Theorie des Forschenden Lernens gemessen an der Praxis
Dr. Franziska Lautenbach & Eva Böker
ZUSAMMENFASSUNG
Eine Zielsetzung guter Hochschullehre ist die enge Verzahnung von Lehre und Forschung. Dieses Ziel war auch die Grundlage des Seminars „Komplexe Interventionen planen, durchführen und auswerten“ (3. Fachsemester, Masterstudiengang Diagnostik & Intervention, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig), welches im Wintersemester 2018/19 durchgeführt wurde. Da der Anspruch und die Realität, Lehre und Forschung an der Universität zu verbinden, oftmals auseinander liegen und die Lehrpraxis trotz zunehmender Praxisbeiträge nach wie vor ein recht unerforschtes und somit nach Rheinländer „unbekanntes Phänomen“ (2015, S. 54) ist, wurde in einem ersten Schritt dieses Beitrags die Darstellung der realen Lehrpraxis verfolgt. Das primäre Ziel des Beitrags ist es allerdings, die theoretische Klassifizierung forschungsbezogener Lehre und die idealtypischen Verläufe des Forschenden Lernens mit der Praxis abzugleichen und zu reflektieren. Basierend darauf sollen konkrete Handlungshinweise für andere Dozierende angeboten werden. Die Einordnung in die Klassifizierungsmatrix forschungsbezogener Lehre zeigt, dass im Hinblick auf das Aktivitätsniveau der Studierenden im durchgeführten Seminar von Forschendem Lernen gesprochen werden kann, gleichwohl dies jedoch nicht für jede einzelne Seminareinheit zutrifft. Der idealtypische Ablauf des Forschenden Lernens konnte im Zuge dieses Seminars jedoch nicht in der Praxis abgebildet werden. Als Herausforderungen in der Praxis sind insbesondere die Versuchspersonenakquise und die Anpassung der Forschungsfrage zu erwähnen. Im Rahmen des Seminars sind besonders der Eigenantrieb der Studierenden und die Durchführung von Paperclubs als positiv anzumerken.
1 EINLEITUNG
Eine Zielsetzung guter Hochschullehre ist ist unter anderem eine Einheit von Lehre und Forschung (Wissenschaftsrat, 2006). Die Gründe für dieses Ziel sind, neben dem Erwerb von Forschungskompetenzen, die gemeinsame Entwicklung neuer Ideen sowie die Generierung neuen Wissens (siehe z.B. Heck & Heudorfer, 2018). Somit ist es ein gutes Zeichen, dass das Interesse am Forschenden Lernen in den vergangenen Jahren stark zugenommen hat (Huber, 2014). Forschendes Lernen ist abzugrenzen von Forschungsbasiertem (research-based oder learning about research) und Forschungsorientiertem Lernen (research-oriented oder learning for research; Healey & Jenkins, 2009; Huber, 2014). Diese Abgrenzungen lassen sich über das Aktivitätsniveau der Studierenden (rezeptiv, anwendend, forschend) und die inhaltlichen Schwerpunkte (Forschungsergebnisse, -methoden, -prozess) der Lehre ziehen und sind in das empirisch belegte theoretische Modell zur Klassifizierung forschungsbezogener Lehre (Rueß, Gess & Deicke, 2016; siehe Tabelle 1) eingegangen. Innerhalb des Modells definiert sich Forschendes Lernen (Learning by research) im forschenden Aktivitätsniveau der Studierenden, während der inhaltliche Schwerpunkt auf den Forschungsprozess gerichtet ist. Forschendes Lernen ist demzufolge als „eine Lehr-Lernform definiert, bei der die Studierenden eine selbst entwickelte Fragestellung verfolgen und dabei den gesamten Forschungsprozess durchlaufen“ (Sonntag, Rueß, Ebert, Friederici & Deicke, 2017, S. 13)1.
