Antwort auf den Kommentar

„Zur Bildung eines wissenschaftlichen Habitus“

André Poweleit, Jeannine Ohlert 

Vielen Dank für den Kommentar zu unserem Beitrag „Wissenschaftliches Denken und Arbeiten im Sport-Lehramtsstudium: Zufriedenheit und gewünschte Zusatzangebote“ (Poweleit & Ohlert, 2023), der unsere Überlegungen aufgreift und kritisch weiterdenkt.
Insgesamt teilen wir die Ausführungen zur „Bildung eines wissenschaftlichen Habitus“ und möchten mit dieser Antwort verdeutlichen, dass wir ähnliche Sichtweisen haben und ebenfalls dafür plädieren, „die Bildung eines wissenschaftlichen Habitus als das organisierende Zentrum jedes (Lehramts-)Studiums zu kultivieren“ (vgl. Schürmann, 2023, S. 40). Das bescheidene Ziel unserer Studie war es dabei nicht, diesen „Habitus“ zu eruieren, sondern lediglich zu erheben, ob und inwieweit die befragten Sport-Lehramtsstudierenden mit den curricularen Angeboten zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten während des Studiums zufrieden sind. Wir versuchten aber dennoch deutlich zu machen, dass eine wissenschaftlich-reflexive Haltung in der universitären Lehre grundsätzlich – also in jeglichem akademischen Studiengang und in allen Lehrveranstaltungen inklusive denen zum wissenschaftlichen Denken und Arbeiten – gefördert werden sollte.

Darüber hinaus scheinen uns drei Aspekte wichtig:

 

SICH BILDEN

Auch wenn sich die Studienanlage und -ergebnisse im Beitrag verstärkt auf Methoden und Techniken wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens beziehen, sind wir nicht der Auffassung, dass sich ein wissenschaftlicher Habitus nur bzw. primär durch das bloße Lernen und Einüben von Techniken des wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens bildet (falls er sich denn bildet, vgl. Schürmann, 2023). So haben wir in unserem Beitrag bewusst das „Aus“ in „(Aus-)Bildung“ in Klammern gesetzt, da Bildung nicht mit Ausbildung gleichzusetzen ist (vgl. u. a. Dörpinghaus, 2009). Somit ist ein wissenschaftlicher Habitus – wie im Kommentar „Zur Bildung eines wissenschaftlichen Habitus“ ausführlich beschrieben – nicht einfach „herstellbar“ (vgl. Schürmann, 2023, S. 41). Vielmehr ist es ein Prozess, der von „Freiheit, Mündigkeit, Selbstbestimmtheit“ (ebd.) bestimmt ist: „Der Mensch wird eben nicht gebildet, sondern er bildet sich, und zwar ausschließlich in der reflexiven Auseinandersetzung mit sich, der Welt und in der Diskussion mit anderen Menschen und Kulturen“ (Dörpinghaus, 2009, S. 5; Hervorhebung im Original). Über Erziehungsmaßnahmen ist es (an jeglichen pädagogischen Einrichtungen) nur möglich, etwas pädagogisch bzw. kulturell Wertvolles oder in den Worten Platons „anzustrebende Tugenden“ (vgl. Schürmann, 2023, S. 41) zu zeigen, worüber dann mögliche Bildungsprozesse – reflexive Auseinandersetzung des Selbst- und Weltverhältnisses (Poweleit & Ohlert, 2023, S. 22, angelehnt an Koller, 2018) – angebahnt werden können (oder aber auch ausbleiben).

 

VERMITTLUNG VON WISSENSCHAFTLICHKEIT IST TEIL DES FACHLICHEN LERNENS

Zum Ende des Kommentars zu unserem Beitrag (Schürmann, 2023) wurde kritisiert, dass wir der Meinung sind, „die Vermittlung von Wissenschaftlichkeit [solle] im Lehramtsstudium nicht in das fachliche Lernen integriert werden“ (S. 41). Diese Interpretation scheint auf einem Missverständnis zu beruhen. So schließen wir gewiss nicht das fachliche Lernen aus, da wir auch der Ansicht sind, grundsätzlich im Studium (explizit und implizit) wissenschaftliches Denken und Arbeiten im fachlichen Lernen zu kultivieren (vgl. u. a. Poweleit & Ohlert, 2023, S. 22). Die Aussage in unserem Beitrag, die Überlegungen von Kleinert und Pels (2020) könnten nicht eins zu eins für das Lehramtsstudium übernommen werden, bezog sich allein auf eine strukturelle Ebene. Insofern müsse überlegt werden, wie dieser für sportwissenschaftliche Studiengänge herausgearbeitete Ansatz auf das Lehramtsstudium (u. a. curricular) übertragen werden kann (vgl. Poweleit & Ohlert, 2023, S. 21).

