„[…] den Everest mit Flip-Flops erklimmen“
Bewältigungsstrategien von Referendar*innen bei der Vermittlung tänzerischer Inhalte im Sportunterricht
Miriam Jordis Kuhrs, Uta Czyrnick-Leber
Doi: 10.25847/zsls.2024.075
ZUSAMMENFASSUNG
Dem aktuellen Diskurs in der sportwissenschaftlichen Professionsforschung folgend, wird das Handeln von Sportlehrkräften weit mehr durch biografische Sozialisationsprozesse geleitet als durch einzelne Ausbildungsphasen. In der Folge hat sich ein männliches Sportverständnis an Schulen perpetuiert, das in der Regel mit einer Marginalisierung von Tanz einhergeht. Damit ergibt sich für viele Referendar*innen beim erstmaligen Unterrichten von Tanz eine doppelte Drucksituation: Zum einen besteht eine Belastung aufgrund der permanenten Bewertung während der Ausbildungsphase, zum anderen aufgrund der Verpflichtung zum Unterrichten eines Bewegungsfelds, das dem aus der Biografie entstandenen Habitus häufig entgegensteht. Der vorliegende Beitrag fokussiert die Fragestellung, welcher Bewältigungsstrategien sich Referendar*innen, die bislang keinen nennenswerten Bezug zum Tanz hatten, bei der Vermittlung eines Unterrichtsvorhabens im Bewegungsfeld Tanz bedienen. Hierfür wurden zehn leitfadengestützte Interviews mit vier Referendarinnen und sechs Referendaren durchgeführt, die sich am Ende der Ausbildungsphase befinden, bis zum Studium so gut wie keine Berührung mit Tanz hatten und ein Unterrichtsvorhaben im Bereich Tanz durchführen mussten. Es konnten fünf Bewältigungsstrategien identifiziert werden: 1. die Verknüpfung von Tanz mit Fitness, 2. die Solidarisierung mit den Schüler*innen, 3. der Verzicht auf Eigenrealisation, 4. die Intensivierung der eigenen Vorbereitung, 5. der Rückgriff auf die Expertise der Ausbildungslehrkraft. Die angewandten Bewältigungsstrategien sind auch immer vor dem Hintergrund des Bedürfnisses nach Absicherung zu deuten.
1. EINLEITUNG
Der Sportbereich „Gestalten, Tanzen, Darstellen“[1] gilt seit 1970 als fester Bestandteil der Lehrpläne aller Bundesländer für das Fach Sport, was nicht zuletzt auf seine besonderen Potenziale zurückzuführen ist. So werden ihm mit seinem Beitrag zur Entfaltung des gestalterischen und ästhetischen Handlungsrepertoires, der Erschließung neuer Zugänge zum eigenen Körper, der Erweiterung von Sozial- und Bewegungskompetenz, der Steigerung von Ausdrucks- und Kommunikationsfähigkeit und der Förderung von interkulturellem Verstehen vielfältigste Einflüsse auf die Persönlichkeitsentwicklung für Schüler*innen aller Jahrgangsstufen zugeschrieben (Klinge, 2007).
Trotz dieser Fülle an möglichen positiven Effekten und der Verbindlichkeit aufgrund der curricularen Verankerung wird der Bereich Tanz jedoch de facto wenig unterrichtet (u.a. Freytag, 2022; Gerlach et al., 2005; Hafner, 2020; Rode, 2020). Dies ist unter anderem auf Faktoren zurückzuführen, welche in enger Verbindung mit der unterrichtenden Lehrperson stehen. Ein Mangel an praktischer Erfahrung und vermittlungsmethodischem Wissen, explizite Kompetenzdefizite, Habitualisierungen durch geschlechterstereotype Vorstellungen im Sport, keiner ausreichenden Hilfestellungen von außen und aus all dem resultierende Überforderungen tragen dazu bei, dass einige Sportlehrkräfte die praktische Durchführung des Bewegungsfelds im Sportunterricht weitgehend vermeiden (Hafner, 2020).
Während fertig ausgebildete Lehrkräfte die Umsetzung einer Unterrichtsreihe im Bereich Tanz in ihrer Berufspraxis umgehen (können)[2] , stellt sich Referendar*innen bei Unterrichtsbesuchen im Fach Sport aufgrund der Prüfungsordnungen der Zentren für schulpraktische Lehrerausbildung (ZfsL) die verpflichtende Aufgabe, ihre Vermittlungskompetenzen in verschiedenen Bewegungsfeldern unter Beweis stellen zu müssen (§11 Abs. 3 OVP). Erfahrungsgemäß wird den Lehramtsanwärter*innen dabei die Umsetzung eines Unterrichtsvorhabens im Bewegungsfeld des Tanzens nahegelegt, was sie in der ohnehin „besonders vulnerable[n] Phase“ des Referendariats, „in der Sorgen und Anspannung höher als in anderen Phasen des Berufslebens sind“ (Raven et al., 2022, S. 116), vor besondere Herausforderungen stellen kann. So belastet hier zum einen die ständige Bewertungssituation durch Ausbildungslehrkräfte und Fachleiter*innen (Raven et al., 2022), zum anderen kommt es nahezu notwendigerweise zum „Zusammenbruch der Ideale und Erwartungen, welche während des Studiums entwickelt wurden“ (Dicke et al., 2016, S. 246). Letzteres führt nicht selten dazu, dass das erste eigenverantwortliche Unterrichten als „Praxisschock“ (Pille, 2013, S. 23), mithin als eine Art Identitätskrise erlebt wird (Raven et al., 2022, S. 116), welche schlimmstenfalls in einer „emotionalen Erschöpfung“ münden kann (Rothland & Walter, 2023, S. 112).