Der idealtypische Ablauf des Forschenden Lernens gleicht dem eines typischen Forschungsprozesses und kann als Zirkel von Phasen verstanden werden (Huber, 2014, S. 23): 1. Hinführung, Wahrnehmen eines Ausgangsproblems oder Rahmenthemas; 2. Fragestellung, Definition des Problems; 3. Forschungslage erarbeiten; 4. Auswahl von Methoden; 5. Forschungsdesign entwickeln; 6. Durchführung; 7. Erarbeitung und Präsentation der Ergebnisse; 8. Reflexion des gesamten Prozesses.
Trotz dieses theoretischen Rahmens wird in Praxisbeiträgen deutlich, dass Lehrveranstaltungen zum Forschenden Lernen kaum ein einheitliches didaktisches Prinzip zu Grunde liegt (Hellermann, Schmohr & Sekmann, 2012, S. 29). Darüber hinaus liegt der gedachte Anspruch, Lehre und Forschung an der Universität zu verbinden, oftmals auseinander und die Lehrpraxis scheint trotz zunehmender Praxisbeiträge nach wie vor ein recht unerforschtes und somit „unbekanntes Phänomen“ zu sein (Rheinländer, 2015, S. 54). Aus diesen Gründen ist es zunächst das Ziel des Beitrags, die Lehrpraxis offenzulegen und vor allem aber diese, basierend auf dem Seminar „Komplexe Interventionen planen, durchführen und auswerten“, mit der Theorie abzugleichen. Genauer soll die theoretische Klassifizierung forschungsbezogener Lehre und der idealtypische Verlauf des Forschenden Lernens an der Praxis gemessen werden, um basierend darauf konkrete Handlungshinweise abzuleiten.
2 PRAKTISCHE DURCHFÜHRUNG DES SEMINARS
Insgesamt waren 17 Studierende für das Seminar „Komplexe Interventionen planen, durchführen und auswerten“ (3. Fachsemester, Masterstudiengang Diagnostik & Intervention, Sportwissenschaftliche Fakultät, Universität Leipzig) angemeldet. Aus beruflichen und weiteren nicht bekannten Gründen konnten nicht alle Studierende (vollständig) am Seminar teilnehmen, weshalb die Gesamtzahl der aktiven Teilnehmenden schlussendlich bei 13 lag. Acht von ihnen entschieden sich, ihre Prüfungsleistung im Zuge dieses Seminars abzulegen. Der Gesamtverlauf des Seminars und die themenspezifischen Schwerpunkte sowie die damit verbundenen Ziele sind in Tabelle 2 aufgeführt. Alle für das Seminar erstellten Unterlagen, inklusive ausgehändigter Materialien und Power-Point Präsentationen sowie Lehrevaluationen, sind im Open Science Framework unter osf. io/yv9a8/ (doi: 10.17605/OSF.IO/YV9A8) zu finden.
3 BEURTEILUNG DES SEMINARS
In Tabelle 3 sind die Einordnung der Seminarinhalte und -durchführung in die Klassifizierung forschungsbezogener Lehre sowie in den idealtypischen Verlauf Forschenden Lernens zusammengefasst.
3.1 Ergebnisse und Diskussion zum Abgleich von Theorie und Praxis
Die Einordnung der Seminarinhalte in die Klassifizierungsmatrix forschungsbezogener Lehre und der Abgleich des Seminars auf den idealtypischen Ablauf des Forschenden Lernens sind in Abbildung 1 und 2 grafisch dargestellt.
3.1.1 Einordnung in die Klassifizierungsmatrix forschungsbezogener Lehre
Mit Blick auf die Klassifizierung forschungsbezogener Lehre wird deutlich, dass das Aktivitätsniveau der Studierenden im Laufe des Seminars stark gestiegen ist (vgl. Abb. 1). Allerdings gab es im Verlauf des Semesters Seminareinheiten (SEn), in denen Studierende zunächst rezeptiv Informationen aufnahmen. So mussten Grundlagen über Forschungsmethoden (2. SE) und Ethische Richtlinien (9. SE) zum Teil gelegt oder aufgefrischt werden sowie neues Wissen über die Forschungsprozesse (Kongresse; 13. SE) oder auch eine inhaltliche Hinführung zum zu beforschenden Thema dargestellt werden (3. SE). In Anbetracht der Zeit, die für die Durchführung des Seminars zur Verfügung stand, erschien der Frontalunterricht, der durch sein rezeptives Aktivitätsniveau gekennzeichnet ist, als methodische Herangehensweise am effizientesten. Auf diese Weise gelang es, viele Informationen in kurzer Zeit zu vermitteln.
