Ein Lernvideo als Beispiel für gelungene Medienintegration im Sportunterricht...
... im Rahmen eines Moduls zur Förderung digitalisierungsbezogenen Professionswissens
Armin Fabian, Julia Hapke, Andreas Lachner, Sven Waigel, Denise Röderer
ZUSAMMENFASSUNG
Digitale Medien bieten große Potenziale für den (Sport-)Unterricht. Um diese zu erkennen und sich für den eigenen Unterricht zu Nutze zu machen, benötigen Lehrpersonen digitalisierungsbezogenes fachdidaktisches Professionswissen. Das TPACK-Modell (Technological, Pedagogical and Content Knowledge) von Mishra und Köhler konzeptualisiert dieses Professionswissen als Kombination und Zusammenspiel verschiedener grundlegender Wissensfacetten: Technologie-, Pädagogik- und Fachwissen. In der Literatur wird TPACK als das Wissen diskutiert, das Lehrpersonen benötigen, um digitale Medien sinnvoll, d. h. lernförderlich, in ihren Unterricht zu integrieren. Vor diesem Hintergrund erscheint es notwendig, angehende Lehrpersonen bereits in ihrem Studium auf die digitalen Herausforderungen vorzubereiten, denen sie in ihrem späteren Berufsleben begegnen. In Tübingen wird daher aktuell innerhalb des Projekts TPACK 4.0 ein Lernmodul von drei Seminarsitzungen entwickelt, um TPACK angehender Sportlehrer*innen zu fördern. Das TPACK-Modul wird dabei in eine reguläre sportdidaktische Lehrveranstaltung integriert. Ein zentraler Bestandteil des TPACK-Moduls ist das Aufzeigen gelungener didaktischer Einsatzszenarien digitaler Medien in Form von Good-Practice-Beispielen, die in einem Onlinemodul vor Beginn des TPACK-Moduls zur Verfügung gestellt werden. Eines dieser Beispiele wurde dabei als Lernvideo realisiert, in welchem exemplarisch der Einsatz digitaler Bewegungsanalysetools für das Kugelstoßen illustriert und aus sportdidaktischer sowie lehr-lernpsychologischer Sicht reflektiert wird. Der vorliegende Werkstattbericht gibt einen kurzen Einblick in die Konzeption des sportspezifischen TPACK-Moduls und fokussiert anschließend auf das als Open Educational Research (OER) zur Verfügung gestellte Lernvideo mit dem Titel „Digitale Bewegungsanalysetools im Sportunterricht“.
1. DIGITALE MEDIEN IM SPORTUNTERRICHT
Der Einsatz digitaler Medien bietet großes Potenzial für die Gestaltung von Lehr-Lernsituationen im Sportunterricht (Greve et al., 2020; Van Hilvoorde & Koekoek, 2018). Zum einen bieten sie diverse Unterstützungsmöglichkeiten für Sportlehrkräfte auf organisatorischer Ebene, beispielsweise durch digitale Aufbaupläne, digital verfügbare Aufgabenstellungen oder spezielle Applikationen, die die Klassenorganisation erleichtern (Dober, 2019). Weiter wird mit ihnen die Möglichkeit verbunden, die Lern- und Leistungsbereitschaft der Schüler*innen zu erhöhen, beispielsweise durch Gamification (Wendeborn, 2019).
Zum anderen lassen sich mit digitalen Medien aber vor allem spezifische Lernpotentiale für Schüler*innen realisieren. So können digitale Medien in Form von Wearables oder Social Media besondere Potentiale – aber auch Risiken – für die Gesundheitsbildung im Sportunterricht eröffnen (Goodyear & Quennerstedt, 2020). Weiter kann der Einsatz digitaler Bewegungsspiele zu Lernerfolgen im Bereich der Sportspielvermittlung beitragen (Sohnsmeyer, 2012).