Schon ungeachtet eines spezifischen Sportbereichs gestaltet sich das Unterrichten in der Zeit des Referendariats also aufgrund dessen, dass die angehende Lehrperson in ihrem Auftreten und beruflichen Handeln noch nicht gefestigt ist, dass teilweise kein großer Altersabstand zur Lerngruppe besteht und dass hier unter den Vorzeichen permanenter Bewertung „eigenverantwortlich“ unterrichtet werden soll, im besonderen Maße herausfordernd. Nahezu folgerichtig entsteht daher beim Unterrichten von Tanz für viele angehende Lehrkräfte eine doppelte Drucksituation, insofern die ohnehin bestehende Belastung der Ausbildungsphase mit der Vermittlung eines „fremden“ Bewegungsfelds noch einmal gesteigert wird.
[1] Die Bezeichnung des Bewegungsfelds erfolgt an dieser Stelle in Anlehnung an die Formulierung der Kernlehrpläne des Landes Nordrhein-Westfalen, da sich die nachfolgende Studie auf angehende Lehrkräfte dieses Bundeslandes bezieht.
[2] Zum Vermeidungsverhalten von Sportlehrkräften aufgrund „heimlicher Lehrpläne“ siehe u.a. Freytag (2022) sowie Gieß-Stüber & Sobiech (2017). Darüber hinaus heben sich die Lehrpläne der Bundesländer Bayern und Baden-Württemberg im Bereich Tanz dadurch hervor, dass bestimmte Kompetenzerwartungen ausschließlich für Schülerinnen einen verbindlichen Status innehaben.
2. THEORETISCHER BEZUGSRAHMEN UND EINORDNUNG IN DEN FORSCHUNGSSTAND
Dem aktuellen Diskurs in der sportwissenschaftlichen Professionsforschung folgend, wird das Sportlehrkräftehandeln weit mehr durch biografische Sozialisationsprozesse bestimmt als durch einzelne Ausbildungsphasen (Pallesen & Kramer, 2023).[3] Tritt eine Sportlehrkraft in den Vorbereitungsdienst ein – so die Annahme –, hat sich ihr Denken und Handeln bereits durch ihr Geschlecht, ihre Sportsozialisation seit der Kindheit (auch im Verein), ihr abgeschlossenes Studium im Allgemeinen und ihr Sportstudium im Speziellen sowie durch die über die Jahre konstruierten beruflichen Erwartungen geformt (s. Abb. 1). Um die Einflussnahme biografischer Erfahrungen und die mit diesen einhergehenden impliziten Wissensbeständen auf das berufliche Handeln theoretisch fundieren zu können, wird wiederkehrend auf das Habitus-Konzept von Pierre Bourdieu (u.a. 1992) verwiesen. Dieses markiert den Habitus nicht nur als unreflektierte Hintergrundfolie für jegliche Art des Wahrnehmens, Denkens und Handelns von Akteur*innen, sondern charakterisiert ihn darüber hinaus – sofern einmal manifestiert – als äußerst träge und schwer irritierbar. Für Sportstudierende lässt sich in diesem Zusammenhang die empirisch belegte Erkenntnis in Anschlag bringen, dass sich deren professionsbezogenes Selbstverständnis stark am eigenen sportmotorischen Können orientiert (Ernst, 2018) und „recht resistent gegen universitäre Einflüsse“ bleibt (Czyrnick-Leber et al., 2022; vgl. auch Meister, 2019).
Dass der Habitus schon weit vor Studienbeginn geformt wird, zeigen Studien, die mit Sportstudierenden im Kontext ihrer (verpflichtenden) Tanzausbildung im Rahmen ihrer ersten Ausbildungsphase durchgeführt wurden (Czyrnick-Leber et al., 2022; Freytag, 2011; Hafner, 2019; Ørbæk & Engelsrud, 2021; Rustad, 2012). Diese Studien decken allesamt auf, dass die Studierenden größtenteils Bewegungserfahrungen im Bereich Sportspiele aufweisen und im Studium recht erfahrungslos auf den Bereich Tanz treffen. Geprägt durch ihren feldspezifischen Habitus, der sich in der Regel schon durch eine frühzeitige Sportvereinszugehörigkeit entwickelt hat, äußern sie bei der Umsetzung ästhetisch-künstlerischer Bewegungsanleitungen häufig das Gefühl der Scham (Freytag, 2011; Rode, 2020; Rustad, 2012) und zeigen im Rahmen von Pflichtveranstaltungen in diesem Bereich zum Teil widerständiges Verhalten (Czyrnick-Leber, 2019; Klinge & Schütte, 2013; Rode, 2020).