Mit Blick auf die inhaltlichen Schwerpunkte wird deutlich, dass der Forschungsprozess ab der vierten SE im Mittelpunkt stand. Auch wenn der Fokus künftig schon früher auf den Forschungsprozess gelenkt werden sollte, scheint es in diesem Beispiel in Anbetracht von Fluktuationen der Teilnehmendenzahlen des Seminars in den ersten zwei Sitzungen als gerechtfertigt (siehe Sonntag et al., 2017).
Eine Herausforderung war die Einordnung der ersten SE in die Klassifizierungsmatrix. In dieser nahmen Studierende als Versuchspersonen aktiv an einer Miniintervention der Positiven Psychologie teil, die vor Ort ausgewertet wurde. Hier wäre eine mögliche Erweiterung oder klarere Benennung innerhalb der Matrix angemessen, da die Teilnahme als Versuchsperson (mit anschließender Reflexion) gewisse Potenziale birgt. Beispiele dafür sind unter anderem eine detaillierte Reflexion des methodischen Vorgehens/Designs der Studie im Detail und Aneignung von Wissen bezüglich der eigenen Forschungsstudie (z.B. Kennenlernen und Anwendung von Messinstrumenten, methodische Fehler).
Insgesamt macht die Einordnung in die Klassifizierungsmatrix deutlich, dass im Hinblick auf das gesamte Seminar von Forschendem Lernen gesprochen werden kann. Dies impliziert allerdings nicht, dass in jeder Seminareinheit der inhaltliche Schwerpunkt auf den Forschungsprozess ausgerichtet werden kann. Ebenso wenig kann das Aktivitätsniveau der Studierenden durchweg forschend sein. Die erfolgte Einordnung soll daher als Abgleich mit der praktischen Lehrrealität verstanden werden. Aus diesem Grund ist besonders zu betonen, dass es nicht um ein Ranking von Ansätzen geht, die in schlechtere oder bessere Lehrveranstaltungen zum Forschenden Lernen münden. Vielmehr kann eine Einordnung in die Klassifizierungsmatrix dazu beitragen, die verschiedenen Lehr-Lern-Konzepte, wie zum Beispiel das forschungsbasierte oder forschungsorientierte Lernen, welche sich unter dem Begriff des Forschenden Lernens ansammeln (Huber, 2014), klarer voneinander abzugrenzen. Dementsprechend wird an diesem Praxisbeispiel auch deutlich, dass alle Formen des forschungsbezogenen Lehrens und Lernens (Sonntag et al., 2017) von großer Relevanz sind, denn sie bereiten (selbst innerhalb eines Semesters) auf das Forschende Lernen vor (Huber, 2014).