Den augenscheinlichsten und bislang in der Forschung am stärksten berücksichtigten Mehrwert digitaler Medien für den Sportunterricht bieten softwaregestützte Technik- und Taktik-Analysen von Bewegtbildern (Van Hilvoorde & Koekoek, 2018; Veit, 2015). Videoaufnahmen ermöglichen die multimediale Veranschaulichung von Bewegungen. Räumliche, zeitliche und dynamische Aspekte können dadurch anschaulich dargestellt werden und somit den Aufbau einer Bewegungsvorstellung unterstützen. Weiter können Aufnahmen von Schüler*innen während deren sportlichen Aktivitäten ein unmittelbares und individuelles Feedback gewährleisten. Dieses kann durch Videoapplikationen maßgeblich unterstützt werden. So sind beispielsweise Vergleiche über die Splitscreenfunktion (z. B. Vorher-Nachher; mit Optimalbewegung; mit anderen Lernenden) möglich oder die Aufmerksamkeit der Schüler*innen kann auf spezifische Aspekte des sportlichen Handelns gelenkt werden (z. B. wiederholte Betrachtung, Zeitlupe, Anhalten, Zurückspulen, Einfügen graphischer Formen, Linien und Winkel). Darüber hinaus bieten Videoapplikationen besondere Potenziale für den Erwerb eines tiefergehenden Verständnisses für sportliche Inhalte, indem durch kognitive Aktivierung und Reflexion Motorik und Kognition miteinander verknüpft werden (Fischer & Krombholz, 2020).
2. PROFESSIONSWISSEN LEHRENDER FÜR WIRKSAMEN MEDIENEINSATZ
Trotz dieser Potenziale werden in der Fachliteratur jedoch Vorbehalte auf Seiten der Sportlehrkräfte gegenüber dem Einsatz digitaler Medien im Sportunterricht antizipiert (Dober, 2019; Wendeborn, 2019). Diese Vorbehalte vor dem Einsatz digitaler Medien sind auch aus anderen Fächern und Ländern bekannt und z. B. durch die ICLS-Studie gut belegt worden (Eickelmann et al., 2019). Neben motivationalen und infrastrukturellen Gründen wird insbesondere das geringe digitalisierungsbezogene Professionswissen von Lehrpersonen für die unzureichende Mediennutzung im Unterricht diskutiert (Petko, 2012; Van Hilvoorde & Koekoek, 2018). Das prominente TPACK-Modell (Technological, Pedagogical and Content Knowledge) von Mishra und Koehler (2006) konzeptualisiert dieses Professionswissen als Zusammenspiel von technologiebezogenem, (fach-)didaktischem und inhaltsbezogenem Wissen und postuliert die Wichtigkeit der Verfügbarkeit all dieser Facetten bei der Planung und Durchführung medienunterstützter Unterrichtsphasen.
3. FÖRDERUNG VON TPACK IN DER ERSTEN PHASE DER LEHRER*INNENBILDUNG
Vor dem Hintergrund des TPACK-Modells erscheint es bedeutsam, das digitalisierungsbezogene Professionswissen von angehenden Lehrpersonen bereits im Studium zu fördern. Dazu wurden in zwei Semestern (WiSe 19/20, SoSe 20) innerhalb des Projekts TPACK 4.0 jeweils dreiwöchige fachspezifische Interventionen in Form von TPACK-spezifischen Lernmodulen entwickelt, welche in reguläre fachdidaktische Lehrveranstaltungen verschiedener Fächer (Mathematik, Biologie, Englisch, Deutsch, Philosophie) eingebettet waren. Ziel des Projekts war es, digitale Medien als Bestandteil der Lehre in der Breite, d. h. innerhalb verschiedener Fächer in der Lehrer*innenbildung, zu etablieren. Die TPACK-Module wurden dabei durch ein clusterrandomisiertes Kontrollgruppendesign evaluiert. Die Ergebnisse der Begleitevaluation sprechen für die Effektivität der TPACK-Module in den verschiedenen Fächern (Lachner et al., 2021). Auf Grundlage der Intervention der fünf bereits im Projekt verankerten Fächer wurde auch ein TPACK-Lernmodul (kurz TPACK-Modul) für das Fach Sport entwickelt, welches im Sommersemester 2021 erstmalig umgesetzt wurde. Im Folgenden fokussieren wir auf die Konzeption des sportspezifischen TPACK-Lernmoduls und zeigen auf, in welchem Kontext das Lernvideo eingesetzt wurde.