Diese nur bedingt reflektierten Handlungsweisen liegen darin begründet, dass geschlechtsbezogene und feldspezifische Habitualisierungen häufig miteinander korrelieren (Gehrmann et al., 2024), was in der Konsequenz zur Folge hat, dass sich nach wie vor eine hierarchische Ordnung zwischen sogenannten männlichen und weiblichen Sportarten ausmachen lässt, die zu Gunsten der männlichen Sportarten ausfällt (Gieß-Stüber & Sobiech, 2017). Mit Blick auf die ausgebildeten Lehrkräfte bestätigt eine Reihe von Interviewstudien das Vorhandensein besagter Hierarchie als geschlechterübergreifendes Phänomen (Ernst, 2018; Firley-Lorenz, 2004; Hafner, 2020; Volkmann, 2008). So sind es den Ergebnissen zufolge neben den männlichen Lehrkräften auch die Sportlehrerinnen, welche sich stark an einem männlichen Sportkonzept orientieren. Auch sie verzichten häufig auf „ästhetisch gestalterische Sportarten […], da sie von den Jungen als ‚Frauensportarten‘ wahrgenommen und abgelehnt werden“ (Gieß-Stüber & Sobich, 2017, S. 272), und gehen somit eine Art Komplizenschaft insbesondere mit den männlichen Schülern ein, die deren hegemoniale Stellungen stärkt und „das habitualisierte Leitbild des männlichen Sportlers“ fortwährend aktualisiert (Schiller, 2020, S. 78). Dies kann wiederum zu der von Sportlehrkräften häufig gewählten Strategie führen, den Bereich Tanz „unter sportlich dominierten Sinnmustern auszulegen, weil diese ihnen selbst näher sind und weil sie sich eine höhere Motivation auf Seiten der Schüler*innen versprechen“ (Rode, 2020, S. 81 FN). Dieser Weg vereinfacht darüber hinaus „[…] die Einnahme einer Rolle als (Mit-)Sportler“ (Ernst, 2018, S. 223) während des eigenen Unterrichtens.
Festzuhalten bleibt: Geschlechts- und sportspezifische Habitualisierungen beginnen in der frühen Kindheit, setzen sich im Sportverein und im Schulsport fort, tragen zur Aufnahme eines Sportstudiums bei[3], festigen sich dort, reproduzieren sich erneut in der Schule und formen berufliche Erwartungen. Dieser Kreislauf ist vor dem Hintergrund Bourdieuscher Überlegungen wenig überraschend, denn
„es [ist] schon rein statistisch den meisten Menschen bestimmt […], auf Umstände zu treffen, die im Einklang mit denjenigen Umständen stehen, die ihren Habitus ursprünglich geformt haben, also Erfahrungen zu machen, die dann wieder ihre Dispositionen verstärken“ (Bourdieu et al., 1996, S. 168).
Das Referendariat als eine bedeutende Stellschraube in der Lehramtsausbildung wurde als Forschungsgegenstand bislang vernachlässigt (Rothland & Walter, 2023), und das, obwohl es als „die prägendste und wichtigste Zeit für die Ausübung des Lehrerhandwerks“ gilt (Pille, 2013, S. 23). Gleichwohl kann auf Basis der theoretischen Reflexionen und des aktuellen Forschungsstands zu Studierenden und fertig ausgebildeten Lehrkräften für Referendar*innen angenommen werden, dass sie nach ihrem Sportstudium (erneut) in ein Schulklima kommen, in dem ein männlich konnotiertes Sportverständnis sowie eine sowohl implizite als auch explizite „geschlechtsbezogene asymmetrisch-dichotome Sichtweise auf Schülerinnen und Schüler“ existiert (Schiller, 2020, S. 93), wobei Tanz marginalisiert und schlimmstenfalls abgewertet wird (Czyrnick-Leber et al., 2024). Gekoppelt mit der Drucksituation, die bei angehenden Sportlehrkräften während der zweiten Ausbildungsphase zu einer hohen Belastung führen kann, bestehen demnach ungünstige Ausgangsbedingungen für das (erstmalige) Unterrichten von Tanz.
Zu fragen bleibt daher, wie Referendar*innen – und zwar insbesondere jene, die bislang keinen nennenswerten Zugang zum Tanz hatten – konkret mit dieser herausfordernden Situation umgehen bzw. wie sie die im hohen Maße belastende Situation bewältigen. Während Schäfer et al. (2019) für Referendar*innen schon zwischen den drei Bewältigungsmustern ausweichend, aktiv und unterstützend unterscheiden, liegt eine derartige Differenzierung bezogen auf das spezifische Feld der Tanzvermittlung noch nicht vor. Der vorliegende Beitrag möchte hier ansetzen und fokussiert folgende Fragestellung: Welcher Bewältigungsstrategien[5] bedienen sich Referendar*innen ohne sportbiografischen Tanzbezug bei der Vermittlung eines Unterrichtsvorhabens im Bewegungsfeld „Gestalten, Tanzen, Darstellen“?
[3] Zentral ist dabei die Annahme, dass sich der Prozess vom Sport-Treibenden zum Sport-Vermittelnden – ungeachtet der im Studium vermehrt implementierten biografischen Selbstreflexionsphasen (Czyrnick-Leber et al., 2022; Meister, 2018) – weitestgehend unbewusst vollzieht.