 

PERSPEKTIVITÄT VON WISSENSCHAFT

Hinsichtlich der vorherigen Ausführungen zur Bildung eines wissenschaftlichen Habitus stimmen wir dem Kommentar ebenfalls zu, dass „gutes Beherrschen von Techniken und Methoden noch keine reflexive Grundhaltung ausmachen“ (Schürmann, 2023, S. 40) und damit „wissenschaftliches Denken und Arbeiten mehr ist als […] eine (blinde, unreflektierte) Anhäufung von Wissen“ (Poweleit & Ohlert, 2023, S. 16). Vielmehr sollte es in Form einer realitätsprüfenden, forschungsorientierten Grundhaltung zu einem Selbstverständnis bzw. zu einer Selbstverständlichkeit werden, und darin sind wir uns einig, „die Welt durch verschiedene Perspektiven zu betrachten“ (Poweleit & Ohlert, 2023, S. 22; zit. b. Schürmann, 2023, S. 42). Diesbezüglich lässt sich aber ergänzen, dass gewisse wissenschaftliche Grundverständnisse und Techniken hilfreich und z. T. auch Voraussetzung sein können, um eben eine Auseinandersetzung mit verschiedenen wissenschaftlichen Perspektiven zu ermöglichen. Dies geht gewiss über eine reine „Dressur“ der Handhabung wissenschaftlicher Werkzeuge hinaus (Schürmann, 2023) und impliziert ein Bewusstsein für eigene und andere (normative) Orientierungen.
„Abschließend ist […] festzuhalten, dass in der universitären Lehre grundsätzlich bei der Auseinandersetzung mit (sport-)wissenschaftlichen Perspektiven immer auch deren Mehrdeutigkeiten und z. T. auch Gegensätzlichkeiten aufzugreifen sind“ (Poweleit & Ohlert, 2023, S. 22), um schließlich die „grundsätzliche Perspektivität von Wissenschaft […] ›zu leben‹“ (Schürmann, 2023, S. 41).
Wie der Kommentar auf den Beitrag sowie unsere Antwort verdeutlichen, wird die Wissenschaft gerade durch den interdisziplinären Diskurs (und daraus aufscheinende Mehrdeutigkeiten und Gegensätzlichkeiten) befördert. Daher nehmen wir die konkretisierenden Ausführungen "Zur Bildung eines wissenschaftlichen Habitus" dankend als Anregung für weitere Studien auf.

 

LITERATUR

Dörpinghaus, A. (2009). Bildung. Plädoyer wider die Verdummung. Forschung & Lehre, 16(9), 1-14. Abgerufen von www.paedagogik.uni-wuerz-burg.de/fileadmin/06030200/Team/Doerpinghaus_Bildung_Plaedoyer_wider_die_Verdummung_Text.pdf
 

Kleinert, J. & Pels, F. (2020). Nicht nur für’s Labor – Die Bedeutsamkeit und Vermittlung wissenschaftlichen Denkens und Arbeitens im Rahmen des Sportstudiums am Beispiel von ›Werkstatt Wissenschaft‹. Zeitschrift für Studium und Lehre in der Sportwissenschaft, 3(1), 30-36.
 

Koller, H.-C. (2018). Bildung anders denken. Einführung in die Theorie transformatorischer Bildungsprozesse. Kohlhammer.
 

Poweleit, A. & Ohlert, J. (2023). Wissenschaftliches Denken und Arbeiten im Sport-Lehramtsstudium: Zufriedenheit und gewünschte Zusatzangebote. Zeitschrift für Studium und Lehre in der Sportwissenschaft, 6(1), 15-23. doi.org/10.25847/zsls.2021.054
 

Schürmann, V. (2023). Zur Bildung eines wissenschaftlichen Habitus. Zeitschrift für Studium und Lehre in der Sportwissenschaft, 6(2), 40-42.