Einsatz biomechanischer Messverfahren

Einsatz biomechanischer Messverfahren zur Entwicklung wissenschaftlicher Methodenkompetenz in den Sportarten und Bewegungsfeldern am Beispiel Leichtathletik

Marcus Schmidt & Thomas Jaitner

ZUSAMMENFASSUNG

Sowohl das Positionspapier der dvs zur „Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder“ als auch das „Kerncurriculum Ein-Fach-Bachelor Sportwissenschaft“ hebt hervor, dass die Lehre der Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder in besonderer Weise geeignet ist, die in den sportwissenschaftlichen Teilgebieten erworbenen Kenntnisse zu anwendungsbezogenen Kompetenzen zu erweitern und so den Übergang vom „Sportler“ zum auf wissenschaftlicher Grundlage reflektierenden Arrangeur sicherzustellen. Insbesondere in der Leichtathletik kann durch eine Reflektion kriteriumsorientierter Bezugsnormen (Weiten, Höhen, Zeiten) die eigene Leistung umfassend analysiert und eingeordnet werden. Neben methodisch-didaktischen Kenntnissen zur Vermittlung disziplinspezifischer Techniken und der Verbesserung des individuellen motorischen Könnens, kann so beispielsweise die wissenschaftliche Methodenkompetenz der Studentinnen und Studenten gefördert werden. Dabei stellt sich die Frage, wie es gelingen kann, ein angemessenes Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Theorie und anwendungsbezogener Sportpraxis sicherzustellen. In diesem Zusammenhang soll das im Folgenden vorgestellte Lehrkonzept/Unterrichtsbeispiel aus der Sportart Leichtathletik mit dem Fokus auf die Sprintdisziplinen Anregungen liefern und Grundlage für einen konstruktiven Ideenaustausch sein.

1 EINLEITUNG

Ein sportwissenschaftliches Lehramtsstudium1 hat primär den Erwerb von Lehr- und Vermittlungskompetenzen unter Einbezug motorischen Könnens sowie entsprechender Demonstrationsfähigkeiten zum Ziel. Darüber hinaus sollen die Studiengänge ein angemessenes Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Theorie und anwendungsbezogener Sportpraxis sicherstellen. Im Sinne wissenschaftlicher Theorie sollen dabei vor allem übergreifende Kompetenzen, insbesondere forschungsmethodologische, Beratungs-, Diagnostik- und Evaluationskompetenzen durch die Studentinnen und Studenten erworben werden. Die anwendungsorientierte Sportpraxis zielt auf den Erwerb Sportart- und bewegungsfeldbezogener Kompetenzen im Sinne von sportpraktischen und sportmethodischen Kompetenzen der Vermittlung ab. Ziel ist es arbeitsmarktorientiert ein Höchstmaß an Qualifikation und Versorgungsqualität beider Bereiche sicherzustellen (Hottenrott et al., 2017).  
Gerade in den Lehramtsstudiengängen stellt eben dieses Verhältnis zwischen „Theorie“ und „Praxis“ die Lehrenden an Hochschulen jedoch häufig vor Herausforderungen. Das Positionspapier der dvs zur „Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder“ sowie das „Kerncurriculum Ein-Fach-Bachelor Sportwissenschaft“ heben zwar hervor, dass die Lehre der Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder in besonderer Weise geeignet ist, die in den sportwissenschaftlichen Teilgebieten erworbenen Kenntnisse zu anwendungsbezogenen Kompetenzen zu erweitern und so den Übergang vom „Sportler“ zum auf wissenschaftlicher Grundlage reflektierenden Arrangeur sicherzustellen (dvs, 2016, 2017). Wie dieser Übergang und die Verknüpfung gelingen kann, bleibt dabei aber häufig unklar und wird komplizierter, wenn man bedenkt, dass gerade in Sportarten wie Leichtathletik, Turnen oder Schwimmen die Vorerfahrungen eines Großteils der Studentinnen und Studenten eher reduziert sind und in der Regel eine knappe Unterrichtszeit von durchschnittlich zwei Semesterwochenstunden zur Verfügung steht (Drognitz, Ennigkeit & Odey, 2019). Somit spielen aus studien- und prüfungsinhaltlicher Sicht häufig primär der Erwerb und die Eigenrealisation sportlicher Fähig- und Fertigkeiten die wesentlichen Rollen zur Sicherung der Qualität eines sportwissenschaftlichen Studiums. Dies ergibt die Gefahr, dass der Erwerb methodisch-didaktischer Kompetenzen und wissenschaftlicher Methodenkompetenz vernachlässigt wird, wenngleich diese Kompetenzen ebenso wichtig sein sollten (dvs, 2016; Drognitz, Ennigkeit & Odey, 2019).

Obwohl der Bewegungsbereich „Laufen, Springen, Werfen – Leichtathletik“ wie kaum ein anderer Bewegungsbereich in hohem Maße an die grundlegenden menschlichen Bewegungsformen anknüpft, findet sich auch und vor allem im schulischen Kontext häufig eine reduzierte Inszenierung der Sportart. So werden häufig der Erwerb normierter Fertigkeiten, die Leistungsperspektive, Wettkampfformen und zur Notengebung geeignete Unterrichtsformen bevorzugt. Im Sinne eines umfassenden Kompetenzerwerbs, wird dadurch umso deutlicher, dass in der universitären Ausbildung von Lehramtsstudierenden eine mehrperspektivische Herangehensweise gefördert und geschult werden sollte. Dementsprechend sollte die Vermittlung in diesem Bewegungsbereich nicht nur kriteriumsorientierte Bezugsnormen (Weiten, Höhen, Zeiten) thematisieren oder ausschließlich auf die individuellen Fähig- und Fertigkeiten fokussieren. Auch methodisch-didaktische Kenntnisse, die sicherlich der wesentliche Bestandteil der Vermittlung in Theorie und Praxis der Sportarten und Bewegungsfelder sind, sollten nicht ausschließlich betrachtet werden. Durch geschickte Inszenierung kann eine Vielzahl gewünschter Kompetenzen der Studentinnen und Studenten angebahnt werden.

Im Mittelpunkt der nachfolgenden Darstellung steht die wissenschaftliche Methodenkompetenz, die durch den Einsatz biomechanischer Mess- und Erhebungsinstrumente sowie Verfahren der Leistungsdiagnostik gefördert werden kann und gleichzeitig ebenso Rückschlüsse auf die individuellen Fähig- und Fertigkeiten der Studentinnen und Studenten ermöglichen. Dabei geht es um die Kernfrage, wie es gelingen kann, die Studentinnen und Studenten in die Lage zu versetzen, Kenntnisse über spezifische Methoden zu erwerben, diese angemessen einzusetzen, adäquate Daten von Sportlerinnen und Sportlern (oder Schülerinnen und Schülern) wissenschaftlich angemessen (objektiv, reliabel und valide) zu erheben, die  gewonnenen Ergebnisse zum Beispiel für die Steuerung von Trainingsprozessen zu nutzen und Übungs- und Trainingsprozesse adressatenspezifisch zu planen und zu differenzieren (dvs, 2017). Das im Folgenden vorgestellte Lehrkonzept/Unterrichtsbeispiel aus der Sportart Leichtathletik mit dem Fokus auf die Sprintdisziplinen versucht in diesem Sinne, eine kleine Brücke über den „Theorie-Praxis-Graben“ zu schlagen, möchte Anregung für ähnliche Bereiche liefern und Grundlage zu einem konstruktiven Ideenaustausch sein.

2 STUNDENBEISPIEL

Der Gegenstand des Stundenbeispiels: Leichtathletischer Sprint

An dieser Stelle werden zunächst die theoretischen Grundlagen des Stundenbeispiels zur besseren Strukturierung und Nachvollziehbarkeit dargelegt. Gegenstand des Stundenbeispiels ist der leichtathletische Sprint. Dabei ist die erreichte Zeit jeder einzelnen Disziplin stets das Resultat eines komplexen Gefüges aus physiologischen und physikalischen/biomechanischen Einflussgrößen jedes absolvierten Schritts (Baumann et al., 1986; Majumdar & Robergs, 2011). Eine Vielzahl biomechanischer Einflussgrößen (zum Beispiel Schrittlängen, Schrittfrequenzen, Kontaktzeiten oder Flugzeiten) verändern sich in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit, weisen ein komplexes Bedingungsgefüge mit gegenseitigen Abhängigkeiten (Abbildung 1) auf und sind vor allem abhängig vom Leistungsniveau der Sportlerinnen und Sportler. Da im Rahmen des Stundenbeispiels die Merkmale Schrittfrequenz (SF) und Schrittlänge (SL) als Einflussgrößen erster Ordnung im Fokus stehen, werden Sie im Folgenden näher erläutert.

Schrittlänge und Schrittfrequenz stehen prinzipiell in einem inversen Verhältnis zueinander (Hay, 1993). Ein Ansteigen einer Einflussgröße führt nur zu einer höheren Geschwindigkeit, sofern die andere nicht in der gleichen Größenordnung abfällt. Untersuchungen zum individuell optimalen Verhältnis von SL und SF, deren Zusammenhang und deren Gewichtung weisen hierbei jedoch kontroverse Ergebnisse auf (u.a. Ae et al., 1992; Gajer et al., 1999; Hunter et al., 2004; Mackala, 2007; Mann & Herrman, 1985; Mero et al., 1992). Die Schrittfrequenz wird in der Regel durch ein geringes Körpergewicht der Sprinterinnen und Sprinter und kurze Extremitätenlängen begünstigt, während eine höhere Explosivkraft und eine größere Muskelmasse zur Erhöhung der Schrittlängen beitragen (Harland & Steele, 1997; Hunter et al., 2005). In Abhängigkeit individueller anatomischer, konditioneller und bewegungstechnischer Leistungsvoraussetzungen sind bei vergleichbarer Sprintgeschwindigkeit also unterschiedliche Relationen von SL und SF möglich. Bezüglich der Ausprägungen von SL und SF bei Anfängern, was vor allem für die Zielgruppe eines sportwissenschaftlichen Lehramtsstudiums Relevanz besitzt, liegen bisher kaum empirische Erkenntnisse vor (u.a. Bushnell & Hunter, 2007). Übertragen auf eine Lehrveranstaltung im Rahmen eines Lehramtsstudiums ist die Frage, wie mit diesen (hier nur sehr reduziert dargestellten) Erkenntnissen umgegangen werden kann und welche Ableitungen auch hinsichtlich der Vermittlung im Rahmen von Schulsport getroffen werden können. Um diese Aspekte differenziert zu diskutieren und eine Entwicklung wissenschaftlicher Methodenkompetenz der Studentinnen und Studenten zu ermöglichen, werden im Rahmen einer Lehrveranstaltung in der Leichtathletik von und mit den Studentinnen und Studenten biomechanische Merkmale ihres Sprintlaufes erhoben.

Aufbau und Ablauf des Stundenbeispiels

Zunächst werden zu Beginn der 90-minütigen Sitzung die biomechanischen Einflussgrößen des Sprints (vgl. Abb. 1) durch ein etwa zehnminütiges Referat thematisiert. Dadurch wird sowohl fachwissenschaftliches Wissen vermittelt, als auch verdeutlicht, welche Einflussgrößen durch Trainingsmittel angesteuert werden können und wie ein Sprint-/Schnelligkeitstraining aufgebaut sein kann (Jeffreys, 2013). Anschließend erfolgt eine etwa 20-minütige, sprintspezifische Vorbereitungs- und Aufwärmphase die neben Übungen aus dem Lauf- ABC (May, 2009; Rotter, 2007), Steigerungsläufe sowie fliegende Sprints beinhaltet.  

Im Anschluss daran absolvieren alle Studentinnen und Studenten (die in der Regel nicht über Trainingserfahrungen im leichtathletischen Sprint verfügen) mindestens zwei fliegende Sprints über eine Länge von 30 m. Dabei sollen sie im ersten Lauf nach einer Beschleunigungsphase von 30 m Länge ihre maximale Sprintgeschwindigkeit möglichst lang aufrechterhalten, ohne dabei auf spezifische Aspekte der Sprinttechnik zu achten. Mittels des opto-elektronischen Messsystems OptojumpNext© (OJ) werden auf der Strecke mit maximaler Geschwindigkeit die Schrittfrequenzen und -längen sowie die Laufgeschwindigkeiten (v) der Studentinnen und Studenten auf einer Länge von 5 m erfasst. Darüber hinaus werden die Bodenkontaktzeiten (tS) auf diesem Abschnitt und die Zeit für die zu absolvierenden 30 m (t30 – erfasst mittels mobiler Lichtschranken) bestimmt. Wie bereits in Abbildung 1 veranschaulicht, wird die Geschwindigkeit beim Sprint durch das Produkt
aus SL und SF determiniert. Ein Ansteigen einer Einflussgröße führt dementsprechend zu einer höheren Geschwindigkeit, sofern die andere nicht in der gleichen Größenordnung abfällt (Mero, Komi & Gregor, 1992). Um herauszufinden, welches Merkmal bei den Studentinnen und Studenten zu einer Verbesserung der Leistung (=Erhöhung der Geschwindigkeit) führt, wird in einem weiteren Lauf der Aufmerksamkeitsfokus der Studentinnen und Studenten auf eines der beiden biomechanischen Merkmale SL oder SF gerichtet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollen versuchen, das ausgewählte Merkmal gezielt anzusteuern, d.h. beispielsweise bewusst die Schrittlänge erhöhen. Es soll jedoch weiterhin möglichst mit maximaler Geschwindigkeit gelaufen werden. Sollte in Abhängigkeit der Gruppengröße genügend Zeit zur Verfügung stehen, ist auch ein weiterer Lauf mit Fokus auf das andere biomechanische Merkmal denkbar. In der Folge kommt es im nächsten Lauf in der Regel zu zwei Erscheinungen: 1) Die Ansteuerung des Merkmals gelingt nicht – im Vergleich zum ersten Lauf erfolgt keine Erhöhung der Schrittlänge oder -frequenz; oder 2) Das anzusteuernde Merkmal wird zwar verbessert, die Geschwindigkeit (v oder t30) erhöht sich jedoch nicht oder nimmt sogar ab. In den seltensten Fällen (ca. 5 % aller bisher durchgeführten etwa 150 Läufe) konnte sowohl eine Verbesserung des biomechanischen Merkmals (SL oder SF) als auch der Geschwindigkeit festgestellt werden. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bekommen nach jedem Lauf ihre Ergebnisse zurückgemeldet und werden in einem Erhebungsbogen erfasst, um sich in der Abschlussdiskussion darauf beziehen zu können.

Den Abschluss der Unterrichtseinheit bildet nun die gemeinsame Diskussion der aufgetretenen „Phänomene“ und der eingesetzten Messtechnik beziehungsweise der wissenschaftlichen Methoden.

Der wesentliche Aspekt der Kompetenzerweiterung im Zusammenhang mit dem vorgestellten Unterrichtsbeispiel ist die wissenschaftliche Methodenkompetenz. Diese bezieht sich zum einen auf den Einsatz spezifischer Messsysteme (hier OJ sowie Lichtschranken) als auch die Auswertung und Interpretation erhobener Daten. Dies wird vor allem im Zusammenhang thematisiert und diskutiert, wenn beispielsweise zu überlegen ist, welche Messgenauigkeit ein Messsystem haben muss, um relevante Unterschiede zum Beispiel verschiedener Stichproben, Messzeitpunkte oder der gestellten Bewegungsaufgabe erkennen zu können.

Bezüglich der eingesetzten Messtechnik werden mit den Studentinnen und Studenten sowohl die Funktionsweisen der eingesetzten Systeme als auch deren Möglichkeiten und Grenzen beim Einsatz im Rahmen von Leistungsdiagnostiken oder wissenschaftlichen Studien diskutiert. Die besondere Bedeutung der Messgenauigkeit wird im Zusammenhang mit den von den Studentinnen und Studenten erzielten Ergebnissen besprochen. Nachfolgend werden mögliche Leitfragen für die Abschlussdiskussion genannt und wesentliche Inhalte dargestellt, die im Diskussionsverlauf durch die Lehrperson eingebracht werden sollten, wenn sie nicht von den Studentinnen und Studenten selbst genannt werden.

  • Leitfrage 1: Wie bestimmt das Messsystem OptojumpNext® die biomechanischen Merkmale SF, SL, v und tS? (Lernziel: Reliabilität von Messresultaten verstehen, Reliabilität von Messresultaten gewährleisten können, Nebengütekriterium der Ökonomie kennen)

Das auf Lichtschranken basierende System OJ beinhaltet in zwei gegenüberliegenden Balken LEDs, die in einem Abstand von 1,0416 cm und einer Höhe von circa 3 mm über dem Boden verbaut sind. Diese detektieren, ob ein Objekt (in der Regel der Fuß) diese Lichtschranke durchbricht. Durch Anordnung mehrerer Balken lassen sich mit Hilfe dieses Systems neben zeitlichen Merkmalen auch räumliche Merkmale ableiten. Die Vorteile des Systems sind die schnelle Verfügbarkeit von umfassenden Daten, sowie die Möglichkeit, das System mit Videokameras zu synchronisieren. Der Aufbau des Systems erfordert einen ebenen Untergrund, je nach Länge des Systems viel Zeit, und es können lediglich gerade Strecken abgedeckt werden. Im Gegensatz zu Sprüngen fehlen umfangreiche Nachweise zur Genauigkeit des Systems bei Läufen und Sprints. Während Healy et al. (2015) Abweichungen zwischen OJ und einer Kraftmessplatte (1000 Hz) von -5 ± 4 ms für Bodenkontaktzeiten feststellen, zeigen Ammann et al. (2016) einen Fehler von -25,7 ± 26,1 ms beim Laufen in Spikes. In einer eigenen Studie wurden während der ersten beiden Schritte der Beschleunigungsphase ebenfalls hohe unsystematische Abweichungen 0,7 ± 22,6 ms zwischen OJ und einer Kraftmessplatte (1000 Hz) beim Starten mit Spikes festgestellt (Schmidt et al., 2015). Die Abweichungen kommen dabei durch die 3 mm über dem Boden platzierten LEDs zustande und haben eine Unterschätzung der Flugzeit sowie eine Überschätzung der Bodenkontaktzeit zur Folge. Bezüglich der Schrittlänge ermitteln Healy et al. (2015) Abweichungen von 0,5 ± 1,3 cm zwischen den durch OJ und durch ein Maßband ermittelten Werte.

  • Leitfrage 2: Worauf ist beim Einsatz eines Lichtschrankensystems zur Messung von Zeiten im Sprint zu achten? (Lernziel: Durchführungsobjektivität verstehen und sicherstellen können, den Zusammenhang von Durchführungsobjektivität und Reliabilität verstehen)

Ein wesentliches Kriterium bei der Auswahl eines Lichtschrankensystems stellt die Bauweise der Lichtschranken dar. Dabei wird in der Regel zwischen Einfach- und Doppellichtschranken unterschieden. Einfachlichtschranken bestehen aus einem einzelnen Transmitter, der ein Infrarotsignal zu einem Reflektor (direkt gegenüber des Transmitters aufgebaut) sendet und das reflektierte Signal wieder empfängt. Das Problem bei dieser Art Lichtschranken ist, dass eine Auslösung durch unerwünschte Körperteile (z.B. ein angehobenes Knie oder einen vorschwingenden Arm) erfolgt, obwohl der Torso das ausschlaggebende Körperteil sein sollte. Wenn also eine Einfachlichtschranke genutzt wird, sollte sich diese zwischen Hüft- und Brusthöhe befinden, da dabei lediglich in 4% aller Fälle die Messungen durch einen anderen Körperteil ausgelöst werden. Um diese Problematik zu verhindern, werden bei Doppellichtschranken zwei Lichtschranken in unterschiedlichen Höhen angebracht und die Messung erfolgt nur, wenn beide Lichtschranken gleichzeitig durchbrochen werden, was zu genaueren Resultaten führt.

  • Leitfrage 3: Welchen Einfluss hat die Messgenauigkeit eines Messsystems auf die Interpretation der Daten? (Lernziele: den Einfluss der Messmethodik auf Aspekte der Validität verstehen und berücksichtigen können) 

Hier sollte thematisiert werden, dass ein Messsystem in der Lage sein muss, expertiseabhängige Unterschiede der biomechanischen Merkmale von wenigen Millisekunden (für die Bodenkontaktzeit weniger als 10 ms) oder Zentimetern bei der Schrittlänge detektieren zu können, um unzulässige oder allgemeingültige Schlussfolgerungen zu vermeiden. Das OJ System erlaubt dies prinzipiell. Darüber hinaus muss die Varianz in der Merkmalsausprägung der Sportlerinnen und Sportler berücksichtigt werden. Während fortgeschrittene Sprinterinnen und Sprinter beispielsweise bezüglich der Bodenkontaktzeit sehr konstante Werte aufweisen, sind für unerfahrene Athletinnen und Athleten Schwankungen im Bereich von bis zu 15 ms nicht unüblich. Hier bieten sich dann Bezüge zu den Gütekriterien an.

  • Leitfrage 4: Welche Schlussfolgerungen können aus den Ergebnissen gezogen werden? Wie sollte ein mögliches Training aufgebaut sein, um die Sprintleistung zu verbessern? (Lernziel: Interpretationsobjektivität verstehen und sicherstellen können, erhobene Daten diskutieren können, erhobene Daten in Forschung und Praxis transferieren können)

Im Rahmen des hier beschriebenen Unterrichtsbeispiels konnten mittlerweile Daten von mehr als 150 Studentinnen und Studenten erhoben werden. Diese Daten werden im Rahmen der Abschlussdiskussion den Studentinnen und Studenten, natürlich mit besonderem Fokus auf die „eigenen“ Daten, dargestellt und interessante Aspekte fokussiert. Geschlechterübergreifend zeigt sich in den bisher erhobenen Daten ein negativer Zusammenhang zwischen SF und SL (w: r = -,723; m: r = -,786). Zudem korrelieren SF und v (w: r = ,416; m: r=,632), SF und tS (w: r = -,669; m: r = -,675) sowie v und tS (w: r = -,539; m: r = -,596) signifikant. Schnellere Männer (v = 8,8 ± 0,3 m/s) weisen im Vergleich zu langsameren (v = 8,1 ± 0,2 m/s) signifikant höhere SF und niedrigere
 tS auf. Bei den Frauen treten diese Unterschiede in Abhängigkeit der Sprintgeschwindigkeit (7,6 ± 0,3 m/s vs. 7,1 ± 0,2 m/s) ebenfalls auf. Die ebenfalls erhobenen anthropometrischen Merkmale Größe und Gewicht sowie das Alter zeigen keine Zusammenhänge mit den biomechanischen Schrittmerkmalen. Diese Resultate deuten darauf hin, dass unerfahrene Sportlerinnen und Sportler eine hohe Geschwindigkeit eher durch die Erhöhung der SF erzielen, als durch längere Schritte. Dementsprechend sollte für diese Zielgruppe, zum Beispiel im Rahmen der Vorbereitung auf die Sprintprüfung, zunächst ein frequenzorientiertes Sprinttraining unter Realisierung kurzer Bodenkontaktzeiten angestrebt werden, bevor die Vergrößerung der Schrittlänge angestrebt wird.

3 ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das gewählte Vorgehen die Entwicklung wissenschaftlicher Methodenkompetenz (Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten eines opto-elektronischen Messsystems, Auswertung und Interpretation erhobener Daten) der Studentinnen und Studenten fokussiert. Der Gegenstand „leichtathletischer Sprint“ dient dabei nur als Beispiel, denn im Idealfall sind die zu erwerbenden Kompetenzen auch auf andere Sportarten oder Anwendungsfelder übertragbar oder können auf ähnliche Weise während einer anderen Disziplin oder Sportart thematisiert werden. Dies kann auch erfolgen, in dem ein Bezug zu anderen Seminarveranstaltungen, beispielsweise aus den fachwissenschaftlichen Arbeitsbereichen, in denen ebenfalls wissenschaftliche Methoden vermittelt werden, hergestellt wird.

Darüber hinaus wird fachwissenschaftliches Wissen aus den Bereichen Biomechanik (Fokus leichtathletischer Sprint), Bewegungswissenschaft/Aspekte des motorischen Lernens (Ansteuerung von Bewegungsmerkmalen), Methodik/Didaktik/Trainingswissenschaft der Sportart (Fokus Gestaltung von Trainingsprozessen), sowie Selbstkompetenz durch die Reflexion der eigenen motorischen Fähigkeiten (Fokus Schnelligkeit) und Fertigkeiten (Fokus Sprinttechnik) angebahnt. Sollte genügend Zeit zur Verfügung stehen, kann beispielsweise neben den oben bereits erwähnten Aspekten der Methodenkompetenz das Ergebnis des Experiments zur bewussten Ansteuerung eines biomechanischen Merkmals reflektiert werden. Dabei werden Bezüge zu Aspekten des motorischen Lernens und der bewussten motorischen Kontrolle einer nicht beherrschten Bewegung (hier die Sprinttechnik bei Anfängerinnen und Anfängern) hergestellt. Basierend auf dem aufgetretenen Phänomen kann geschlussfolgert werden, dass es nur unterhalb einer kritischen Bewegungsgeschwindigkeit möglich ist, ein biomechanisches Merkmal gezielt anzusteuern, ohne dass ein damit verknüpftes anderes Merkmal (hier SL und SF) vernachlässigt wird beziehungsweise nicht mehr in maximaler Ausprägung realisiert werden kann (vgl. dazu auch Birklbauer, 2006; Mendoza & Schöllhorn, 1991).

In weiteren Unterrichtseinheiten kann an die beschriebene Einheit in vielfältiger Art und Weise angeknüpft werden. So bieten sich beispielsweise Theorie- und Praxiseinheiten zum Schnelligkeitstraining an, um die Studentinnen und Studenten auf der Basis ihrer Ergebnisse einen individuellen Trainingsplan entwickeln und ausprobieren zu lassen. Somit ist die Möglichkeit gegeben, die motorischen Fähigkeiten der Studentinnen und Studenten zu verbessern und damit weitere Kompetenzbereiche anzubahnen, die zunächst nicht im Fokus des Unterrichtsbeispiels standen (z.B. Sportart- und bewegungsfeldbezogene Kompetenzen im Sinne von sportpraktischen und sportmethodischen Kompetenzen). Darüber hinaus wird durch die im Rahmen der Trainingsplanerstellung durchzuführende Recherche und Aufarbeitung wissenschaftlicher und trainingspraktischer Literatur ein weiterer Aspekt wissenschaftlicher Arbeitstechniken angesprochen. Nach einer mehrwöchigen Trainingsintervention könnten dann die Effekte der Intervention durch eine erneute Messung überprüft werden. Bei dieser Messung könnten dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer das Messsystem selbst bedienen, die Daten erheben und auswerten, um so einen weiteren Kompetenzzuwachs bezüglich wissenschaftlicher Methoden zu generieren. Außerdem kann durch dieses Vorgehen auch ein Bezug zu weiteren wissenschaftlichen Denk- und Arbeitstechniken wie beispielsweise dem Experiment hergestellt werden. Weitere Einheiten könnten ein „Techniktraining Sprint“ fokussieren, um anschließend unter Zuhilfenahme von Videoaufnahmen oder Beobachtungsbögen weitere Kompetenzbereiche zu erschließen. Ebenfalls denkbar sind ähnliche Unterrichtseinheiten zum Thema sprintspezifisches Krafttraining, Biomechanik und Technik des Tiefstarts oder auch der Übertrag der gewonnenen Kenntnisse auf die Sprungdisziplinen (z.B. Schrittgestaltung und Anlaufgeschwindigkeit im Weitsprung) oder weitere Sportarten und Bewegungsfelder – die Möglichkeiten scheinen hier nahezu unbegrenzt.

 

1 Dies trifft in weiten Teilen auch auf sportwissenschaftliche Studiengänge außerhalb der Lehramtsausbildung zu. Der vorliegende Beitrag hat seinen Ursprung jedoch in der Durchführung im Rahmen von lehramtsbezogenen Studiengängen, weshalb diese fokussiert werden.

AUTOREN

Dr. Marcus Schmidt  arbeitet seit 2011 im Arbeitsbereich Bewegung und Training an der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Entwicklung und Anwendung von Messsystemen und Mikrosensoren sowie der Leistungsdiagnostik. Er ist Fachleiter Leichtathletik sowie Schneesport alpin und unterrichtet darüber hinaus in der Trainingswissenschaft.
Zeitschrift.

Prof. Dr. Thomas Jaitner ist seit 2011 Leiter des Arbeitsbereichs Bewegung und Training an der TU Dortmund. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen Motorisches Lernen und Techniktraining, Bewegungsanalyse sowie Entwicklung von Mess- und Informationssystemen. In der Lehre ist er neben der Bewegungs- und Trainingswissenschaft in der fachdidaktischen Ausbildung (Volleyball, Leichtathletik) tätig.

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