und Beinbruch“.
Text: David Budinger, Julia Neuburg
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