4. VORSTELLUNG DES SPORTSPEZIFISCHEN TPACK-MODULS
Um sportspezifisches TPACK angehender Sportlehrkräfte zu fördern, haben wir uns an etablierten Strategien zur Vermittlung von TPACK orientiert (SQD-Model, siehe Tondeur et al., 2012). Im Sinne der Approximation an die Praxis (Grossman, Hammerness, & McDonald, 2009) wurden die Studierenden schrittweise an den praxisnahen Einsatz digitaler Medien herangeführt. So erhielten die Studierenden vor Beginn des dreiwöchigen TPACK-Moduls zunächst theoretische Einblicke in das Lehren und Lernen mit digitalen Medien im Sportunterricht. Die theoretischen Einblicke wurden dabei gemäß der Flipped Classroom Methode nicht synchron im Seminar, sondern vor der ersten Sitzung asynchron durch ein Onlinemodul vermittelt, welches die Studierenden vor der ersten Sitzung des TPACK-Moduls asynchron zu bearbeiten hatten. Die Inhalte des Onlinemoduls wurden zu Beginn der ersten TPACK-Sitzung aufgegriffen und zur Reflexion genutzt, bevor die Studierenden in Kleingruppen damit begannen, eine mediengestützte Unterrichtsstunde zu planen. In der zweiten Sitzung finalisierten die Kleingruppen den begonnenen Unterrichtsentwurf, der schließlich sequentiell in der dritten und letzten Sitzung in sogenannten Microteachings (Cavin, 2007) umgesetzt wurde. Diese Microteachings wurden gefilmt und den Studierenden über die Plattform des Onlinemoduls zur Verfügung gestellt. Um ferner Reflexionsprozesse anzustoßen, gaben sich die Studierenden nach Ende der letzten Seminarsitzung gegenseitig Rückmeldungen auf Grundlage der videografierten Microteachings („Peer-Feedback“).
5. LERNVIDEO „EINSATZ DIGITALER BEWEGUNGSANALYSETOOLS IM SPORTUNTERRICHT“
Das Lernvideo war als interaktives Video im ersten Teil des TPACK-Moduls in das Onlinemodul integriert und wurde von den Studierenden demnach vor der ersten TPACK-Sitzung angeschaut. Das Lernvideo skizziert eine durch Videoanalysetools unterstützte Unterrichtsstunde zum Thema Kugelstoßen. Dazu werden im Video zunächst die Funktionen der verwendeten App zur Bewegungsanalyse aufgezeigt und vor dem Hintergrund sportdidaktischer Potenziale sowie lehr-lernpsychologischer Erkenntnisse diskutiert. Dabei werden die vorwiegend gezeigten realen Szenen aus der Sporthalle stellenweise durch freeze-frames aufgebrochen, indem zentrale Aspekte (z. B. „kognitive Aktivierung“) durch Animationen hervorgehoben und im Voice-Over erläutert werden.
Das Lernvideo betont in besonderem Maße die spezifischen Möglichkeiten des digitalen Mediums im Hinblick auf die kognitive Aktivierung der Schüler*innen. Das Ziel der als Good-Practice-Beispiel gezeigten Unterrichtsstunde geht weit über das einfache Nachvollziehen und Üben des Standstoßes hinaus. Die Schüler*innen sollen Zusammenhänge und Wirkungsweisen einzelner Phasen des Kugelstoßens erkennen und verstehen (Hapke & Waigel, 2019). Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand wird etwa durch den Perspektivwechsel von der Rolle des Sporttreibenden in die Rolle des/der Zuschauenden bzw. Beurteilenden angeregt. Da dieser Wechsel unmittelbar nach der Bewegungsausführung erfolgt, wird hierdurch die Eigenwahrnehmung der Schüler*innen geschult und außerdem eine Bewegungskontrolle und -optimierung ermöglicht. Die Kontrastierung zweier Aufnahmen mittels der Splitscreen-Funktion bietet zudem das Potenzial, einen Vergleich mit einer idealtypischen Bewegung herzustellen. Ferner werden Ausführungsunterschiede auf diese Weise ersichtlich und können von Lernenden selbstständig herausgearbeitet und sprachlich belegt werden (Röderer, Hapke & Fabian, 2020).
Wie diese didaktischen Potenziale im Hinblick auf die kognitive Aktivierung der Schüler*innen von Sportlehrkräften sinnvoll genutzt, d. h. in einem stimmigen Verhältnis zu angestrebten Lernzielen, behandelten Inhalten und weiteren Dimensionen der Unterrichtsqualität (Instruktionale Unterstützung & Klassenführung) orchestriert werden können, wird im Lernvideo angedeutet. Die Thematisierung solcher Fragen im Rahmen der Sportlehrer*innenbildung benötigt darüber hinaus jedoch die Einbindung in entsprechende Lernmodule (wie z. B. das angesprochene TPACK-Modul) und Lehrveranstaltungen.
Das Video wurde als Open Educational Ressource (OER) veröffentlicht und steht somit allen Interessierten zu Bildungszwecken zur Verfügung.
Armin Fabian
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Digitalisierung in der Lehrerbildung Tübingen (TüDiLB) und Doktorand am Institut für Mathematik und ihre Didaktik an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seine Forschungsschwerpunkte umfassen unter anderem den Einsatz digitaler Medien im fachspezifischen Unterricht und das dafür benötigte Professionswissen angehender Lehrpersonen.
armin.fabian@uni-tuebingen.de
Jun. Prof. Dr. Julia Hapke
ist Juniorprofessorin für Fachdidaktik des Sports am Institut für Sportwissenschaft der Eberhard Karls Universität Tübingen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der qualitativ-empirischen Beforschung von Bildungsprozessen im Sportunterricht und in der Sportlehrer*innenbildung. Im Mittelpunkt stehende Themenfelder sind Mehrperspektivität, Kompetenzorientierung, Gesundheit und digitale Bildung im Sportunterricht sowie die darauf bezogene Professionalisierung von Sportlehrpersonen.
Prof. Dr. Andreas Lachner
ist Professor für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt Lehren und Lernen mit digitalen Medien an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Seine Forschungsaktivitäten beinhalten die Förderung (meta-)kognitiver und motivationaler Lernprozesse bei der Nutzung digitaler Medien sowie die Integration digitaler Medien in fachspezifischen Unterrichtsszenarien bspw. bei heterogenen Lerngruppen. Weiterer Schwerpunkt liegt auf dem Lehren mit digitalen Medien und insbesondere auf der Beschreibung der zugrundeliegenden professionellen Kompetenzen von Lehrpersonen.
Sven Waigel (StD)
ist Fachberater Sport am Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung Baden-Württemberg, Lehrbeauftragter am Seminar für Ausbildung und Fortbildung der Lehrkräfte (Gymnasium) und Lehrer am Gymnasium der Geschwister-Scholl-Schule in Tübingen. Darüber hinaus ist er als Dozent am Institut für Sportwissenschaft Tübingen im Rahmen der Veranstaltungen zur „Theorie und Praxis der Sportarten“ tätig.
Denise Röderer
ist angehende Sport- und Französischlehrerin und hat von 2019 bis 2021 als wissenschaftliche Hilfskraft in den Projekten TPACK 4.0 und TüDiLB gearbeitet, wo sie unter anderem an der Konzeption und Erstellung des Lernvideos mitgewirkt hat.
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