Daniel Memmert & Fabian Wunderlich
Vorhersage von Spielen und Turniersiegern
Univ.-Prof. Dr. Daniel Memmert ist geschäftsführender Institutsleiter und Professor am Institut für Trainingswissenschaft und Sportinformatik an der Deutschen Sporthochschule Köln. Fabian Wunderlich hat jahrelang im Sportwetten-Bereich gearbeitet und promoviert am Institut zum Thema Big Data und Vorhersagemodelle im Sport. Gemeinsam schreiben sie für die FAZ, wie bei den vergangenen Turnieren, eine spieltagsaktuelle Kolumne, wer die einzelnen Spiele und am Ende die EM gewinnt. Doch wie kann man ein Fußballspiel überhaupt vorhersagen? Was sind Indizien für den Erfolg? Damit beschäftigen sich die beiden Experten im Themenpaket-Interview.
Woran kann man schon vorm Spiel festmachen wer wahrscheinlich gewinnt?
Memmert: Genau mit dieser Frage beschäftigen sich nicht nur Fans, sondern auch Forscher seit langer Zeit. Sie können zum Beispiel auf die Expertise eines einzelnen Experten vertrauen, auf die gemeinsame Schätzung einer großen Gruppe von Menschen oder auf offizielle Ranglisten. Alternativ können Sie natürlich auch gleich ein eigenes mathematisches Vorhersagemodell entwickeln.
Von welcher Methode würden Sie abraten?
Wunderlich: Immer abraten würden wir davon, einen einzelnen Experten nach seiner persönlichen Meinung zu fragen, egal wie viel Ahnung er von Fußball hat oder zu haben glaubt.
Wie sieht es mit vergangenen Erfolgen aus? Ein gutes Maß für zukünftigen Erfolg?
Memmert: Kein schlechtes jedenfalls, denn viele Länder sind über einen langen Zeitraum erfolgreich. Wir könnten die Prognose also einfach anhand des Ergebnisses der letzten EM aufstellen. Portugal und Frankreich, aber auch Deutschland würden dann zu den Favoriten gehören. Diese Methode hat aber auch Schwächen, denn es erscheint kaum plausibel, dass Wales ebenfalls zu den Favoriten gehört, nur weil es 2016 im Halbfinale war. Noch schwerer wird es für Island das Viertelfinale erneut zu erreichen … ohne überhaupt dabei zu sein. Umgekehrt ist die Niederlande ein starkes Team, obwohl sie 2016 nicht einmal dabei waren.
2016 ist lange her. Was ist mit offiziellen Ranglisten oder mathematischen Formeln, die neuere Ergebnisse miteinbeziehen?
Wunderlich: Das wäre eine noch bessere Methode. Das ELO-Rating, das eigentlich aus dem Schach stammt, ist hier ein hervorragendes Modell. So gut, dass die FIFA es seit 2018 als Basis für die neue Berechnung der Weltrangliste nutzt. Dieses Rating sollte also eine gute Möglichkeit sein, die Stärken der Teams objektiv einzuschätzen. Das wäre allerdings kein gutes Omen für die deutsche Mannschaft, denn nimmt man die nicht-europäischen Teams aus der Wertung, so liegt Deutschland nur auf Platz 8. Ganz vorne, und demnach Top-Favoriten, wären Belgien und Frankreich.
Ist das die beste Methode oder gibt es Methoden, die noch mehr Informationen als vergangene Ergebnisse abdecken?
Wunderlich: Ja, die gibt es. Denn Länderspiele sind im Vergleich zu Spielen auf Vereinsebene eher selten. Diese wären also eine gute Möglichkeit, um die Qualität der Spieler aus verschiedenen Nationalmannschaften zu beurteilen. Zudem hat sich gezeigt, dass die gemeinsame Einschätzung einer großen Gruppe von Beteiligten in der Regel zu sehr guten Prognosen führt. Eine solche Quelle sind zum Beispiel die Marktwerte der Website transfermarkt.de. Hier läge zum Beispiel England ganz weit vorne, Deutschland immerhin auf dem vierten Platz.
Gibt es auch bei dieser Methode noch Faktoren, die nicht berücksichtigt sind?
Wunderlich: Definitiv. Die Marktwerte berücksichtigen natürlich nicht die Auslosung des Turniers, also ob eine Mannschaft eine leichte oder schwere Gruppe hat. Auch der Heimvorteil ist nicht berücksichtigt. Im Übrigen hat sich in den Geisterspielen der großen europäischen Ligen gezeigt, dass es diesen auch ohne Zuschauer weiterhin gibt, wenn auch leicht verringert. Eine Quelle, die auch diese beiden Informationen miteinbezieht, sind die Wettquoten von Buchmachern, aus denen sich daher sehr gute Prognosen ableiten lassen. Diese sehen Frankreich und England als Topfavoriten, räumen aber auch Deutschland eine realistische Chance ein.
Selbst der größte Favorit Frankreich bekommt von den Buchmachern nur eine circa 15-prozentige Chance, Europameister zu werden. Wenn der Wettmarkt angeblich so viel weiß, warum ist er sich dann immer noch so unsicher, wer gewinnt?
Memmert: Eindeutig zwei Dinge: Erstens, die Ausgeglichenheit. Es gibt in Europa schlicht und ergreifend eine große Anzahl an Ländern mit großem Interesse für Fußball, guter Jugendarbeit und hochklassigen Ligen. Zweitens, der Zufall. Die Ergebnisse von Fußballspielen sind ganz stark von zufälligen Einflüssen abhängig, so konnten wir zum Beispiel in einer aktuellen Studie herausfinden, dass in der Premier League fast jedes zweite Tor durch einen zufälligen Einfluss wie abgefälschte Bälle, Abpraller oder unabsichtliche Torvorbereitung durch die Abwehr begünstigt wurde. Dieser hohe Zufallseinfluss macht die Prognose der Ergebnisse unglaublich schwer, macht den Sport aber auch gleichzeitig so spannend und anfällig für große Überraschungen, wie zum Beispiel die EM-Titel von Dänemark 1992 oder Griechenland 2004.
Vielen Dank für das Gespräch.
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