Mit Ping Pong gegen Parkinson

Kann Tischtennis  die Symptome einer unheilbaren Krankheit lindern? An der Spoho trainieren Parkinson-Patient*innen und helfen Wissenschaftler*innen dabei, eine der häufigsten neurodegenerativen Erkrankungen zu erforschen.

Eigentlich beginnt das Tischtennistraining für die Gruppe erst um 17 Uhr. Doch bereits eine halbe Stunde früher sind vier Tische aufgebaut und die ersten Spieler*innen schlagen ihre Bälle. „Es hat sich so eingebürgert, dass viele Teilnehmer*innen schon vor der Zeit in der Halle sind und loslegen wollen. Viele können es gar nicht erwarten, an die Platte zu kommen“, sagt Jens Rattai schmunzelnd. Die Rede ist von einer Gruppe Parkinsonmenschen, die in Halle 10 der Sporthochschule Tischtennis spielt: PingPongParkinson. Dahinter steckt ein Verein, der gerade mal drei Jahre alt ist, in dieser kurzen Zeit aber schon viel geleistet hat. PingPongParkinson Deutschland e.V. ist ein bundesweiter Zusammenschluss von kooperierenden Vereinen und Einzelpersonen, der sich ehrenamtlich um Personen mit Parkinson und deren Angehörige kümmert – und zwar durch Tischtennis. In Kooperation mit der Tischtennisabteilung des 1. FC Köln gibt es einen Stützpunkt an der Spoho, den Jens Rattai leitet. Beim Blick in die Halle sieht erstmal alles „nur“ nach Tischtennis aus. Doch bei genauerem Hinsehen fällt auf, dass sich die Spieler*innen etwas steif oder langsamer am Tisch bewegen, nicht so spritzig auf den Beinen sind und sich eher gebückt halten. Das mag daran liegen, dass die Spieler*innen allesamt älteren Semesters sind, die meisten zwischen 55 und 75 Jahren. Aber die eingeschränkte Beweglichkeit hat noch einen anderen Grund: Hier spielen Parkinson-Patient*innen.  

Diagnose mit 45
Morbus Parkinson ist eine Erkrankung des zentralen Nervensystems. Typische Symptome sind Bewegungsstörungen wie Bewegungsverlangsamung, steife Muskeln, Zittern oder eine instabile Körperhaltung. Diese Symptome treten auf, weil bestimmte Gehirnzellen absterben und ein Mangel an Dopamin entsteht, ein Nervenbotenstoff, der an der Bewegungssteuerung beteiligt ist. Im Durchschnitt wissen die Teilnehmer*innen dieser Sportgruppe seit etwa zehn Jahren über ihre Erkrankung Bescheid. Bei Jens Rattai ist es elf Jahre her, dass ihm sein Arzt die Diagnose Parkinson stellte – da war er 45 Jahre alt. „Das war ein Hammer“, erinnert er sich zurück. Mit einer Lähmung des rechten Armes fing es an. Es fiel ihm auf, weil der Arm beim Gehen nicht mehr wie üblich mitschwang. Aus orthopädischer Sicht konnten zunächst keine Schäden festgestellt werden, dann kam vom Neurologen die schlechte Nachricht. Vor zirka drei Jahren entdeckte Rattai PingPongParkinson für sich und engagiert sich seitdem für den Verein.