[4] Diese Tendenz setzt sich in den Sporteignungsprüfungen fort. So kann beispielsweise in Bayern statt der Tanzprüfung eine zweite Mannschaftssportart im Eignungstest absolviert werden.
[5] Bewältigungsstrategien werden hier in Anlehnung an Lazarus und Folkman (1984) verstanden als das kognitive und verhaltensmäßige Bemühen einer Person, belastende Situationen zu bewältigen.
3. METHODE
Datenerhebung
Die Datenbasis vorliegender Studie liefern zehn leitfadengestützte Interviews, die mit vier Referendarinnen und sechs Referendaren im Zeitraum vom 28.09.2023 bis zum 23.11.2023 geführt wurden. Die Interviewpartner*innen befanden sich im letzten Drittel der zweiten Ausbildungsphase oder hatten das Referendariat erst kürzlich (< 1 Jahr) abgeschlossen. Alle Interviewteilnehmenden hatten einen Sportlehramtsstudiengang in Nordrhein-Westfalen durchlaufen, in welchem Tanz einen verpflichtenden Anteil des Studiums darstellt. Während ihres Referendariats hatten sie mindestens eine Reihe zum Bewegungsfeld „Gestalten, Tanzen, Darstellen“ durchgeführt, die einen Unterrichtsbesuch beinhaltete. Insgesamt wurden die zehn angehenden Sportlehrkräfte aus vier verschiedenen Fachseminargruppen, die jeweils von unterschiedlichen Fachleiter*innen geleitet wurden, befragt. Die Zusammenstellung des Samples fand über das Zentrum für Schulpraktische Lehrerausbildung oder die Fachleiter*innen der jeweiligen Seminare direkt statt.
Acht Interviewpartner*innen absolvierten ihr Referendariat an einem Gymnasium, zwei an einer Gesamtschule. Sechs Interviewpartner*innen waren zum gegebenen Zeitpunkt in den Mannschaftssportarten Fußball und Handball aktiv, vier in den Individualsportarten Badminton, Kampfsport und Schwimmen. Das Durchschnittsalter der Interviewpartner*innen beträgt 29 Jahre. Der Leitfaden enthält entlang des Schaubildes (Klinge, 2002) Fragen nach der Herkunftskultur, insbesondere mit Blick auf die Vereinszugehörigkeit, die studentische Fachkultur, die beruflichen Erwartungen sowie zu Bewältigungsstrategien. Die Interviews haben eine durchschnittliche Länge von 51 Minuten.
Datenauswertung
Im Anschluss an Kruse (2014) wurden die Interviews in Form ihrer konkreten Versprachlichung transkribiert. Die Datenauswertung erfolgte qualitativ inhaltsanalytisch (Mayring, 2016). Wie im Interviewleitfaden angelegt, wurden in einem ersten Schritt die (sport) biografisch geprägten Habitualisierungsmuster der jeweiligen angehenden Sportlehrkraft sowie die ihr Handeln beeinflussenden fachkulturellen Einflüsse und ihre beruflichen Erwartungen ergründet. Aufgrund dessen, dass sich an dieser Stelle mehrfach Wechselwirkungen letzterer Aspekte aufgezeigt haben, werden diese innerhalb des Beitrags in einem gemeinsamen Abschnitt behandelt. Als Kern der Studie war die Kategorie Bewältigungsstrategien ebenfalls deduktiv angelegt, die sich zunächst nach Schäfer et al. (2019) als ausweichend, unterstützend oder aktiv klassifizieren ließen, im weiteren Verlauf des Auswertungsprozesses jedoch in Folge der in den Interviews genannten Strategien ausdifferenziert werden konnten, indem sie im Sinne ihrer Vergleichbarkeit sortiert und insgesamt fünf verschiedenen Strategien zugeordnet sowie in Abgrenzung voneinander entsprechend ihrer jeweiligen Ausprägung benannt wurden (Ruin & Zimlich, 2021).
4. ERGEBNISSE
Fachkulturelle Einflüsse und berufliche Erwartungen
Die bereits angeführten Ergebnisse bisheriger Studien bezüglich der auf den fachlichen Habitus wirkenden Einflussfaktoren werden durch die Interviewaussagen der befragten Referendar*innen allesamt bestätigt. Die Interviewpartner*innen nehmen eine Hierarchie unter den Sportstudierenden wahr, bei der die Mannschaftssportler*innen das größere Ansehen genießen, die wiederum tänzerischen Inhalten häufig mit Vorbehalten begegnen. Allerdings können diese oftmals überwunden werden. So äußert ein Interviewpartner – seine Erfahrungen in dem verpflichtenden universitären Tanzkurs rückblickend betrachtend –, dass er die zu Beginn bestehenden Vorbehalte nach einiger Zeit überwinden und sich auf die Inhalte des Tanzkurses einlassen konnte. Nicht zuletzt diese persönliche Öffnung scheint er als positive Erfahrung zu bilanzieren.
„Man musste sich am Anfang schon so ein bisschen überwinden. Vielleicht auch, weil man das Klischee so gewohnt ist, man bewegt sich jetzt so nicht. Oder ich kannte es halt nicht. Aber nach der Überwindung hat es Spaß gemacht“ (B.L., m).
