Schulsport

(Kein) Bock auf (Schul) Sport

Die einen lieben ihn, die anderen hassen ihn: den Sportunterricht. Klar ist nur: Alle haben ihre eigenen Erfahrungen gemacht. Die einen betonen die Potenziale des Schulsports, zum Beispiel Kinder für Bewegung zu begeistern. Die anderen sehen eher seine desolate Situation aufgrund von Lehrkräftemangel, Unterrichtsausfall oder maroden Sportstätten. Chancen und Herausforderungen liegen nah beieinander – inwiefern, darum geht es in unserer Titelstory.

Bock auf Sport zu machen, das ist eines von vielen Zielen im Schulsport. Dabei umfasst der Schulsport weit mehr als den reinen Sportunterricht. Es zählen außerunterrichtliche Angebote wie Sportförderunterricht, Sportfahrten oder Sport-AGs dazu, die den Sportunterricht pädagogisch ergänzen oder vertiefen. Pausensport, Schulsportgemeinschaften, Schulfeste oder -wettkämpfe sind ebenso Bestandteile des Schulsports. Dabei ist es wichtig, zu betonen, welchen Grundgedanken der Schulsport verfolgt. „Die Leitidee ist: Erziehung zum und durch Sport. Wir sprechen hierbei von einem Doppelauftrag; innerhalb dieses Auftrags ist es auch eine Aufgabe, Kinder an Bewegung heranzuführen“, erklärt Univ.-Prof.‘in Dr. Sabine Reuker, Leiterin des Instituts für Sportdidaktik und Schulsport der Sporthochschule. Ihr Institut arbeitet unter anderem eng mit dem Zentrum für Sportlehrer*innenbildung (ZfSb) zusammen, welches die zentrale Anlaufstelle für alle Sportlehramtsstudierenden an der Universität darstellt. Darüber hinaus beschäftigen sich an der Spoho Dozierende und Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Einrichtungen in Lehre und Forschung mit Bewegung, Spiel und Sport in der Schule. Mit unserer Titelstory möchten wir einen Überblick über die Potenziale und Probleme des Schulsports geben und aufzeigen, wie die Sporthochschule mit ihren Forschungs- und Transferaktivitäten dazu beiträgt, den Schulsport weiterzuentwickeln.

Potenziale des Schulsports
Sich im Unterricht zu bewegen oder sportlich zu betätigen, ist deswegen besonders, weil das Ganze in einem speziellen Setting passiert: im Rahmen von Schule. Sport in der Schule findet unter speziellen Bedingungen statt und unterscheidet sich deshalb vom außerschulischen Sport: Er folgt dem Bildungs- und Erziehungsauftrag und besitzt einen verpflichtenden Charakter. Das bedeutet: Schulsport erreicht grundsätzlich alle. Demgegenüber sind der Sport im Verein und das Sporttreiben mit Freunden in der Freizeit freiwillig. Allein diese Aspekte machen den Schulsport einzigartig und genau darin liegt seine große Chance, betont Dr. Petra Guardiera, Geschäftsführerin des ZfSb der Sporthochschule: „Im Schulsport geht es nicht vorrangig um Leistung, Training und Selbstoptimierung. Unterricht initiiert Lernprozesse in der ganzheitlichen Auseinandersetzung mit Bewegung, Spiel und Sport.“ Motorische Fähigkeiten und sportliche Techniken sind nicht das Einzige, das der Schulsport vermitteln soll. Bewegung, Spiel und Sport in der Schule zielen unter anderem auch darauf, zur sozialen Erziehung beizutragen, das heißt Teamarbeit, Fairness, Respekt und Konfliktlösungsfähigkeit zu fördern. Er soll die Persönlichkeitsentwicklung unterstützen und Wissen zu Gesundheit, Lebensstil und Bewegung weitergeben. Er soll kulturelle Vielfalt abbilden und zugänglich machen, Kreativität und die kognitive Entwicklung fördern. Zudem sollen die individuellen Voraussetzungen der Schüler*innen im Fokus stehen und Methoden und Konzepte diese Vielfalt berücksichtigen, um junge Menschen ganzheitlich zu fördern. 

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Professionalisierung von Sportlehrkräften

Diese Potenziale kann der Schulsport nur dann entfalten, wenn Lehrkräfte entsprechend ausgebildet werden. Das passiert unter anderem an der Deutschen Sporthochschule Köln, die in NRW die größte Bildungsstätte für angehende Sportlehrer*innen ist: Knapp ein Drittel aller Spoho-Studierenden ist in einem Lehramtsstudiengang eingeschrieben. „Die Sportlehrer*innenbildung an der Hochschule trägt dazu bei, angehende Sportlehrkräfte auf die unterrichtsbezogenen Aufgaben vorzubereiten; dabei nimmt sie die aktuellen Herausforderungen, die es im Schulsport gibt, in den Blick“, sagt Petra Guardiera. So haben es Sportlehrkräfte an allgemeinbildenden Schulen beispielsweise mit heterogenen Lerngruppen zu tun. Die Schüler*innen bringen nicht nur unterschiedliche sportliche Hintergründe mit. Auch Lernstile und Leistungsniveaus, Sprachkenntnisse und kulturelle Erfahrungen sind divers. „Mit Blick auf die Diversität der Lernenden bereiten wir unsere Studierenden unter anderem darauf vor, mithilfe von Differenzierung und Individualisierung den Sportunterricht so zu gestalten, dass er die individuellen Interessen und Fähigkeiten der Schüler*innen berücksichtigt“, sagt Sabine Reuker, die vor ihrer wissenschaftlichen Karriere im Schuldienst tätig war. An ihrem Insti-tut erforschen Wissenschaftler*innen daher auch die Anforderungen an und die erforderlichen Kompetenzen für die schulische Lehrtätigkeit. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf dem Professionellen Blick (siehe auch S. 14 im PDF), einem Konzept, das spezifische Fähigkeiten wie Entscheidungsfindung und selektive Aufmerksamkeit umschreibt. So müssen Lehrkräfte angesichts eines oftmals recht dichten Geschehens im Sportunterricht beispielsweise in der Lage sein, flexibel und situativ angemessen zu handeln und Entscheidungen unter Zeitdruck zu treffen.

Daneben berücksichtigt die Professionalisierung von Sportlehrkräften ebenso die Vermittlung und Erforschung digitaler Kompetenzen. Das ist wichtig, weil zum Beispiel die Kultusministerkonferenz (KMK) in ihrer Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ festgeschrieben hat, digitale Kompetenzen in den Lehrplänen aller Schulformen und Fächer zu verankern. Angehende Lehrkräfte müssen also so qualifiziert werden, dass sie digitale Medien kompetent in ihrem Unterricht einsetzen und die digitalen Kompetenzen der Schüler*innen fördern können. Um herauszufinden, wie das im Sportunterricht gelingen kann, beteiligt sich die Deutsche Sporthochschule Köln an verschiedenen Forschungsprojekten. „Sportunterricht findet in besonderen Unterrichtsorten wie Sporthallen, Sportplätzen und Schwimmbädern statt und erfordert eine besondere Fachdidaktik. Daraus ergibt sich zwangsläufig der Bedarf an sehr spezifischen digitalen Kompetenzen von angehenden Sportlehrer*innen“, erklärt Dr. Julia Mierau (Institut für Bewegungs- und Neurowissenschaft) die Idee der Projekte ComeSport, ComeIn und Schulsport2030 (siehe auch S. 16 im PDF). In den Projekten geht es unter anderem darum, wie digitale Medien und Technologien eingesetzt werden können, um Sportunterricht zu planen und durchzuführen. Für die Spoho-Wissenschaftler*innen ist dabei „wichtig, dass die digitalen Tools und Maßnahmen bei Lehrkräften und Schüler*innen auch Anklang finden und motiviert genutzt werden“, ergänzt Univ.-Prof. Dr. Jens Kleinert (Psychologisches Institut) als einer der Projektleiter.

Vielfältige Herausforderungen

Die größte Herausforderung im Schulsport ist aktuell der Personalmangel in den Schulen. Laut Schulministerium fehlen in NRW an öffentlichen Schulen 6.000 Stellen – davon in Grundschulen fast 2.500 Stellen. „Das führt dazu, dass der Sportunterricht von fachfremden Lehrkräften übernommen werden muss oder dass Lehramtsstudierende, die ihre wissenschaftliche Ausbildung noch nicht abgeschlossen haben, bereits in der Schule arbeiten“, ordnet Guardiera die Situation ein. Der Deutsche Sportlehrerverband (DSLV) spricht daher von einer „schleichenden Deprofessionalisierung im Fach Sport“. Guardiera sagt: „Aktuell gibt es leider zwingende Gründe für fachfremd erteilten Sportunterricht. Wünschenswert wäre aber, dass nur vollumfänglich ausgebildete Sportlehrkräfte Sport unterrichten.“ Daher hat das Schulministerium NRW Ende 2022 ein „Konzept zur Verbesserung der Unterrichtsversorgung“ auf den Weg gebracht. Im Zuge dessen wurde zum Beispiel die Bezahlung von Grundschullehrer*innen in vielen Bundesländern angehoben (in die Besoldungsgruppe A 13). Außerdem soll die Qualifizierung von Ein-Fach-Lehrkräften geprüft und die Aufnahme von Seiten- und Quereinsteiger*innen überarbeitet werden. Schulsport wird mitunter auch dadurch erschwert, dass die Infrastruktur und Ausstattung vieler Schulen in die Jahre gekommen sind. Turnhallen, Schwimmbäder und Sportplätze sind häufig in einem schlechten Zustand, veraltet oder gar nicht vorhanden. Allein in Köln weisen – laut Stadtverwaltung 2023 – 82 Prozent der rund 280 Sporthallen deutliche oder schwerwiegende Mängel auf. Eine weitere Herausforderung im aktuellen Schulsport in Deutschland: Laut dem 4. Deutschen Kinder- und Jugendsportbericht (bereits 2020 erschienen) fällt die motorische Leistungsfähigkeit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland geringer aus als in früheren Jahren. Und gerade die Corona-Pandemie habe die Situation verschärft und dazu geführt, dass sich der Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen verschlechtert habe, hält Prof.‘in Dr. Christine Joisten fest, die die Abteilung Bewegungs- und Gesundheitsförderung der Sporthochschule leitet. Die Pandemie habe sich besonders auf die mentale Gesundheit von Kindern und Jugendlichen negativ ausgewirkt, das belegt die COPSY-Studie (2022): niedrigere Lebensqualität, mehr psychische Probleme und höhere Angstwerte als vor der Pandemie. „Neben Stress und Leistungsdruck sind also auch weitere psychische Belastungen der Kinder eine große Herausforderung, mit der Sportlehrer*innen umgehen müssen“, sagt Joisten. Auch beim Schutz vor sexualisierter Gewalt steht das Fach Sport besonders im Fokus. Hier gilt es, fundierte Zahlen zu erheben, Lehrkräfte und Schüler*innen zu sensibilisieren und Schutzkonzepte zu entwickeln. Gleichzeitig stellen sich (angehende) Sportlehrkräfte die Frage, wie sie sich selbst vor falschem Verdacht schützen können. Dr. Jeannine Ohlert, Sportpsychologin und Mitarbeiterin im ZfSb, schult dazu (Sport-)Lehramtsstudierende, Referendar*innen und Lehrkräfte im Schuldienst. Sie fordert: „Wie Sportvereine und -verbände müssen auch Schulen ihrer Verpflichtung nachkommen, ein Schutzkonzept auszuarbeiten, das dabei hilft, sexualisierte Gewalt gegenüber Schüler*innen vorzubeugen. Dabei darf der Schulsport als spezieller Kontext auf gar keinen Fall vergessen werden.“ Das Thema war in diesem Jahr auch im Rahmen des Kölner Tags des Schulsports im September präsent: Die Sporthochschule bot praxisgeleitete Workshops und wissenschaftlichen Input zu aktuellen Themen des Schulsports an. Ziel dieser Transfertagung ist es, Akteur*innen aus der Schulpraxis, der Lehrer*innenbildung und der Schulsportforschung miteinander ins Gespräch zu bringen und sie voneinander lernen zu lassen.

Schulsport weiterentwickeln

Die hier skizzierten Herausforderungen zeigen, dass sich der Sportunterricht fortlaufend weiterentwickelt und immer weiterentwickeln muss. Seine zahlreichen Potenziale können nur dann ausgeschöpft werden, wenn auch entsprechende Ressourcen wie Infrastruktur, Personal oder eine hochwertige Lehrkräftebildung zur Verfügung stehen. Für die Sportlehrkräftebildung hat Dr. Petra Guardiera eine klare Vision: „Wir müssen die Schüler*innen mit ihren individuellen Voraussetzungen und Bedürfnissen in den Vordergrund rücken und unsere Studierenden so ausbilden, dass es ihnen gelingt, einen Sportunterricht zu gestalten, der echte Partizipationsmöglichkeiten für alle Lernenden bereithält.“ Wichtig sei, dass gemeinsames, aber auch individuelles Lernen stattfinden könne. Das gelinge nicht mit einem Sportunterricht, der alle im Gleichschritt bewegt. Dabei seien gut ausgebildete und motivierte Sportlehrkräfte der Schlüssel zum Erfolg, betont Guardiera. Fort- und Weiterbildungsangebote für Sportlehrkräfte im Beruf sollten kontinuierlich erweitert werden. Und auch Kooperationen und Netzwerke können den Sportunterricht voranbringen. Hier setzt beispielsweise das Spoho-Projekt Schulsportlandschaft an, das den Transfer sportwissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis und die Vernetzung der Lehrkräfte untereinander professionalisieren möchte (siehe auch S. 14 im PDF). „Die Herausforderungen sind vielfältig und gehen auch mit steigenden Erwartungen und Anforderungen an Lehrkräfte einher“, konstatiert Sabine Reuker und konkretisiert: „Lehrkräfte werden zukünftig stärker miteinander kooperieren müssen, um gemeinsam die vielfältigen Potenziale des Schulsports noch besser nutzen zu können und sich langfristig darüber auch zu entlasten.“

Ja, die Anforderungen an Lehrkräfte wachsen, aber das Sportlehramtsstudium nimmt sich dieser an, um angehende Sportlehrkräfte durch Förderung einer vielseitigen Handlungsfähigkeit bestmöglich darauf vorzubereiten.

Titelstory: Julia Neuburg, Theresa Templin

Zahlen & Fakten zum Titelbeitrag

  • Bis zum Schuljahr 2031/2032 werden an öffentlichen und privaten Schulen in NRW rund 79.000 Lehrkräfte neu einzustellen sein
  • Schuljahr 2023/2024:
  • 5.397 Schulen in NRW
  • davon 2.796 Grundschulen
  • knapp 2,5 Mio. Schüler*innen
  • 216.955 Lehrkräfte
  • 33.426 Lehrkräfte mit Fach Sport
  • 6.500 frischgebackene Lehrer*innen traten 2023 ihren Schuldienst an
  • 286.755 erteilte Unterrichtsstunden Sport/Bewegungserziehung