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PingPongParkinson wurde 2017 in den USA gegründet; 2019 fand in New York die erste Tischtennis-Weltmeisterschaft für Parkinson-Erkrankte statt. Der Deutsche Thorsten Boomhuis kehrte nicht nur mit dem Titel, sondern auch mit dem Konzept zurück und gründete Anfang 2020 gemeinsam mit Harry Wißler den PingPongParkinson Deutschland e.V. Mittlerweile hat der Verein mehr als 1.100 Mitglieder an 170 Stützpunkten – einer davon an der Spoho. Dr. Timo Klein-Soetebier, Leiter des Lehr- und Forschungsgebiets Tischtennis im Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik der Spoho, kam erstmals 2021 mit dem Konzept in Kontakt. Die Organisatoren der PingPongParkinson-WM in Berlin fragten ihn als wissenschaftlichen Experten an. „Wir haben damals das Turnierdesign besprochen und gemeinsam mit Medizinern und Neurologen eine Einteilung in drei Kategorien erarbeitet: leichte, mittlere und schwere Einschränkungen“, erklärt Klein-Soetebier. Die Anfrage war Anlass für ihn, sich in das Thema Parkinson reinzufuchsen. Auch vor Ort war er damals als Experte aktiv und erlebte, mit wie viel Freude und Einsatz die Parkinson-Erkrankten an der Platte zu Werke gehen. „Bei den Patient*innen im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung, also denen in der dritten Kategorie, kam es nicht selten vor, dass sie einfach umgefal-len sind. Bei den ersten Malen habe ich mich noch erschrocken, dann aber schnell gemerkt, dass das für alle Be-teiligten irgendwie normal war. Es stand zu jeder Zeit der Sport im Fokus, nicht die Krankheit,“ berichtet Klein-Soetebier. Der Tischtennisexperte führte mit den teilnehmenden Parkinson-Erkrankten auch Befragungen durch. Die Ergebnisse ließen ihn staunen. „Viele Befragte gaben an, dass sie durch das Tischtennisspielen weniger Symptome ihrer Parkinson-Erkrankung haben und ihre Medikamente runterdosieren können. Wir konnten beobachten, dass das konzentrierte, feinmotorische Agieren am Tisch den Patient*innen hilft, dass während der Ballwechsel das Zittern weniger wird und die Motorik insgesamt flüssiger wirkt“, nennt Klein-Soetebier Details. Vielen falle es beim PingPongParkinson leicht, in der Gruppe Anschluss zu finden. Und als sehr positiv hoben die Befragten auch hervor, dass ihnen das Training eine Struktur für den Tag vorgibt, die ihnen guttut.
So ist es auch bei Jens Rattai. „Ob Weltmeister oder Bademeister“, witzelt er und lässt seinen Blick über die anderen Spieler*innen schweifen, „bei uns können grundsätzlich alle mitspielen.“ Die Gruppe hat sogar einen Trainer: Milan gibt Übungen vor und strukturiert die Trainingsstunde. Doch für Jens Rattai ist es das Wichtigste, der sozialen Isolation der Betroffenen entgegenzuwirken, das Miteinander und den sozialen Austausch zu fördern. Ein weiterer Vorteil: Tischtennis kennt jeder, und fast jeder hat es schon mal gespielt, auch wenn das vielleicht Jahrzehnte zurückliegt. Zudem: Man kann es nicht alleine spielen. Also kommt man unter Leute. PingPongParkinson wird außerdem nachgesagt, dass es die Gedächtnisleistung verbessert, den Gleichgewichtssinn schult und das Konzentrationsvermögen steigert. Von Parkinsonbetroffenen hört man häufig, dass ihnen der Sport Lebensfreude und Lebensqualität zurückgegeben hat.

Studien nötig
Befragungen und Fallstudien gibt es vereinzelt, aber wissenschaftliche Studien dazu, dass Tischtennis wirksam bei Parkinson ist, sind bislang Mangelware. Das soll sich an der Sporthoch-schule ändern. Auch, um offiziellen Finanzierungsmöglichkeiten den Weg zu bereiten, denn bislang finanziert sich PingPongParkinson ausschließlich über Spenden. Timo Klein-Soetebier hat sich auf diesen Weg gemacht; er plant eine komplexe wissenschaftliche Untersuchung. Gemeinsam mit Kolleg*innen hat er einen Antrag verfasst, um Fördermittel für eine Studie einzuwerben. Der Antrag lag bereits einigen Förderinstitutionen vor, aber ein Zuschlag steht bislang noch aus. „Wir würden gerne 80 bis 100 Parkinsonmenschen in die Studie einschließen und mit ihnen verschiedene kognitive und motorische Tests durchführen. Parallel möchten wir Parameter wie Herzfrequenz, Schlaf und Medikamentengabe erheben“, skizziert Klein-Soetebier das Studiendesign.