Das sich an das Lehramtsstudium anschließende Referendariat mitsamt seinen Anforderungs- und Belastungsmomenten wird zum Zeitpunkt des Vorbereitungsdienstes als eine derartige Hürde wahrgenommen, dass sich die zuvor erwähnten beruflichen Erwartungen bei den Interviewteilnehmenden ausschließlich auf antizipierte Ansprüche des Referendariats, nicht aber auf die Zeit danach beziehen. Die Interviewpartner*innen beschreiben Erwartungen und damit einhergehende Belastungsmomente, die im Rahmen des Referendariats von vier verschiedenen Bezugsgruppen an sie herangetragen werden. So spielten neben den Vorgaben des ZfsL – stellvertretend repräsentiert durch die das Seminar führende Fachleitung – die Ansprüche von Ausbildungslehrer*innen und die (unausgesprochenen) Erwartungen der Institution Schule ebenso eine Rolle wie die Wünsche der Schüler*innen. Der höchste Erwartungsdruck wird von nahezu allen Befragten allerdings der Ausbildungsinstitution, dem ZfsL, zugeschrieben, wobei insbesondere die Erwartung der Fachleitung, in Unterrichtsbesuchen „etwas Innovatives [zu zeigen] und Sportunterricht neu [zu] denken“ (M.M., w), als äußerst herausfordernd erlebt zu werden scheint. Der ständige Noten- und Bewährungsdruck setze sich nach Aussagen der befragten Referendar*innen im Ausbildungsunterricht fort, in welchem sich angehende Sportlehrkräfte der speziellen, sich fortwährend wiederholenden Situation zu stellen hätten, „die ganze Zeit unter Beobachtung zu sein und auch zu wissen, dass das eben auch bewertet wird in irgendeiner Form“ (N.X., m). Gegenüber dem vom ZFsL ausgehenden Erwartungsdruck werden die Anforderungen seitens der Institution Schule von allen Befragten als vergleichsweise milde beschrieben, beschränkten sich vielmehr „einfach [auf] die Erwartung, mich dieser Schülerschaft zu stellen“ (M.J., w). Die Schülerschaft wiederum habe – so die Sicht der Referendar*innen – häufig konträre, den institutionellen Erwartungen zuwiderlaufende Ansprüche. Zu konstatieren bleibt, dass die angehenden Sportlehrkräfte zudem von einem tanzunfreundlichen Klima an den Ausbildungsschulen berichten. So hat ein befragter Referendar von seinem Oberstufenkurs „gehört […], dass wir ‚endlich mal tanzen´, weil es in der Sek I bei manchen nie gemacht wurde, was ja eigentlich laut Lehrplan auch nicht sein kann“ (B.L., m). Trotz der gleichberechtigten Stellung der Sportbereiche im Kerncurriculum sind die Oberstufenschüler*innen dieses Referendars in seinem Sportunterricht demnach zum ersten Mal mit dem Bereich Tanz in Kontakt gekommen, was die Annahme dessen bestätigt, dass Unterrichtsvorhaben im Tanz kaum durchgeführt oder gar ausgespart werden. In den Interviewzitaten wird zudem die Wahrnehmung einer abwertenden Haltung gegenüber Tanz an den Schulen deutlich, die die Interviewpartner*innen sowohl bei den männlichen als auch weiblichen Ausbildungslehrkräften ausmachen, welche zum Teil zu Referendar*innen, die im Bereich Tanz hospitieren wollten, „immer gesagt [haben]: ‚Das ist nicht spannend, brauchst du dir nicht anzugucken‘“ (C.E., w).
Bewältigungsstrategien
Die Auswertung der Interviewstudie legt offen, dass die Lehramtsanwärter*innen spezifisch im Bereich Tanz dem Bewegungsfeld aus Vermittelnden-Perspektive auf verschiedene Weise begegnen. Hinsichtlich der Planung und Durchführung der Unterrichtsreihe konnte festgestellt werden, dass sich die Referendar*innen aller von Schäfer et al. (2019) definierten Bewältigungsstrategien bedienen, die durch weitere Ausdifferenzierungen des ausweichenden, aktiven und unterstützenden Musters, fünf unterscheidbare, sich aber keineswegs ausschließende Bewältigungsstrategien nutzen: 1. die Verknüpfung von Tanz mit Fitness, 2. die Solidarisierung mit den Schüler*innen, 3. der Verzicht auf Eigenrealisation, 4. die Intensivierung der eigenen Vorbereitung. 5. der Rückgriff auf die Expertise der Ausbildungslehrkraft.
„Step Aerobic ist eigentlich kein Tanz“ – Verknüpfung von Tanz mit Fitness
Betrachtet man die Interviewergebnisse insgesamt, so fällt auf, dass sieben der zehn Referendar*innen den Fokus der Unterrichtsreihe (mit Unterrichtsbesuch) im Bereich „Gestalten, Tanzen, Darstellen“ auf eine Mischung aus Tanz und Fitness(-geräten) richtet. So fällt die Wahl bei vier der befragten Referendar*innen auf Rope Skipping und bei drei Referendar*innen auf Step Aerobic. Lediglich drei der Lehramtsanwärter*innen legen den Schwerpunkt auf eine tänzerische Gestaltung ohne Geräte, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet scheint, dass die betreffende Ausbildungslehrkraft eine entsprechende Expertise aufweist. Durch diese Verknüpfung bedienen sich die Referendar*innen einer ausweichenden Bewältigungsstrategie und sind sich dessen auch bewusst. Denn dadurch könne gegenüber den Schüler*innen „ein bisschen das vorgegaukelt“ (Z.Q., m) werden, dass gar nicht getanzt wird, wovon sich die angehenden Sportlehrkräfte eine Motivationssteigerung bei ihren Lerngruppen versprechen, „damit es eben nicht so richtig Tanz ist, sondern eben doch was Sportliches und man das auch ein bisschen als Fitness und Ausdauer verkaufen kann“ (M.J., w). Vor diesem unterstellten Erwartungshorizont kann die Abgrenzung gegenüber tänzerischen Inhalten und damit die vermeintliche Orientierung an den Wünschen der Schüler*innen mitunter auch von Anbeginn offen kommuniziert werden: „Und ich hatte ja ganz zu Beginn schon gesagt: Step Aerobic ist eigentlich kein Tanz“ (Z.Q., m).
„Hey Leute, da müssen wir jetzt irgendwie durch“ – Solidarisierung mit den Schüler*innen
Neun Interviewteilnehmende begegnen einem Unterrichtsvorhaben im Tanz, indem sie der Lerngruppe zu Beginn der Reihe mitteilen, über keinerlei Vorerfahrungen in diesem Bereich zu verfügen: „Und ich habe, wie gesagt, vorher ganz klar kommuniziert: ‚Jungs, ich weiß. Auch für mich ist das jetzt keine Sportart, die ich mir jetzt aussuchen würde“ (B.L., m). Stattdessen bemüht man sich um eine Art Schulterschluss mit den Schülern: „Hey Leute, da müssen wir jetzt irgendwie durch“ (K.C., m). Auch das eigene Bewegungshandeln vor der Gruppe in offensichtlicher Nicht-Perfektion sowie das Fehlermachen erleben insbesondere die Referendare als gewinnbringend, da es „für die Jungs […] auf jeden Fall Ansporn“ (B.L., m) sein und im Gegensatz zu anderen Sportarten im Bereich Tanz dazu führen kann, „dass wirklich die Jungs auch sehen: ‚Ah! Das ist ja gar nicht so schlimm und der macht das auch‘“ (Z.Q., m).
„Das hab‘ ich mich selber gar nicht getraut“ – Verzicht auf Eigenrealisation
Liegt eine Möglichkeit der Unterstützung des eigenen Unterrichts und des gleichzeitigen Selbstschutzes im gezielten Unterrichtseinsatz gegenstandsaffiner Schüler*innen als Expert*innen, ziehen die befragten Lehramtsanwärter*innen darüber hinaus teilweise ergänzend, teilweise ausschließlich verschiedenste Arten von Hilfsmaterialien heran. Diese sollen „die Rahmenbedingungen [dafür] schaffen“ (M.H., w), dass eine Vermittlung der Inhalte gewährleistet wird, während die Lehrkraft in den Hintergrund treten und die Lernenden selbstständig arbeiten lassen kann. Genannt werden hier Plakate, Videos, iPads, eine Lerntheke mit Zusatzschritten, Arbeitsblätter, ein kleines Tagebuch, Bilder von Straßenschildern, Mappen, Hilfekarten, Task-Cards mit Links und QR-Codes. Kämen diese Hilfsmittel, die ja in erster Linie der Visualisierung von Schrittfolgen dienen, lediglich im Sinne einer methodischen Unterstützung zum Einsatz, ließe sich deren angedeutete Vielfalt grundsätzlich als produktiv für alle Beteiligten betrachten. Im mit Vorbehalten belasteten Bereich Tanz allerdings kommt – wie ja ein Gutteil der befragten Referendar*innen berichtet – insbesondere der Partizipation der Lehrkraft durch eigenes Vor- und Mittanzen eine stark motivierende Bedeutung zu. Insbesondere aufgrund von Angst vor Blamage und Misserfolg sowie der Notwendigkeit der eigenen Einarbeitung auf motorischer Ebene wird das hier zugrundeliegende Potenzial jedoch vielfach verschenkt. So umgeht beispielsweise eine Referendarin durch den Verzicht auf Eigenrealisation ihre Scheu, sich vor die Lerngruppe zu stellen und etwas Tänzerisches vorzuzeigen: „Dann ging es darum, Schritte vorzumachen. Das hab‘ ich mich selber gar nicht getraut, […]. Die hab‘ ich immer nur beschrieben“ (M.H., w).
„Ich mache was vor, ihr macht mir nach!“ – Intensivierung der eigenen Vorbereitung
Während sich einige der befragten Referendar*innen ausschließlich auf das verwendete Material für die Unterrichtsreihe zum Tanz verlassen und keine tänzerischen Inhalte selbst vormachen, probieren sich andere trotz anfänglicher Scheu und Skepsis im Sinne einer aktiven Bewältigung darin, Schritte eigeninitiativ einzustudieren und vor bzw. mit den Schüler*innen durchzuführen. Sie beschreiben, dass hierfür meist ein größerer Vorbereitungsaufwand als in anderen Sportbereichen nötig ist:
„Auf jeden Fall, weil man sich in anderen Sportbereichen ja auch viel mehr herausziehen kann. Aber wenn man sich jetzt als Aufgabe stellt, als Sportlehrkraft immer vorzutanzen, muss man dann natürlich auch diese ein- bis zwei Minuten […] sehr präsent sein und alles geben, weil alle Augen auf einen gerichtet sind. Und gerade, wenn man jetzt was vormacht, was dann nachgemacht werden soll, dann muss man sich […] deutlich mehr und besser vorbereiten, als wenn man dann sagt: ‚Spielt euch mal ein […]‘. Also da kann ich mich als Lehrkraft viel mehr zurückziehen und bin gar nicht so doll im Fokus drin, wie es dann dort ich war - Ich mache was vor, ihr macht mir nach“ (T.E., m).
In den mit den männlichen Teilnehmenden geführten Interviews wurde ausnahmslos zum Ausdruck gebracht, dass insbesondere männliche Lehrkräfte, die „von Anfang an […] auch immer mittanze[n] […], als männliches Vorbild quasi, und auch selbst Fehler eingestanden habe[n]“ (T.E., m), anfänglich bestehende Vorbehalte nicht allein bei den Schüler*innen, sondern auch bei sich selbst ausräumen konnten. Das Auftreten „als Bewegungsvorbild, vor allen Dingen als Mann“ (N.X., m), habe dazu geführt, dass es „gar kein Problem mehr [war], das mit den Schülerinnen und Schülern durchzuführen und auch die männlichen Schüler dafür zu begeistern“ (T.E., m), sodass „die Jungs hinterher […] kamen und meinten: ‚Tanzen hat eigentlich richtig Spaß gemacht‘“ (B.L., m).
„Ich hatte dann noch meine Ausbildungslehrerin natürlich als Hilfsmittel“ – Rückgriff auf die Expertise der Ausbildungslehrkraft
Eine weitere unterstützende und besonders häufig genannte Bewältigungsstrategie, die alle befragten Referendar*innen verfolgen, stellt der Austausch mit den Ausbildungslehrkräften und der damit verbundene Rückgriff auf deren Expertise dar. Ein Referendar beschreibt demgemäß, dass ihm neben dem Einsatz verschiedener Materialien seine „Ausbildungslehrerin natürlich als Hilfsmittel“ (K.C., m) erschien, auf deren Unterstützung er sich vor, während und nach den Unterrichtsstunden berufen konnte. Verwunderlich ist demnach nicht, dass die Ausbildungslehrkraft als eine Rat gebende Person am bedeutsamsten wahrgenommen wird, gefolgt von der Seminar-Fachleitung, dem Kollegium, den Mit-Referendar*innen und weiteren Expert*innen, wie beispielsweise den Lehrenden einer Tanzschule, die von außerhalb herangezogen werden. Ersichtlich dient das Vertrauen auf den Erfahrungsschatz und den Rückhalt versierter Kontaktpersonen dem Selbstschutz der Lehramtsanwärter*innen, die auf diesem Wege ein Gefühl der Sicherheit hinsichtlich der geplanten Inhalte und des eigenen Auftretens vor der Lerngruppe im Unterricht erfahren:
„Also, das Gefühl vor der Vorbereitung war erstmal schrecklich, weil man wusste, da kommt jetzt was auf einen zu. Man muss jetzt quasi den Everest erklimmen und steht dort mit Flip-Flops. Und dann wurde […] mir mithilfe oder von der Ausbildungslehrerin dann immer mehr Profiausrüstung angelegt, sodass ich mich dann zu Beginn des Tanzvorhabens mit Sportschuhen ausgestattet besser gefühlt habe, aber immer noch nicht vorbereitet war auf einen Klettersteig zu gehen, metaphorisch gesprochen“ (T.E., m).
5. FAZIT UND AUSBLICK
Die vorliegende Studie hat es sich zum Ziel gesetzt, die Bewältigungsstrategien von Referendar*innen, die bislang keinen nennenswerten Zugang zum Tanz hatten, beim Unterrichten tänzerischer Inhalte zu erfassen. Dass Bewältigungsstrategien innerhalb der vulnerablen Phase des Referendariats überhaupt notwendig sind, zeigt sich den vorliegenden Ergebnissen zufolge nicht alleine durch den Bewertungsdruck (Raven et al., 2022; Rothland & Walter, 2023) oder den Zusammenbruch der im Studium erworbenen Ideale (Dicke et al., 2016), sondern insbesondere auch durch die häufig als überhöht wahrgenommenen Ansprüche der Fachleitung. So wird den interviewten Lehramtsanwärter*innen zum einen offen kommuniziert „etwas Innovatives“ zeigen zu müssen, während ihnen jedoch gleichzeitig (subtil) ein an Stereotypen orientiertes (männliches) Sportverständnis vorgelebt wird, welches dem Bereich Tanz eine marginalisierte Stellung zuweist. Demnach sind alle angewandten Bewältigungsstrategien speziell in dieser Ausbildungsphase auch immer vor dem Hintergrund des Bedürfnisses nach Absicherung zu deuten. Wird dieses Bedürfnis reflektiert, dann kann es in der Konsequenz auch wenig erstaunen, dass die Interviewpartner*innen häufig auf vertraute – und dies sind eben häufig (geschlechter-)stereotype – Verhaltensweisen zu(rück)greifen, indem sie tänzerische Inhalte mit Elementen des Fitnesssports verbinden (Rode, 2020), sich in erster Linie mit gegenüber Tanz voreingenommenen Schüler*innen solidarisieren und vereinzelt dem eigenen Vormachen der tänzerischen Bewegungen ausweichen.
Inwieweit dieses Bedürfnis nach Absicherung auch dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass die Referendar*innen ein äußerst eng gefasstes Tanzverständnis erkennen lassen, welches sie auf die Vermittlungsform des Vormachen-Nachmachens festgelegten Schrittmaterials reduzieren und damit einen gestalterisch-explorativen Handlungsspielraum sowohl von Seiten der Schüler*innen als auch von der der Lehrkräfte weitgehend einschränken, lässt sich im Rahmen dieser Studie nicht verlässlich rekonstruieren, da eine explizite Anlage dieser Aspekte im Interviewleitfaden versäumt wurde.
Ungeachtet dessen bestätigen die Interviewzitate insbesondere der männlichen Interviewteilnehmenden jedoch den sportlichen Schüler bzw. den sportlichen Lehrer als Referenzgröße für eine erfolgreiche Vermittlungsarbeit im Sportunterricht (Schiller, 2020), wobei sich ihr professionsbezogenes Selbstverständnis an ihrem sportmotorischen Können orientiert (Ernst, 2018). So äußern sie explizit ihr Bedürfnis nach Anerkennung seitens der männlichen Schüler*innen und geben dies als eine maßgebliche Motivation an, (auch) im Tanz als Bewegungsvorbild auftreten zu wollen (Ernst, 2018). Dies geschieht darüber hinaus mittels des Sich-Solidarisierens innerhalb der gemischtgeschlechtlichen Lerngruppen, durch die sie sich eine Unterstützung von gleichgeschlechtlichen Komplizen erhoffen und diese scheinbar auch erhalten. So wird offenbar vor dem Hintergrund einer geteilten männlichen Überzeugung das Aufzeigen eigenen Missfallens gegenüber der Partizipation bei gleichzeitigem Mitmachen auf praktischer Ebene als eine Art Selbstüberwindung und damit als Mehrwert erlebt. Auch wenn es vermessen wäre, bei einer Datenmenge von zehn Interviews geschlechtsbezogene Unterschiede in Anschlag bringen zu wollen, so deutet sich durch die Interviewaussagen und die in ihnen erkennbare implizite Konstruktion von Geschlecht jedoch zumindest an, dass weitere Studien mit einem fokussierten Blick auf geschlechtsbezogene Unterschiede lohnenswert scheinen.
Zusammenfassend lässt sich resümieren, dass es den interviewten Referendar*innen gelungen ist, ihren feld- und fachkulturell geprägten Habitus in der herausfordernden Situation der Tanzvermittlung im Ansatz beizubehalten. Durch ihre (unreflektierten und eher intuitiv) gewählten Bewältigungsstrategien sind sie in der Lage, den Bereich Tanz in ihr Sportverständnis nicht nur zu integrieren, sondern im Besonderen auch zu legitimieren. So zeigt sich auch für die interviewten Referendar*innen, dass ihr Habitus zwar irritierbar, aber dennoch als träge gekennzeichnet ist.
Vor diesem Hintergrund sind die Bewältigungsstrategien ebenso dahingehend als gewinnbringend zu bewerten, als dass auf der Basis eines erlangten Gefühls von Sicherheit eine offenere Ausrichtung der Tanzvermittlung möglich scheint, die dann auch die vielseitigen Potenziale ein Stück weit mehr ausschöpfen könnte. Dies gilt insbesondere für jene Referendar*innen, die die Herausforderung aktiv bewältigen und dies als positiven Mehrwert für sich verbuchen. Um diesen Möglichkeitsspielraum – den sich die Interviewpartner*innen im Rahmen ihres Professionalisierungsprozesses eigeninitiativ erarbeitet haben – umfänglich nutzen zu können, scheint eine (reflektierte) Unterstützung seitens der Fachleitung und der Ausbildungslehrkraft bedeutsam und sollte vermehrt in den Blick genommen werden.
DANKSAGUNG
Wir danken Dr. Steffen Bahlke für seine klugen und hilfreichen Kommentare.
Bourdieu, P. (1992). Rede und Antwort. Suhrkamp.
Bourdieu, P., Wacquant, L. J., & Beister, H. (1996). Reflexive Anthropologie. Suhrkamp.
Czyrnick-Leber, U. (2019). Tanz in der Sportlehrkräfteausbildung. Habitualisierungen-Ambivalenzen-Widerstände. Verlag Dr. Kovac.
Czyrnick-Leber, U., Ukley, N., & Schirrmacher, N. (2022). Irritationen des Körperwissens – Förderung von Transformationsprozessen des fachlichen Habitus durch Krisenerfahrungen im Tanz. In R. Messmer & C. Krieger (Hrsg.) Narrative zwischen Wissen und Können (S. 77-90). Academia-Verlag.
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