3.1.2 Einordnung des Seminars in den idealtypischen Ablauf des Forschenden Lernens
Der von Huber beschriebene idealtypische Ablauf (2014) des Forschenden Lernens konnte im Zuge dieses Seminars nicht in der Praxis abgebildet werden. Auch Huber selbst weist darauf hin, dass Vorgriffe, Rücksprünge und iterative Schleifen in und zwischen den Phasenabfolgen vorkommen. Besonders die iterativen Schleifen (siehe auch Sonntag et al., 2017, S. 15), die sich in diesem Seminar zu Beginn um die Forschungslage und dann um die Fragestellung drehen, werden in dem hier dargestellten Praxisbeispiel deutlich. Hier besteht sowohl die Gefahr, dass Studierende und
Dozierende sich „verlaufen“, als auch die Chance, aufgrund der kumulierten Kompetenzen eine Fragestellung mit Mehrwert zu generieren. Doch selbst Forschungsfragen mit großem wahrgenommenem Mehrwert können im Zuge des Forschenden Lernens nicht immer zufriedenstellend beantwortet werden. Es ist möglich, dass das notwendige Design zur Beantwortung der Fragestellung aus Ressourcengründen nicht umsetzbar ist. Möglicherweise sind Messinstrumente nicht vorhanden und/ oder zu kostspielig, die Erhebungsdauer zu lang oder die Versuchspersonenakquise zum Beispiel bei besonderen Personengruppen nicht möglich. Hier liegt es an der Lehrperson, die iterativen Schleifen rund um die Fragestellung möglichst frühzeitig abzusehen, um nicht zu viel Zeit zu verlieren. Das Forschungsthema sowie die Forschungsfrage sollten allerdings nicht zu früh eingeschränkt werden, da dies Motivationsverluste mit sich bringen kann (siehe Sonntag et al., 2017, S. 44). Darüber hinaus gilt es, die Unsicherheit über den weiteren Verlauf des Seminars bis ca. zur Hälfte des Semesters auszuhalten. Insgesamt kann und sollte der Realitätsabgleich mit dem idealtypischen Ablauf des Forschenden Lernens zu einer Beruhigung auf Seiten der Lehrkräfte führen.
3.2 Besondere Herausforderungen für die Praxis
3.2.1 Versuchspersonenakquise und Anpassung der Forschungsfrage
Die Versuchspersonenakquise für eine zunächst angedachte vierwöchige Intervention, die zwei Mal pro Woche erfolgen soll, hat sich als zu große Herausforderung dargestellt. Da es sich um typische Probleme der Versuchspersonenakquise handelte, hatte dies für die Studierenden möglichweise einen Lerneffekt, was allerdings hier nicht weiter vertieft werden soll. Stattdessen wird im Folgenden auf die Auswirkungen auf das Seminar eingegangen werden. Die Forschungsfrage und das Design mussten abgeändert und Versuchspersonen in kurzer Zeit gefunden werden. Glücklicherweise hat die Dozierende im selben Semester einen fächerübergreifenden Sportpraxiskurs im Zuge ihrer Lehre angeboten und somit wurde eine weniger umfangreiche Intervention innerhalb dieses Kurses durchgeführt. Für zukünftige Seminare sollten entweder zeitlich weniger umfangreiche Interventionen angedacht werden oder frühzeitiger mit der Versuchspersonenakquise begonnen werden, sofern dies mit Bezug auf die Fragestellung möglich ist. Zudem sollte die Weihnachtszeit und -pause bei der Versuchspersonenakquise im Wintersemester berücksichtigt werden. Versuchspersonen aus parallel stattfindenden Seminaren zu rekrutieren hat durchaus Vorteile (z.B. Zeitersparnis bei der Versuchspersonenakquise, Durchführbarkeit von Innersubjektdesignstudien) für die Planung und die Durchführung. Allerdings könnten dadurch Lerneffekte (z.B. Erfahrungen mit Versuchspersonenakquise, Arbeiten mit neuen Personengruppen außerhalb von Studierenden) für Studierende wegfallen. Darüber hinaus ist die Versuchspersonengruppe „Studierende“ nicht immer geeignet, um die formulierte Forschungsfrage zu beantworten (siehe z.B. Boss & Zepp, 2018).
3.2.2 Prüfungsvorleistung
Zu Beginn des Seminars wurde versucht, den Studierenden deutlich zu machen, dass es sich bei diesem Projektseminar um einen (Forschungs-)Prozess handeln wird und jede/r Studierende seine Prüfungsvorleistung durch konkrete Hausaufgaben (siehe Tabelle 2) und durch bestimmte forschungsbezogene Arbeitsaufträge im Laufe des Seminars zu erbringen hat. Die Arbeitsaufträge konnten erst im Laufe des Seminars konkreter benannt werden, wodurch die Prüfungsvorleistung zu Beginn des Seminars noch nicht klar definiert werden konnte. Dies führte, insbesondere am Ende des Semesters, zu Problemen der Leistungserbringung. Um den Studierenden, die bis dahin zu wenig Leistung erbracht hatten, die Chance zu geben, das Seminar erfolgreich (ohne Note) abzuschließen, wurden am Ende des Seminars mehrfach E-Mails mit klaren Aufgabenstellungen u.a. zur Dateneingabe versandt. Dies führte zu einem erheblichen Mehraufwand seitens der Lehrperson und ist nicht empfehlenswert, da es in einem Missverhältnis zu dem Arbeitsaufwand der anderen Studierenden steht. Demzufolge sollten zukünftige Seminare dieser Art den Empfehlungen und Forderungen von Sonntag et al. (2017) deutlich stärker nachkommen sowie transparente und klare Prüfungsvorleistungen dargelegt werden. Beispiele hierfür sind Methoden wie Lernportfolios oder Lerntagebücher, die anschließend bewertet werden könnten. Weiterhin scheint es, insbesondere für die Motivation der Studierenden, sinnvoll, gemeinsam mit den Studierenden Prüfungsvorleistungen zu formulieren (Sonntag et al., 2017).
3.2.3 Prüfungsleistung
Das Modulhandbuch gibt als Prüfungsleistung den Projektbericht vor. Da dem Modulhandbuch keine konkreten Vorgaben über den Umfang oder die Anzahl an beteiligten Studierenden zu entnehmen sind, wurde den Empfehlungen von Sonntag et al. (2017) nachgegangen und ein gemeinschaftliches Endprodukt in Form eines wissenschaftlichen Artikels gefordert, wofür es eine gemeinsame Endnote gab. Es war für alle Studierende das erste Mal, dass sie einen wissenschaftlichen Artikel geschrieben haben. Diese Tatsache und die Bewertung des Forschungsprozesses sind mit in die Gesamtbewertung eingeflossen (siehe Sonntag et al., 2017). Die Studierenden kritisierten bei der Erstellung des Artikels die großen koordinativen Probleme, die das gemeinsame Schreiben (acht Studierende) eines solchen Textes mit sich gebracht hat. Aus diesem Grund sollten zukünftige Seminare berücksichtigen, dass in Teams von maximal vier Studierenden geschrieben wird. Dies ist i.d.R. problemlos möglich, da die meisten Fragestellungen unterteilbar sind und dementsprechend von mehreren Gruppen andere Aspekte beantwortet werden können. Trotz einer Arbeitsaufteilung unter den Studierende sollte darauf geachtet werden, dass alle Studierenden jederzeit über die laufenden Phasen der Forschungsprozesse informiert sind bzw. sich gegenseitig schulen (z.B. durch Kurzreferate).
3.3 Positive Überraschungen aus der Praxis
Das Seminar hielt eine Vielzahl von positiven Überraschungen bereit. Einige sollen im Folgenden kurz Erwähnung finden, um andere Lehrkräfte für diese Seminarform zu ermutigen. Überraschend war, dass die erste Hausaufgabe (HA A) in der folgenden Seminarsitzung (2. SE) zu einer von den Studierenden mit großer Neugier und großem Interesse geleiteten Befragung über Publikationsprozesse führte. Hier erschien es besonders gewinnbringend, dass die Studierenden eine Interventionsstudie der Dozentin lesen sollten, da die Publikationsprozesse auf den konkreten Fall angewendet werden konnten. Diesbezüglich scheint Forschungserfahrung der dozierenden Person in der forschungsbasierten Lehre eine naheliegende, den Lehr-und Lernprozess fördernde Komponente zu sein. Weiterhin ist die Bearbeitung der Hausaufgaben durch die Studierenden als positiv zu verzeichnen. Die Hausaufgaben wurden von der Mehrzahl der Studierenden erledigt und fristgerecht eingereicht (zwischen 77 und 93%). Auch wenn dies als selbstverständlich erachtet werden sollte, ist dies in der Praxis nicht immer sichtbar und aus diesem Grund erwähnenswert. Die individuellen Rückmeldungen und die wahrgenommene Relevanz der Hausaufgaben für den Forschungsprozess erklären möglicherweise auch den Anstieg der Hausaufgabeneinreichungen über den Seminarverlauf. Ebenfalls positiv überraschend waren die konkreten Rückfragen der Studierenden zu einzelnen Studien, der Verknüpfung der Ergebnisse und das kritische Hinterfragen (z.B. von Studiendesigns) im Rahmen der Paperclubs. Im Rahmen dieser Organisationsform recherchierten Studierende zum Thema passende Artikel, deren relevante Ergebnisse im Seminar innerhalb von zwei Minuten vorgestellt werden sollten. Insgesamt konnte nach einer Reflexion des ersten Paperclubs eine deutliche Verbesserung in Bezug auf die Zeiteinhaltung und das Festhalten der relevanten Punkte der Studien im zweiten Paperclub festgestellt werden. Die schönste Überraschung lag darin, dass sich die Studierenden, die eine Prüfungsleistung im Seminar erbracht haben, eine detaillierte Nachbesprechung zu ihrem wissenschaftlichen Artikel wünschten. Obwohl eine schriftliche Rückmeldung angedacht war, wurde ein gesonderter Termin außerhalb des Semesters gefunden, um die Prüfungsleistung zu reflektieren und zu diskutieren. Darüber hinaus wurde, zwar erst nach Anfrage der Dozentin, aber dennoch, ein wissenschaftliches Poster erfolgreich bei der 51. Jahrestagung der Sportpsychologie eingereicht.
4 ZUSAMMENFASSUNG
Ziel dieses Beitrags war es, die Lehrpraxis offenzulegen und diese basierend auf dem Seminar „Komplexe Interventionen planen, durchführen und auswerten“ mit der Theorie abzugleichen, um basierend darauf, konkrete Handlungshinweise zu geben. Die Einordnung der Seminarinhalte in die Klassifizierungsmatrix der forschungsbezogenen Lehre hat deutlich gemacht, dass Forschendes Lernen weder in jeder Seminarstunde zu erreichen ist, noch dass dies der Anspruch sein muss. Vielmehr wurde deutlich, dass die Form der Klassifizierung und die damit verbundenen Praxisberichte in großen Teilen nützlich sein können, indem sie eine Orientierungshilfe für Lehrende und Forschende bieten. Für den idealtypischen Verlauf des Forschenden Lernens bleibt festzuhalten, dass dieser, wie von Huber (2014) selbst angemerkt, in vermehrten Schleifen zwischen den Verlaufsphasen stattfindet. Es gilt, wie in jedem Forschungsprozess, diese auszuhalten und möglichst konstruktiv und transparent damit umzugehen. Rückschritte und Fehler, die dabei passieren, sind wünschenswert, da sie zu einem hohen Lerneffekt führen können (Sonntag et al., 2017). Zusammenfassend waren für die erfolgreiche Umsetzung des Seminars die konstruktiven Diskussionen, das angenehme Arbeitsklima, die kontinuierlichen Rückmeldungen der Dozentin und das Arbeiten an einem gemeinsamen Endprodukt in Form eines wissenschaftlichen Artikels wichtig. Die geringe Anzahl an Seminarteilnehmer/-innen verstärkte diese Aspekte. Am entscheidendsten ist aber die Relevanz der Forschungsfrage, die stark vom Eigeninteresse und den wissenschaftlichen Schwerpunkten der Lehrperson abhängt. Nur wenn diese zusammen mit den Studierenden erarbeitet wird, was eine gewisse Offenheit auf Dozierendenseite voraussetzt, kann die Neugier an Forschung auf die Studierenden übertragen werden (Sonntag et al., 2017)
DANKSAGUNG
Der größte Dank gilt den motivierten, engagierten und diskussionsbereiten Studierenden mit denen ich dieses Seminar gestalten durfte, insbesondere Eva Böker, die auch bereitwillig diesen Beitrag mit mir verfasst hat. Darüber hinaus möchte ich mich bei Paul Felix Hoffmann für die Unterstützung in der Vorbereitung und während einzelner Seminareinheiten bedanken. Mein Dank gilt ebenfalls den Kollegen/ innen der Sport- und Bewegungspsychologie des Instituts für Sportpsychologie und -pädagogik der Universität Leipzig für die offenen Ohren, die wertvollen Hinweise und das Verständnis dafür, dass der Besprechungsraum wöchentlich von diesem Seminar geblockt wurde.
1 Abgrenzungen und Vergleiche zu angrenzenden Lehrkonzepten wie das problembasierte, entdeckende oder genetische Lernen sind in Sonntag und Kollegen/innen (2017) nachzulesen.
Dr. Franziska Lautenbach ist seit April 2018 wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Sportpsychologie des Instituts für Sportpsychologie und -pädagogik der Sportwissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der positiven Emotionen und dem Wohlbefinden von Athleten/innen.
Eva Böker ist Masterstudentin mit dem Schwerpunkt Diagnostik und Intervention im Leistungssport an der Universität Leipzig. Seit Oktober 2018 ist sie dort wissenschaftliche Hilfskraft in der Abteilung Biomechanik des Instituts für Allgemeine Bewegungs- und Trainingswissenschaft. In ihrer Masterarbeit widmet sie sich dem Thema Beinachsenstabilität in Abhängigkeit vom Aktivitätsniveau von Jugendlichen.
Boss, M. & Zepp, C. (2018). Lernen am eigenen Projekt. Aufbau eines Sporteinsteiger-Systems für Studierende und Kölner Bürger/-innen, Institutionen und Unternehmen. Zeitschrift für Studium und Lehre in der Sportwissenschaft, 2, 60-62.
Heck, T. & Heudorfer, A. (2018). Die Offenheit der wissenschaftlichen Ausbildung. Medien Pädagogik: Zeitschrift für Theorie und Praxis der Medienbildung, 32, 72-95.
Hellermann, K., Schmohr, M. & Sekmann, Ü. (2012). Vielfältige Lernkultur durch „Forschendes Lernen“ an der Ruhr-Universität Bochum. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 7(3), 28-35
Huber, L. (2004). Forschendes Lernen: 10 Thesen zum Verhältnis von Forschung und Lehre aus der Perspektive des Studiums. Die Hochschule, 2(8), 29-49.
Huber, L. (2014). Forschungsbasiertes, Forschungsorientiertes, Forschendes Lernen: Alles dasselbe? Das Hochschulwesen, 1+2, 22–29.
Rheinländer, K. (2015). Von der Bedeutung und der Möglichkeit einer ungleichheitssensiblen Hochschullehre In K. Rheinländer (Hrsg.), Ungleichheitssensible Hochschullehre: Positionen, Voraussetzungen, Perspektiven (S. 47-69). Wiesbaden: Springer.
Rueß, J., Gess, C., & Deicke, W. (2016). Forschendes Lernen und forschungsbezogene Lehre–empirisch gestützte Systematisierung des Forschungsbezugs hochschulischer Lehre. Zeitschrift für Hochschulentwicklung, 11(2), 23-44.
Sonntag, M., Rueß, J., Ebert, C., Friederici, K. & Deicke, W. (2017). Forschendes Lernen im Seminar. Ein Leitfaden für Lehrende. (2. überarbeitete Aufl.). Berlin: Bologna Lab.
Wissenschaftsrat. (2006). Empfehlungen zur zukünftigen Rolle der Universitäten im Wissenschaftssystem. Zugriff am 15. August 2019 unter https://www.wissenschaftsrat. de/download/archiv/7067-06.pdf;jsessionid=B96F4A73CA0147F2170BA3072F02C63F. delivery1-master?__blob=publicationFile&v=2