Wissenschaftliche Kooperationen mit anderen Forschungsgruppen gibt es bereits. So haben zum Beispiel die Spoho-Wissenschaftlerinnen Prof.'in Klara Brixius und PD'in Dr. Marijke Grau (beide Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin) im Master Rehabilitation, Prävention und Gesundheitsmanagement Studierendenprojekte umgesetzt, aus denen nun erste Ergebnisse vorliegen. Zwölf Studierende besuchten die PingPongParkinson-Spieler*innen um Jens Rattai in ihrer reitäglichen Trainingseinheit und erhoben Blutdruck- und Herzfrequenzdaten der Teilnehmer*innen – und zwar zum einen beim normalen Tischtennisspielen, zum anderen beim virtuellen Spiel mit einer VR-Brille. „Wir haben nur sehr geringe Probandenzahlen, daher sind die Studien natürlich nicht repräsentativ. Aber wir haben durch unsere Beobachtungen sehr gute Anhaltspunkte und Ideen für weitere Studien erhalten“, ordnet Prof.‘in Klara Brixius die Projektarbeiten ein. Ein Augenmerk der Untersuchungen lag auf der Gefäßsteifigkeit. Eine zu hohe Gefäßsteifigkeit beeinflusst die Herz-Kreislauf-Funktion negativ; sind die großen Arterien hingegen elastisch, wird der Blutfluss gleichmäßig. Eine Studierendengruppe konnte in ihren Daten zeigen, dass die Schwankungen bei der Gefäßsteifigkeit nach dem Tischtennistraining abnehmen, dass also die Gefäße nach der Einheit elastischer sind. Die Gruppe, die die Parameter beim virtuellen Tischtennisspiel erhob, stellte fest, dass auch das VR-Tischtennis unter standardisierten Bedingungen ähnliche physiologische Reaktionen hervorruft wie bei den Spieler*innen an der echten Platte. „Die Ergebnisse der Studierenden sind auch insofern interessant, als dass sie zeigen, dass wir die richtigen Instrumente und Messverfahren angewendet haben, die nicht-invasiv und mit wenig Aufwand kontinuierlich gemessen haben“, sagt Brixius. Mit dem virtuellen Tischtennisspiel seien weitere Studien unter standardisierten, aber dennoch realistischen Bedingungen möglich. Zudem könnten weitere Studien die  Ergebnisse mit anderen Sportarten vergleichen oder zusätzliche Parameter erheben, wie das Schlafverhalten und die Medikamentendosis.

Mittlerweile ist Jens Rattai in ein Doppel vertieft. Hier wird um jeden Ball gekämpft und laut mitgezählt. Trainer Milan ruft nochmal alle zusammen und erklärt die nächste Übung. Dann ist erstmal eine kurze Verschnaufpause angesagt; jemand hat Kuchen mitgebracht, und die Sportler*innen haben sich Sitzplätze auf einer Bank gesucht und stärken sich. Denn gleich geht es wieder an die Platte. Natürlich sind sie hier, um Spaß zu haben, aber ein paar Pünktchen sollen es dann schon auch sein.

Text: Julia Neuburg

Gut zu wissen

Parkinson

Mehr als 300.000 Deutsche haben Morbus Parkinson. Das durchschnittliche Alter zu Beginn der Erkrankung liegt zwischen 50 und 60 Jahren. Bei der Parkinson-Krankheit handelt es sich um eine langsam fortschreitende Erkrankung des Gehirns, bei der eine kleine Gruppe von Zellen im Gehirn (in der Substantia nigra) beschädigt wird und abstirbt. Diese Zellen sind für die Produktion von Dopamin zuständig, einem Botenstoff, der notwendig ist, um Körperbewegungen zu steuern. Zu wenig Dopamin hat u.a. Zittern, Sprachstörungen und Muskelsteifheit in Armen und Beinen zur Folge. Die Ursachen für das Absterben der Zellen sind bisher nicht bekannt, eine Heilung ist nicht möglich. Die Behandlung zielt daher darauf ab, Symptome zu verringern und Beschwerden zu lindern. Eine Kombination aus Medikamenten (Dopamin), Bewegung und einer gesunden Ernährung scheint dazu geeignet zu sein.

PingPongParkinson e.V.

Nenad Bach gründete 2017 Ping-PongParkinson USA. 2019 fand in New York die erste Tischtennis-Weltmeisterschaft für Parkinson-Erkrankte statt. Anfang 2020 gründeten Thorsten Boomhuis und Harry Wißler den PingPongParkinson Deutschland e.V. Motto des Vereins: Parkinson ist nicht ansteckend – PingPongParkinson schon! Die PingPongParkinson World Championship 2023 fanden vor Kurzem (25.-30. September) in Wels/Österreich statt. www.pingpongparkinson.de

Parkinson-Gruppen an der Spoho

Das Angebot für Patient*innen mit neurodegenerativen Erkrankungen hat eine lange Tradition an der Sporthochschule. So gibt es neben der PingPongParkinson-Gruppe schon seit vielen Jahren Gruppen, in denen Parkinsonpatient*innen ambulanten Rehasport machen können – in der Halle und im Wasser. Der Sport dient hier als bewegungstherapeutische Maßnahme. Teilnehmen können Patient*innen, die von ihren Ärzten eine Verordnung erhalten haben; über einen zertifizierten Träger kann der ambulante Rehasport mit der Krankenkasse abgerechnet werden. Im Gegenzug nehmen die Patient*innen hin und wieder an Lehrübungen oder kleineren Forschungsvorhaben teil. Ansprechperson für den ambulanten Rehasport ist Dr. Anke Raabe-Oetker: